Frl. Katjas Nähkästchen, Folge 8

Liebe Leser: heute muß ich erstmal was klarstellen. Frl. Katja existiert ausschließlich im Rahmen dieser Kolumne. Das nennt man „Rollenprosa“ (in der Lyrik hieße das „Rollengedicht“). Frl. Katja ist eine Kunstfigur, entsprungen dem kranken Gehirn ihrer Schöpferin und mit Namen versehen von deren Chefredakteur, der überhaupt die Initialzündung zu der ganzen Sache gab. Ist Frl. Katja unser Bastard???

Übrigens freu ich mich riesig über das Produkt des Kollegen Becker, hoffentlich gibts noch recht viele Tagebucheinträge!!! (Hey, Kai Florian: vielleicht machen noch ein paar andere mit, dann überschwemmen wir das Magazin mit Kolumnen und übernehmen den ganzen Laden, wie wärs?!) Naja, in Wahrheit gehen solche kleinen Frechheiten an die Adresse meines Chefredakteurs, der sich auch pflichtschuldigst empört zeigen und mir meine kleine Freude gönnen wird und doch genauso wie ich weiß, daß bestimmte Formen des Ungehorsams in Wirklichkeit herrschaftsstabilisierend wirken. Seufz.

Ich muß noch anmerken, daß diese Zeilen geschrieben wurden, bevor ich die Reminiszenzen des erwähnten Kollegen im seinem Tagebuch zu Gesicht bekam und wir uns hier nicht etwa aus reiner Routine Honig ums Maul schmieren. Nein, dazu ist unsere Zeit wirklich zu kostbar, und da würde auch unser Chefredakteur sicherlich sehr energisch werden. Bei Gott, welch Vorstellung: eine Kolumne nur aus Würdigungen des „Gegen“-Kolumnisten, einfach eine komplette Hommage und sonst nichts. Der WDR hat eine Sendung produziert, in der sich Arabella, Bärbel Schäfer, Jauch, Biolek, Willemsen, Domian und di Lorenzo 20 min lang anschweigen, aber sie trauen sich nicht, es zu senden…

Die Becker-Tagebücher bekomm ich immer vom Chefredakteur ausgedruckt und geschenkt, und ich heb sie auch alle auf!!! Ich heb auch alle Leserbriefe auf, naja, zumindest die netten (die sind bisweilen wirklich unglaublich nett!!!), damit ich sie später mal meinen Enkeln zeigen kann. Hm, dazu muß ich wahrscheinlich erst selbst Kinder machen, und ich weiß nicht, ob das was wird. Kann man vielleicht auch eine Stufe überspringen und direkt Enkelkinder adoptieren? (Natürlich „arme“ Kinder, wie Jessica Stich sich auszudrücken pflegt.)

Übrigens auch ein richtig fettes Dankeschön und ein ebensolches Kompliment an Raphael, den genialen Zeichner. Seine Illustrationen sind der einzige Teil dieser Kolumne, der auch in hundert Jahren noch bestehen wird, denn sie sind zeitlos schön. Sie zählen neben der Chinesischen Mauer und der Müllhalde auf Staten Island (die zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung das höchste Gebirge an der amerikanischen Ostküste und doppelt so hoch wie die Freiheitsstatue sein wird) zu den wenigen irdischen Dingen, die aus dem Weltraum mit bloßem Auge zu erkennen sind! DANKE!!!

In letzter Zeit überschlagen sich ein wenig die Ereignisse, die mich nötigen, dringend davor zu warnen, das fiktionale Frl. Katja mit der realen Katja Preißner gleichzusetzen. Der passiert es in letzter Zeit zum Beispiel, daß Leute im Kino, wo grad ein widerliches Dreckloch auf der Leinwand erscheint, sich rüberbeugen und fragen: „Siehts so bei dir aus?“ Nein, natürlich nicht, das heißt – ja, eigentlich doch – kommt drauf an, als wer ich hier sprech. Ich? Wer ist „ich“? Wer bin ich eigentlich? Hilfe! Wer ist „alter“ und wer „ego“??? Zahlt die Kasse die Behandlung?

Außerdem ist eine sehr gute Freundin der realen Katja Preißner einer fiesen Lüge des Frl. Katja aufgesessen (eine weitere hat gottseidank zur Sicherheit nochmal in der einschlägigen Fachliteratur nachgelesen, bevor sie sich unter Berufung auf Frl. Katja in Diskussionen blamierte), nämlich daß Metallica-Sänger James Hetfield schon 50 sei. Das stimmt natürlich nicht, das war nur des Fräuleins Rache für die „Re-Load“, ein ziemlich miserables Album der besten Band der Welt. Nur wirklich guten Bands grollt man als Fan bekanntlich tief und lange, wenn sie einen enttäuschen. Noch was: nicht daß ich ihn mögen würde, aber Jeff Lynne wird dieses Jahr bereits 100! Schon gewußt?!

Also: Frl. Katja nicht alles glauben, die hat eine blühende Phantasie! Studierten Literaturwissenschaftlern passiert sowas seltener, denn die wissen: der Erzähler ist nicht der Autor! Zumindest nicht im Bereich der fiktionalen Literatur, und auch im Rahmen der autobiographischen sollte man immer Vorsicht walten lassen, ob der Autor da nicht ein bißchen was schönliterarisiert. Man kann ganz sicher sein: Leute wie Goethe und Thomas Mann, die wußten ganz genau, daß ihre Tagebücher mal veröffentlicht werden. Und das nicht gerade gegen ihren Willen. Da schreibt man nicht rein, daß man heut Nacht wieder keinen hochgekriegt hat…

Jedenfalls: Erzähler nicht gleich Autor. Oberstes Gebot der Literaturwissenschaft! „Grundkurs Literaturwissenschaft, erste Stunde“ sozusagen. Zur Sicherheit werden die Studierenden der Germanistischen Fakultät zusätzlich noch an Elektroden angeschlossen, und für jede Identifikation von Erzähler und Autor gibts einen Stromschlag. Die Voltdosis steigt übrigens proportional zur Anzahl der Semester. Wollt Ihr mal meine Narben sehen? Im Falle dieser Kolumne könnte man höchstens von autobiographischen Bezügen oder Verwebungen sprechen, denn auch wenn Erzähler und Autor gleich heißen, darf man sie noch nicht gleichsetzen. Bei Frau Preißner siehts immer hübsch aufgeräumt und sauber aus, wenn Leute kommen – eine ihrer Ex-Mitbewohnerinnen könnte allerdings schwören, mit Frl. Katja zusammengewohnt zu haben… Aber dann sahs immer nur in deren Zimmer chaotisch aus, Küche und Bad hat sie immer geputzt, ehrlich! Oder war das Katja Preißner? Wenn man das trennen muß, könnte man dann eigentlich Frl. Katja zum Einkaufen schicken, während die echte Katja für ihre Prüfungen lernt? Das könnte auch mal praktisch werden, wenn man zwei Männer gleichzeitig liebt. Hey, gut zu wissen! Oder die eine muß zum Zahnarzt, und die andere geht solange ins Kino. Super!

Als Literaturwissenschaftlerin würde ich jetzt sagen: ich bewege mich auf einer Meta-Ebene und erzeuge Brüche in der Fiktionalisierung. Ich breche den geheimen Vertrag mit dem Leser, der bei jeder wie auch immer gearteten Lektüre abgeschlossen wird und die unterschiedlichsten Ausprägungen annehmen kann (der Leser einer Reportage hat mit deren Autor einen anderen Vertrag als der einer Science-Fiction-Geschichte mit deren Autor). Ich bürste die Erwartungshaltung des Lesers ein wenig gegen den Strich. Noch ein paar Stilebenen vermischt, ein paar „schiefe“ Vergleiche gezogen – und schon wirds Satire. Jetzt noch ein bißchen Ironie dazu, und siehe: ich bin distanziert und modern! Ein paar Wiederholungen machen das ganze komisch, jetzt alles laut lesen – und im Vortrag wird es Kabarett!!!

Die Montagetechnik und ein paar Verfremdungen zeugen von meinem sprachkritischen Bewußtsein, die Worte zerfallen mir sozusagen im Mund wie modrige Pilze. Pilze. Worte. Was ist das überhaupt? Wer sagt mir, daß sie wahr sind, für etwas stehen und mehr sind als nur kleine Anhäufungen abstrakter Zeichen? Aber Halt – das gehört jetzt schon in den Bereich der Linguistik, da hab ich nichts zu suchen! Und überhaupt: ist das vielleicht meine Aufgabe, mich selbst zu interpretieren? Muß ich denn alles selber machen? Wozu gibts denn studierte Germanisten? Sollen die alle arbeitslos werden, wollt ich grad fragen, aber – haha -, die sinds ja eh schon! Kennt man doch, typische Sätze beruflich eingespannter Germanisten sind: „Hey Küche, einmal Pommes, drei BigMäc und zwei Egg McMuffin, aber zackzack!“ oder „Doch, der Taxameter muß so schnell laufen!“

Wer nix wird, wird Wirt, heißt es im allgemeinen. Aber als Geisteswissenschaftlerin bietet sich mir da noch was viel Besseres: ich werd eine Intellektuelle! Eine Advokatin ohne Mandat. Eine Berufseinmischerin. J´accuse! Ja, klappt schon ganz gut: j´accuse, j´accuse, j´accuse. Und nochmal, weils so schön ist: j´accuse! Das kann man auf hundert, ach was: auf tausend, nein zehntausend verschiedene Arten sagen, man kann es zum Beispiel entzürnt wettern: J´ACCCCCUSSSE!!!!!!! Oder souverän und arrogant intonieren, denn ich weiß, ich bin im Recht: J´accuse. Man kann es auch betroffen und kaum hörbar hinhauchen: J´accuse. Ja, das wäre eine Möglichkeit. Ich üb schonmal, meine Stirn in Denkerfalten zu legen und skeptisch zu gucken. Was mach ich denn sonst noch so den lieben langen Tag, außer in Caféhäusern rumsitzen und rauchen? Och, ich nehm von Zeit zu Zeit nen Preis entgegen, halt hier mal ne Laudatio, helf da mal im Wahlkampf aus, denn ich bin das Gewissen der Nation. Ich engagier mich halt, wo ich kann. So´n Mist, daß es keine Anti-AKW-Bewegung mehr gibt, die hatten immer tolle Sitzblockaden, da brauchte man sich nur dazu zu hocken und war abends auch noch in der Tagesschau.

Oder ich geh bei Anti-Rassismus-Konzerten auf die Bühne und sonder ein paar Gemeinplätze ab. Ich mach politische Plakate und tu so, als hätte ich das Rad neu erfunden. Ich tingel durch Talkshows und klage die Allgegenwärtigkeit der Massenmedien an. Ich schreib offene Briefe.

 Fiktionales Frl. mit Lorbeerkranz

Ich finanzier mich durch Stipendien und geh ab und zu mit meinem Mäzen ins Bett. Ich lebe neue Formen freier Partnerschaft. Vielleicht hab ich einen Partner, der schlauer ist als ich, dann schreib ich alles ab und komm selbst ganz groß raus. Ich verfasse freche Kampfschriften, und wenn mir der Stoff ausgeht, rufe ich den Tod der Literatur aus. Das kann man so alle dreißig Jahre mal machen, dann ist wieder Gras über die Sache gewachsen, und es hat wieder keiner gemerkt, daß diese Abgesänge so alt sind wie die Literatur selbst. Ich fahr auf Dichterkongresse, au ja! Schade, daß es die Gruppe 47 nicht mehr gibt, das war noch toll, mal ein paar Tage Schwarzwald, mal eine Woche Amerika… Zahlt alles der Verlag. Und dann immer in der ersten Reihe sitzen und dissen, wenn ein Kollege vorliest! Wie? Was? Ich bin dran? Äh äh, hüstel, äh mein Hals-Nasen-Ohren-Arzt hat mir streng verboten, mehr als drei zusammenhängende Worte laut zu sprechen. Bitte? Jemand anderen meinen Text vorlesen lassen? Oh, huch, mein Manuskript hat sich grad in Flammen aufgelöst. Spontane Selbstentzündung… Nein, das ist wohl doch nicht das Richtige.

Aber moment mal, vielleicht gibts ne andere Lösung: wie komm ich auf Dichterkongresse ohne mich selbst zu blamieren, kann aber trotzdem weiter andere blamieren? Genau! Ich werd Kritiker! Das ist besser als Lektor, weil: der sitzt immer im Verlag und muß den ganzen Scheiß tatsächlich auch noch lesen. Ja, mal sehn. Ich halt mir die Option mal offen.

Frl. Katjas Warenkörbchen

Da fährt man schon extra nach Amerika und guckt in jede New Yorker Grocerie und in jeden Deli Shop, aber nix is mit ausgeflippten Snacks oder atemberaubenden Nahrungs-Novitäten. Nur rote und rosa TicTacs, aber das war mir zu langweilig. Kaum aber ist man zurück im toten, heimischen Nest, stiefelt man ins Karstadt und stolpert prompt über eine stümperhafte Freiheits-Statue aus Pappmaché, die vor einem Ethno-Food-Regal aufgestellt ist, in dem sich außer US-Spezialitäten auch Produkte aus Fernost und der Schweiz tummeln. Also nix wie ran.

„6 Feet Bubble Tape. Snappy Strawberry“

Ei, was ist denn das? Ein „Bubble Tape“? Ich greif mir (wie bei allem im Leben) mit Vorliebe bunte, poppige Sachen aus dem Angebot. Je mehr Plastik, desto besser. Ich gehör normalerweise auch zu den Leuten, die lieber Instant-Kartoffelpüree als selbstgestampften essen und lieber Tütensuppen als selbstkredenzte schlürfen und – normalerweise – auch lieber Tiefkühlpizzas mampfen als handgemachte (es sei denn, es ist eine made by Pia)! Da ist dieses Bubble Tape ja wie für mich geschaffen, denn es steckt in einer roten Plastikdose, rund und platt. Gibts auch in lila, aber ich kann mir die Geschmacksrichtung einfach nicht merken. Als ich zu diesem Zweck das Ethno-Food-Regal ein weiteres Mal besuchte, stand plötzlich wie aus dem Boden gewachsen mein Chefredakteur hinter mir und murmelte irgendwas von wegen Geschmackskontrolle. Diese Überraschung eliminierte augenblicklich die zuletzt getätigten Merkvorgänge, deshalb weiß ich immer noch nicht, was die lila Geschmacksrichtung ist…

Jetzt aber: erst mal vorne und hinten die vorgestanzten Streifen abziehen, dann das ganze Teil in der Mitte aufklappen und – juppdidu: drinnen steckt eine Art Tesafilm-Rolle aus rosa Kaugummi! Da kann man sich prima ein Stück Streifen rausrollen und beim Zuklappen der Schachtel praktischerweise gleich abschneiden. Echt klasse, denn das kennt man ja: da hat man einen Wrigleys Spearmint in der Hand, doch man weiß: jetzt will ich nur einen halben, für einen ganzen reicht der Hunger nicht, oder ich weiß, in 5 Minuten hab ich einen Termin beim Zahnarzt, und für die kurze Zeit einen ganzen Kaugummi verschwenden? Nein, mit dem Bubble Taper passiert einem sowas nicht. Der Kaugummi kann auch nicht in der Hosentasche zerdrücken und zerfleddern, dafür paßt die Tape-Dose aber auch nicht sooo gut in die Hosentasche, sei´s drum. Die Ursprünge des Bubble Tape liegen übrigens im alten Griechenland, als Ariadne merkte, daß sich bei Labyrinth-Touristen mit gerollten Kaugummis noch mehr Geld machen läßt als mit profanen Garnknäueln.

Dreht man den Tape-Roller um, kann man sich auf einem aufgeklebten Schildchen über die Ingredienzien informieren, die da unter anderem wären: Zucker, Kaumasse, Glukosesirup, künstliches Aroma Äthylvanillin, Farbstoff E 122, Antioxidant E 321 und und und. Diese ganzen „E“s erinnern mich übrigens an eine Zeit Mitte der 80er Jahre, als man als zeitkritischer und kulturpessimistischer (oder auch einfach nur hysterischer) Teenager immer eine Liste mit sich führte, auf der die Bedeutung sämtlicher „E“s aufgeschlüsselt und verzeichnet war. Das hat irgendjemand in meiner Klasse angefangen, und alle anderen habens nachgemacht, dabei hat man dann en passant gelernt, ein Kopiergerät zu bedienen. (Und hatte seinen Lehrern was voraus, die immer noch mit den gräßlichen Matrizen operierten. Gott, haben die immer gestunken. Derart benebelt sollte man dann auch noch die unleserlichen Aufgabenstellungen entziffern und gute Noten produzieren… Matrizen gibt´s übrigens heute immer noch, ich hab einen Freund von mir gefragt, der ist Referedar und kennt keine Skrupel. Ja, er ist ein liebenswerter Freund, aber als Lehrer ein fieser Hardliner. Dr. Jeykill und Mr. Hyde…) Zurück zu den Mitt-Achtzigern: das war die Zeit, in der man nur heimlich zu McDonalds gehen konnte, nachdem Wallraff sein „Ganz unten“ veröffentlicht hatte. Rotze, Kotze und Kakerlaken in Hamburgern, mit dem Kloputztuch über die Eßtische… Nicht gerade einladend. Alles Schlechte kam halt aus Übersee, die ganze Turnschuhmode, der Kaugummi… „Negerblut“ nannte ein Bio-Lehrer meiner Schule, Grünen-Mitglied und bei jeder Öko-Veranstaltung mit erhobenem Zeigefinger in der ersten Reihe zu finden, ein limonadenhaltiges Erfrischungsgetränk namens Coca Cola. Und dann die ganzen Nahrungsmittelskandale dieser Zeit: Frostschutzmittel im Wein, blutige Küken in Frischei-Nudeln und alles andere sowieso radioaktiv verseucht und mit Hormonen vollgepumpt. Wieso leb ich eigentlich noch? Wahrscheinlich bin ich durch meine Instant-Food-Vorliebe einfach resistenter als die ganzen Müsli-Freaks. Jawohl, das wird es sein!

A-Note: 4 (penetranter Erdbeer-Geschmack)
B-Note: 1 (Perfekt! Ach, wenn doch alle Nahrung so praktisch zu handhaben wäre...)

Meine Instant-Food-Vorliebe korrespondiert natürlich hervorragend mit meiner Kochfaulheit. Auf eine griffige Formel gebracht, kann man sagen: je mehr es raschelt, desto einfacher die Handhabung. Im besten Fall heißt das: aufreißen und rein damit. Und was stand lange auf meiner Raschel-Hitliste ganz oben? Na klar: Kartoffelchips! Kartoffelchips zum Frühstück, Kartoffelchips zum Mittagessen und Kartoffelchips zum Abendessen. Das Zeug macht süchtig, und man weiß ja, daß verbrecherische Lebensmittelfirmen mit Zutaten arbeiten, die den Verbraucher zum willenlosen Objekt ihrer Machenschaften mutieren lassen. (Solche Mittel sollen auch in Salatsoßen von Knorr und Maggi etc. sein, und sie bewirken, daß man einfach nicht mehr aufhören kann zu essen. Ja-ha, da denkt man immer: die Medien, die Industriemafia, Big Brother und so weiter, aber auf sowas Simples wär nicht mal Orwell gekommen, gell?!!) Doch irgendwann wird man erwachsen und denkt sich: ogottogott, was wird wohl mein Cholesterinspiegel dazu sagen? Dann geht man zu den ACs (den Anonymen Chipsessern, stehen in jedem Telefonbuch, gibts in jeder Stadt), trifft sich mit anderen Betroffenen, tauscht sich aus und erarbeitet Strategien zur Suchtbewältigung. Als erstes lernt man: die Sucht selbst bleibt latent immer vorhanden, man kann sie höchstens kontrollieren. Also süchtig, aber trocken. Ich weiß noch nicht, wem ich meine Sucht in die Schuhe schieb: meinen Eltern von wegen schlechter Kindheit und so, zu strenge Erziehung (mit ein bißchen mehr Fernsehkonsum und öfters mal ein paar Süßigkeiten wär das vielleicht nicht passiert…), den Lehrern, den Nachbarn, der Gesellschaft, der postmodernen Kultur??? Naja, mir wird noch was Hübsches einfallen. Wie auch immer: auch für uns Chipsesser gibt es eine Art Methadon. Es raschelt beim Aufmachen wie eine Chipstüte und steht auch im selben Regal, denn uns Süchtige ziehts sowieso immer wieder an den Ort des Verbrechens, ob trocken oder nicht, aber immerhin haben wir so die Chance, etwas Gesünderes zu greifen, nämlich: Salzstangen!!! Und wir sparen noch Geld dabei, denn Salzstangen sind ungleich billiger als Chips. So wie Kaugummis auch billiger sind als Zigaretten. Jedenfalls: die Salzstangen-Palette ist unglaublich breit, die Qualitäts-Unterschiede sind riesig, und damit sich der Kunde nicht im Salzstangen-Dschungel verirrt, nimmt sich Frl. Katjas Warenkörbchen heute mal des Themas an.

Vor mir liegen 4 verschiedene Sorten Salzstangen, und ich weiß aus langjähiger Salzstangen-Erfahrung natürlich längst, wo der Hase begraben liegt, aber ich tu trotzdem mal so, als würde ich sie alle zum ersten Mal probieren, um der Gründlichkeit und Vollständigkeit willen. Man hat als Verbraucherschützer so seinen Ethos. Einschränkend muß ich sagen, daß ich mich hier auf Produkte der preiswerten Art konzentriere, denn ich weiß aus meiner Knabber-Praxis, daß die teureren nicht unbedingt die besseren sind.

„Plus Salzstangen. Knuspriger Party-Spaß“

Wer schreibt eigentlich diese (dämlichen) Aufschriften auf Alltags- und Konsumprodukten? Wär das nicht vielleicht auch ein Job für mich? Sowas schaff ich als akademisch geprüfte Germanistin grad noch: Knus-pri-ger-Par-ty-Spa-haß. Vielleicht geh ich mit meinen Salzstangen auch einfach zu „Wetten, daß…?“. Euch erkenn ich mit verbundnen Augen, ohne Licht und in der Dunkelheit…

Knabber...

125 g edelster Knabber-Spaß für 39 Pfennig. 11, 5 cm lang, eher mittelgewichtig, glänzend, dezent gesalzen und von erlesener Qualität. Charakteristisch für Plus-Salzstangen ist der harte Schnitt an beiden Enden (ja, nicht nur die Wurst, auch die Salzstange hat zwei Enden!), der die golden-braune Färbung, wie auch einst die Stranglers sangen, von irisierenden Einblicken in das weiße Wesen flankieren läßt. Eine hübsche kontrastive Optik, in der sich bei richtiger Handhabung das Licht bricht. Hach, Salzstangen sind eine poetische Angelegenheit, ich werde sogleich ein Erlebnisgedicht dazu verfassen, aber vorher räsonniere ich noch über die implizierte Verschiebung der Dimensionen – nur bei Plus-Exemplaren! -, denn während die längliche Salzstange eine Vorstellung von Zweidimensionalität evoziert, quasi eine Strecke von Punkt A nach Punkt B, öffnet der Blick auf das angeschnittene Ende die Vorstellung zur Tiefe hin. Wenn man die Salzstange geschickt hin und her bewegt, oszilliert das Empfinden zwischen Fläche und Raum bis hin zur Simulation restloser Simultaneität. Übertreibt man dieses ästhetische Experiment, kann es passieren, daß einem schwindelig wird und man die Salzstangentüte zweckentfremden muß. Mit Plus-Salzstangen liegt man immer richtig, sie fühlen sich durch diese glänzende Glasur einfach prima an und sind vollkommen unaufdringlich im Geschmack. Wenig Qualitätsschwankungen. Kein Sichtfenster. Angenehm anzuschaun in blau-roter Packung mit abgebildeten Salzstangen in erotisch-gedimmter Atmosphäre.

A-Note: 1 (nix bitter oder verbrannt, sondern richtig fein, wie der Saarländer sagt)
B-Note: 2 (gilt für alle Salzstangen-Packungen: wenn man die Dinger aus der Tüte ißt, sollte man die Frontseite etwa zur Hälfte einreißen, dann hat die Greifhand "genug Spiel", und auf der Rückseite gibt´s keine Sauerei)

„Beste Salzstangen. Laugengebäck“ (Karstadt)

# Diese Marke ist die Diva unter den Salzstangen: erwischt man eine richtig gute Packung, sind es die besten überhaupt, wenn nicht, kann man sie gleich wegschmeißen. Immerhin hat man die Chance, das Risiko zu kalkulieren, denn das Sichtfenster erlaubt einen Blick ins Innere. Je heller, desto besser. Dann bewahren sie noch ihren Eigengeschmack und schmecken nicht nur nach Kohle. Es knabbert sich auch anders, wenn die Salzstangen nicht ganz bis auf Mark durchgebraten sind, sondern nur gerade so, daß es „backt“. Mit 12, 5 cm sind sie einen ganzen Zentimeter länger als ihre Schwestern vom Plus, und auch sonst sind sie die Bulligen unter den Präsentationen: dicker, schwerer und massiver. Dies entfremdet sie ihren natürlichen Partnern, den Zähnen, denn jene reflektieren im Beißen die Konsistenz und sind es nicht gewohnt, sich mit Salzstangen so abrackern zu müssen. Man kann sagen, „Beste Salzstangen“ weigern sich, die Erwartungshaltung der Zähne zu bedienen. Also, nicht so elegant wie die Plus-Kollektion, vorn matt-spröde und hinten mit schartigen Abdrücken der Backbleche. Keine Schönheit, aber sicherlich der interessanteste Geschmack, der nur noch entfernt mit dem klassischen, flüchtigen Stixi-Flavour zu tun hat. Ja, hier handelt es sich nicht einfach um Salzstangen, sondern um Laugengebäck.

A-Note: 1 oder 4 - je nachdem!
B-Note: -1 (ein Strafpunkt für die widerliche grün-rot-weiße Umhüllung, die ist wirklich häßlich)

„Pauly Salzsticks“ (ALDI)

Sie sind die leichten unter den Salzstangen. Schnörkellos, klassisch, gut. Unscheinbar und unaufdringlich, übrigens genauso oben und unten angeschnitten wie die von Plus. Kaum Schwankungen in der Qualität. 11,5 cm lang, von zartem Braun und etwas laugig im Geschmack, bisweilen mit zuviel Salz gespickt, und die Dicken sind besser als die Dünnen. Dies übrigens als grundsätzliche Empfehlung, denn Dünne sind meist total hart und zu Steingut gebrannt. Ab und an findet man auch mal welche, die aneinander geschweißt sind – für einen Salzstangenfan das Highlight schlechthin. Man möchte eine Sammlung anlegen, sie mit Nadeln auf ein Filzbrett pinnen und hinter Glas ausstellen oder in Spiritus einlegen und auf den Schrank neben die präparierten Föten stellen – aber sie schmecken einfach zu gut. ALDI ist ein verläßlicher Qualitätspartner und besticht auch in Sachen Salzstangen durch Simplizität statt billiger Effekthascherei. Das Outfit ist ein bißchen oldfashioned – rustikal und blau-weiß-rot. Mit Sichtfenster – erübrigt sich hier aber, kann man bedenkenlos auch mit verbundenen Augen in den Wagen packen. Die 250 g sind locker und luftig verpackt und liegen gut in der Hand. Sehr zu empfehlen!

A-Note: 1+ (wirklich beeindruckend und so zart, daß sie sicherlich in Milch schwimmen!)
B-Note: 3 (Packung: naja...)

„Snackday Sticks“(LIDL)

Huah, was für eine grelle Packung in poppigen Primärfarben (gelb, rot, blau und grün). Bunt und plump, keine Modefarben oder so. Sieht eher nach Kindergeburtstag aus, sind aber normale Salzstangen. (Durftet Ihr früher auch immer die Einladungen für Eure Kindergeburtstage selbst machen? Das war ein Spaß! So kleine Blanko-Pappkarten, die man bemalt und mit Text versehen hat, den man sich vorher gemeinsam mit der Mutter ausgedacht hat. Zuerst wurden die Karten für die Lieblingsfreunde geschrieben, und zum Schluß dann die für die Sidekicks und Mauerblümchen. Am Verteiltag ging man dann besonders gern in die Schule, und alle, die eingeladen waren, waren besonders nett zu einem. King for one day…)

Aber weiter: blickt man von oben auf die Salzstangenschar (250 g), schaut ein Feld zusammengenknipster Köpfchen zurück, noch extremer als bei denen von Karstadt, wo ich das auch gar nicht erwähnt hab. Snackday Sticks sind fast 12 cm lang und außergewöhnlich dick!!! Vielleicht kann man sie zum Bauen von Jägerzäunen verwenden oder für die Begrenzung pseudo-alternativer Gartenteiche, wie man sie seit Anfang der 80er aus westdeutschen Neubaugebieten kennt. Diese Mäuerchen aus aneinandergereihten, oben flach abgesägten Holzpfählen sind geradezu ein Klassiker postmodernen Gartenbaus! Obwohl sie mit Garten selbst ja wenig zu tun haben, es handelt sich dabei ja nicht um Beflanzung, sondern mehr um ein Gartenaccessoir.

Leider schmecken Snackday Sticks nicht ganz so gut, ziemlich fade, neutral und geschmackslos. Da merkt man erst richtig, wie trocken Salzstangen eigentlich sind. Dies könnte man vielleicht als Gütekriterum formulieren, so wie sich gutes Make up dadurch auszeichnet, daß man es nicht wahrnimmt, so lassen einen gute Salzstangen vergessen, daß sie nur Salzstangen sind. Also, mein Fall sind die hier nicht.

A-Note: 3 (es fehlt die besondere Note)
B-Note: 4 (eklige Farben)

Ich für meinen Teil ziehe es ja vor, das Salz von den Stangen abzubröseln (genau wie bei den Laugenbrezeln, mir ist das sonst zu penetrant, soviel kann ein Mensch auch gar nicht trinken, daß es eine derartige Salz-Überdosis ausgleichen würde). Nur wenn ich mir einen Dip mach, laß ich es dran und tu dafür einfach weniger Salz in den Dip. (Ein Tip von meiner Mutter, die kommt ja aus Mähren oder Pommern oder Schlesien oder weiß der Teufel woher, jedenfalls kochte man da immer mit ganz viel Kuddeln und Kohl, und als wir damals fliehen mußten, konnte man ja gar nichts mitnehmen, nur Salzstangen, und um eine richtige Mahlzeit draus zu machen, stampfte man einen Dip aus Maggi und Küchenwein und bla bla…) Meinen Dip mansch ich mir aus Quark, Milch, Knorr-Gewürzmischung, Salz und Pfeffer, Kräutern und viel Tomatenmark (wahlweise auch Senf). Das nächste Mal könnte ich Zwieback rezensieren, da gibts auch verschiedene Sorten, und ich bin ja mittlerweile sowas wie der TÜV für Grundnahrungsmittel.

Da fällt mir ein, ich muß mal meinen Chefredakteur fragen, wie man eigentlich Dominosteine korrekt ißt: längs runter oder seitlich-quer, also jeweils jede Schicht einzeln, erst das Marzipan, dann den Gelée und zu guter Letzt das Gebäck??? By the way, ein Tip an Kollegen Becker: mit Dominosteinen ist der Chefredakteur sicherlich am leichtesten „ruhigzustellen“ (die Anführungszeichen sind eine Konzession an den höchstwahrscheinlich mitlesenden Chefredakteur, sonst gibt´s Haue, hab mich eh schon viel zu weit aus dem Fenster gelehnt), das ist billiger und natürlich auch weniger arbeitsaufwendig als Plätzchenbacken. Am meisten kann man bestimmt mit weißen Dominosteinen punkten, denn die sind viel teurer als die braunen, und man zeigt damit, daß man auch noch den langen Weg zum Karstadt auf sich genommen hat: hoher Goodwill-Faktor!!! Vielleicht nur noch zu steigern durch selbstgemachte Dominosteine, mundgeblasen und mit eingeritztem Monogramm. Marzipan wird, glaub ich, aus Mandeln und Rosenwasser gemacht… Na dann, viel Spaß, Kai Florian!

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