Monika Schuberts Inselplatten

So schön es klingt – ab auf die einsame Insel mit den Lieblingsplatten, wahrscheinlich würde ich die Teile im letzten Moment doch nicht einpacken, weil ich nicht gerne mit viel Gepäck reise. Das schreibe ich als eine, die schon einiges an Auslandsaufenthalten hinter sich hat. Und deren Taschen von Trip zu Trip leichter wurden.

Die meisten meiner Platten und CDs habe ich an den unterschiedlichsten Orten zwischengelagert. Um mich jeweils der Illusion hinzugeben, doch eigentlich gar nicht so viel Krempel zu haben. Zum Glück ist man im Saarland vor musikalischen Innovationen relativ sicher. Seit dem gewaltsamen Tod des „Querfunk“ auf jeden Fall, was das begeisterte Hören im Radio angeht. Und „Hinternet-Radio“ verpasse ich regelmässig, weil ich zu der Zeit meistens noch irgendwelchen Brot- und -Butter-Jobs nachgehe. Den besten Mitty um Musiktips anzugehen wäre fatal. Bei dem erlesenen Geschmack desjenigen welchen würde ich mir am Ende noch einiges an aktuellem kaufen, und das hiesse zusätzliches unakzeptables Gepäck. Der nächste Umzug kommt bestimmt. Und im Keller meiner Eltern lagert schon jetzt ein Grossteil meiner Bücher. Hey, aber wer weiss, vielleicht werde ich morgen ein besserer Mensch und verschenke den ganzen Krempel. Die Lieblingssachen kennt man eh auswendig.

Die folgende Auswahl an Sounds ist übrigens die einer einzigen Nacht – morgen würde ich wahrscheinlich ein völlig anderes Sortiment wählen. Gar nicht zu reden von übermorgen. Ganz im Sinn von Wire’s „40 versions“. Am liebsten wäre mir als Aufenthaltsort eine warme Insel ohne Aedes Aegyptii, dem fiesen, äusserst resistenten Typ Mosquito, der das Dengue-Fieber überträgt. Das Meer sollte möglichst haifrei sein, die Einheimischen freundlich und trinkfest. Galapagos-Echsen dürften ruhig auch da sein. Hinreissende Tiere, die sich auf heissen Steinen rekeln und Vonnegut lesen. Während ich in meinem berüchtigten Rumshop die perfekte Margarita mixe: Cointreau oder Triple Sec plus Tequila und Limejuice, das ist hier die Frage. Oder doch lieber Beetlejuice? Klasse Film. Wups, das nennt man abschweifen. Musik, also. Over and out.

Magazine – Play
Die schönsten Songs der Band auf einem grandiosen, noisigen Livealbum. Devoto’s lasziv-ironische Interpretation von Texten, die dank ihrer Vielschichtigkeit zum Besten in der Musik schlechthin zählen, Barry Adamson’s pulsierende Intensität am Bass als Vorgeschmack auf spätere Geniestreiche, in einem eleganten Abgesang auf die Leistungsgesellschaft der frühen Achtziger: „Just because I love you and because you love me – a model worker I will be“.

Wire – The Ideal Copy
Die Wiedervereinigung der Pop-Innovatoren nach der Snakedrill-EP, zeitgemäss aufgenommen in Berlin. Ein Album, in dem Freundschaft, Sehnsucht nach allem und die Liebe zum Absurden auf das abwechslungsreichste zelebriert werden. Immer noch aufregend. Eine Platte für schlaflose Nächte, in denen die Moskitos beissen und man sich zumindest für kurze Zeit in eine Großstadt im Sommer zurückwünscht – „an evening of fun in the metropolis of your dreams“ – ist zwar auf 154, passt aber trotzdem.

Gary Clail / On-U-Sound System – Emotional Hooligan
Lieder über Korruption, Liebe und Heimatlosigkeit. „Why aim our anger at each other? We should aim it at those who really matter“. Wenn es stimmt, dass Clail seine Texte, wie er einmal in einem „The Face“-Interview gesagt hat, jeweils im Studio improvisiert, ist der Mensch ein verdammtes Genie. Ein geniales Händchen beweist der sympathische bekennende Säufer auf jeden Fall bei der Auswahl seiner Mitmusiker, den besten der Dub-Szene: Adrian Sherwood, Bim Sherman, Doug Wimbish, um nur einige multiaktive zu nennen, die sich z. B. auch auf Tackhead-Lorbeeren ausruhen könnten. Wenn man die Truppe einmal live gesehen hat, ist man sowieso überzeugt.

Shriekback – The Infinite
Abgedreht und stilsicher schon das Cover: die drei Galapagos-Echsen lehnen nonchalant hinter ihrem Felsen, das mittlere Tier präsentiert makellos scharfe Krallen. Scharf und präzise auch die Sounds. Andrews und seine Sidemen liefern 11 fantastische, Bass-dominierte Songs mit verspielten Drums und teuflisch guten Vocals. Die Platte für alle, die gepflegte Ironie in den Texten ebenso schätzen wie einen Rhythmus, der durchgehend nach nicht jugendfreien Aktivitäten verlangt.

Linton Kwesi Johnson – Forces of Victory
Unglaublich, mit welcher Coolness LKJ die heissen Strassenkämpfe zwischen Schwarzen und Neonazis im London Ende der 70er beschreibt. Seine Hymne „Fite dem back“ kommt heute noch gut: „we gonna smash their brains in, cause they ain’t got nothing in them“. Die subtil-subversive Alternative zu The Clash’s „White Riot“ oder Tom Robinson’s Herzblut auf „Power in the Darkness“. Nebenbei darf man Dubmaster LKJ getrost als Vater des Raggamuffin bezeichnen.

Bryan Ferry – Bête Noire
Der Soundtrack zum Cocktails schlürfen mit der zufällig vorbeikommenden Besatzung der Billie Celeste. Hinreissend: die Schreibmaschinen-Samples in „Kiss & Tell“. Und natürlich die elegant-sinnlichen Arrangements der Basslinien und Congas. Die Texte sind halb so wichtig – Ferry könnte auch das Telefonbuch heruntersingen und dabei stilvoll klingen. Seine lässige Phrasierung lässt viel Raum für visuelle Assoziationen. Bei „Limbo“ sehe ich immer Hannibal Lecter fröhlich in den Sonnenuntergang von Port-au-Prince spazieren.

Stevie Wonder – Original Musiquarium I
Greatest Hits, jawoll! Z. B. wegen „Superstition“, meinem absoluten Wonder-Lieblingstitel. Musikalisch ist dieses Stück ähnlich revolutionär wie James Brown’s „Papa’s got a brand new bag“, textlich sehr lustig. Und dann sind da noch die Dancefloor-Klassiker „Sir Duke“ und „Master Blaster (Jammin‘)“, und, o.k., ich geb’s ja zu, einige wunderbar schmalzige Liebeslieder. Nicht zuletzt erschien die Compilation bevor sich der Wonderknabe in Peinlichkeiten wie „I just called to say I love you“ oder „Happy Birthday“ erging.

Graham Parker – Another grey area
Umpf. Diese Entscheidung fiel nur um Haaresbreite zum Nachteil der ebenso hörenswerten Parker-Platte „The Real Macaw“ aus. Zum Teil auch deshalb, weil Mike Lehecka und ich uns lange gefragt haben, ob „Temporary Beauty“ nun der netteste oder der gemeinste Song über uns Young Urban Failures ist. Und weil ich einmal zusammen mit einer grossen Liebe eine Liste von ehemaligen öffentlich-rechtlichen Vorgesetzten erstellt habe, auf die Parker’s „Big Fat Zero“ wie massgeschneidert passt. Last but not least sind auf der Scheibe mit einer Ausnahme („You hit the spot“) nur klasse Songs, und das ist schon eine Besonderheit an sich.

The Cure – The Top
Obwohl auch hier „17 Seconds“ fast das Rennen gemacht hätte – auf dieser Scheibe sind die herrlich depressiven Lyrics von „Bananafishbones“ – als eventueller Soundtrack für eine Candomblé-Zeremonie – und „The Top“ ausschlaggebend. Ausserdem war die Platte ein Geschenk der elfenhaften Suzie J., die fast noch schöner singen konnte als Fat Boy Robert. „This top is the place. Where nobody goes. You just imagine. You just imagine it all“.

The Jazz Butcher Conspiracy – Distressed Gentlefolk
Der Metzger und seine Mannen schlagen musikalisch wunderbar schräge Brücken zwischen minimalem Gitarrenwave, Psychoballaden im Stil der frühen Velvet Underground und reinem Swing. In den Texten überwiegen gepflegter Ennui und irrwitzige Komik. Das Liebesleben von Haustieren kommt dabei genauso zu seinem Recht wie die fröhliche Aufforderung zum Kannibalismus unter Verliebten.

*

Und hier noch ein paar Songs, die ich gerne auf einer Cassetten-Compi mitnehmen würde:

Bonnie Raitt – The road’s my middle name
Eine der besten im Blues – an Gitarre und Stimme. Hier mit einem tollen „nein danke“ zu Haus, Hof und Hypothek.

Taxi Girl – Chercher le Garcon
„D‘ une bande magnétique un soupir lui échappe, sur un écran géant une goutte de sang“

Il Gran Teatro Amaro – Parco degli aranci
Roberta Possamai und ihre internationale Vaudeville-Band zielen direkt ins Herz.

Miles Davis – Final (take 1)
Der hässliche miesepetrige Giftzwerg at his best auf seinem Soundtrack zum Fahrstuhl. Alles was danach kam, war nicht so wichtig.

Prince – Sexuality
Zeitlos!

Gavin Friday and the Man Seezer – You take away the sun from me
Uäh. Liebe bringt nix als Ärger. Keiner sagt das so grandios wie diese Ex-Virgin Prune.

Buzzcocks – Ever fallen in love?
Ausser vielleicht Pete Shelley und seine Jungs.

Justice Hahn – I cry your name
Und der beste Roadmanager, den Alex Chilton je hatte, mit seinem Soloprojekt.

Elvis Costello – Accidents will happen
„And it’s the damage that we do and never know
it’s the words that we don’t say that scare me so…“

Marlene Dietrich – I may never go home anymore
Lene Lovitch’s grosse Schwester.

Duran Duran – A view to a kill
Grandiose Bässe, grandios geklaute Gitarre. Und simple Simon liegt vokalistisch so haarscharf daneben, dass es schon wieder cool ist.

Alison Hynde – In the meantime
Eine Calypsonian, die nicht auf Godot wartet.

Axel Bauer – Éteins la lumière
„A force de se voir on ne se voyait plus
à tant vouloir y croire on n’y croyait plus“

Yazoo – Situation
Das Raubtier und der Prinz des Pop. Schön und gut.

The Weathermen – Punishment Park
„Just around the corner but not there yet
and it’s memory itself I’d like to forget“

The Chiffons – He’s so fine
Radical kitsch. Doo-lang doo-lang doo-lang… Ein Lieblingssohn meines Sohnes. Von wegen Babies stehen auf Klassik!

Los Nemus del Pacifico – Mi primer amor
Ein kleiner Montuno zum Tanzen unter Wasser mit freundlichen Delphinen.

The Silicon Teens – Just like Eddie
Daniel Miller und seine Primitivsynthies im Rock’n’Roll Wunderland.

Throwing Muses – Same Sun
Zeitgemässer messerscharfer Bluesrock.

Tino Rossi – Il pleut sur la route
Abteilung Goldkehlchen die klasse Tangos singen.

Edson Cordeiro – Coming
Noch so ne Nachtigall.

Und zum Schluss fällt mir auf, dass auch ich keinen einzigen deutschen Titel im Sortiment habe. Nicht, dass ich was gegen die Sprache oder die sich ihrer bedienenden Artisten habe, es gehört nur nix davon zu meinen Lieblingssachen. Wenn Walter jemals mit seiner Liste fertig wird (das wird schwer, bei dem ganzen Zeugs was der kennt und mag), kann er das ja mit ganz viel Tocotronic ausgleichen. Oder doch lieber Robert Johnson?

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