München, Colosseum, 31.01.1998
Zwischen Himmel und Erde
Selten leuchteten die Sterne so schön. Zusammen mit nachtblauem Scheinwerferlicht bildeten sie den Hintergrund der Bühne des Konzerts der TripHopper „Portishead“ im Münchner Colosseum.
Ein paar Meter vor den Sternen ist ein Engel vom Himmel gefallen, goldene Lichtkegel vom Dach der Halle herab deuten an, welchen Weg er bestritten hat. Betörend singt er mit hoher Stimme von Liebe, Leid und Chaos. Der Engel ist eine Frau: Beth Gibbons. Die Hände über dem Mikrophon gefaltet, verharrt sie nahezu während des ganzen Konzerts in einer betenden, bittenden Pose.
Konzerte der englischen TripHop-Pioniere „Portishead“ spielen zwischen Himmel und Erde. Hier die Erde, in diesem Fall 2500 Konzertbesucher, die fasziniert zum Himmel blicken. Dort der Himmel, in diesem Fall die Bühne und die Musik. Und die ist unverwechselbar, ohne jegliche Reminiszenzen.
Schleppende HipHop-Beats, hallende Synthesizerklangteppiche, vereinzelte gezupfe Akkorde – Langsam, dunkel und bedrohlich ist der musikalische Untergrund, über dem die hohe, überirdisch anmutende Stimme der Sängerin Beth Gibbons schwebt. Diese legt derweil mit den sehr persönlichen Liedtexten eine Hülle ihrer Seele nach der anderen ab, solange, bis ein nackter Engel am Mikrofonständer steht, dessen Innerstes von rotierenden Dub-Schlaufen ins Publikum getragen wird.
Ein schwieriges Konzept, das ersteinmal verstört, klaustrophobische Gefühle weckt, bevor sich seine traurige Schönheit entfaltet. Dank des hervorragend abgemischten Sounds und der intensiven Lightshow wuchs das Konzert dennoch zu einem herausragenden Ereignis, das in der gegenwärtigen Musiklandschaft singulär ist.