Little Blue: Angels, Horses & Pirates

Was kommt dabei heraus, wenn ein altgedienter und erfahrener Sessionmusiker sich mit Schicksalsgenossen zusammentut? Meistens irgendwelche, technisch brillante, aber uninspirierte AOR-Muzak für CD-Abschreibungsprojekte, die später in den Grabbelkisten landen. Schon mal was von Steve Postell gehört? Keine Ahnung, wie alt der Bursche ist, aber er hat schon überall seine Gitarrenkünste und seine Songwriterqualitäten untergebracht, z. B. als zeitweises Bandmitglied der PURE PRAIRIE LEAGUE, als Musical-Musiker oder als Filmmusikkomponist. Eine Solo-Platte hatte er auch schon mal eingespielt („A Travelin‘ Man“), aber die dürfte außerhalb New Yorks (da kommt er nämlich her) auch kaum jemand kennen.

Vor rund zwei Jahren nun gründete Postell mit weiteren Studio-Cracks (Michael Jude/b; Peter Adams/keyb) das Trio LITTLE BLUE. Aspen/Colorado wurde als kreative Wahlheimat auserkoren (zum Jammen und Songschreiben), wohl um der Metropolenhektik entfliehen zu können. Ein weiser Entschluß, denn das 1997 (in einem kleinen New Yorker Studio) eingespielte Debütalbum ist ein entspanntes Werk aus einem Guß geworden, jenseits aktueller Trends, eine Mixtur aus Roots-Rock, Folk und Blues. „Angels, Horses & Pirates“ ist würdige Traditionspflege, revolutionäre Neuerungen sind hier Fehlanzeige. Dieses (vermeintliche) Manko gleichen Postell & Co. durch starke Songs mit eingängigen, dabei unverwechselbaren Melodien und z. T. ungewöhnlichen, sehr persönlich gehaltenen Texten aus.
Dem massiven Einsatz von Gaststars (u. a. Ex-ALLMAN BROTHER Warren Haynes, Robben Ford, Jennifer Warnes) hätte es eigentlich nicht bedurft. Die (um Drummer Steve Holly) erweitere Band ist so blendend aufeinander eingespielt, das erst recht Live-Auftritte eine Wonne sein müssen. Zugegeben, bisweilen erwischt man sich dabei, daß man die sehr abwechslungsreichen Stücke entsprechend bekannten Bands zuordnet. Da kommen einem STEELY DAN (z. B. bei „Any Way I Can“) oder THE BAND (z. B. bei „Wait Until You Get Here“) in den Sinn, oder bei „Like It Like That“ fühlt man gar an die (britische!) WORLD PARTY erinnert (Postells Stimme ähnelt auch der von Karl Wallinger). Sei’s drum: mit LITTLE BLUE habe ich zwar nicht die Zukunft des Rock gehört, aber dieses Quartett ist eine wohltuende Alternative zu ausgelaugten Dinosaurier-Bands à la GENESIS oder JEFFERSON STARSHIP. Kompliment an das Bremer Kleinlabel TAXIM, eine Lizenzausgabe für den hiesigen Markt gewagt zu haben.

Little Blue: Angels, Horses & Pirates
(TAXIM TX 2043)

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