Frl. Katjas Nähkästchen, Folge 20 (Teil 2)

Übrigens: Ich hab eine neue Brieffreundschaft. Mit der Telekom. Eigentlich will ich nur einen Handyvertrag abschließen, und das geht in meinem Fall nur postalisch. Jetzt faxen wir uns munter Formulare hin und her, die Telekom und ich. Uns fehlt leider noch eine Unterschrift, Frl. Katja. Und noch eine. Und noch eine… Auf dem Blatt ist kaum noch Platz, ich blick schon lange nicht mehr durch. Aber eines Tages wird er kommen, der Tag der Lieferung. Hallo Frl. Katja! Hier sind ihr Handy und die drei Waschmaschinen…

Mein Zimmer liegt im zehnten Stock. „Möchten Sie gern hoch wohnen oder lieber tiefer?“ hatte die Frau an der Rezeption beim Einchecken gefragt. Das Hotel ist 123 m hoch, es hat über 30 Stockwerke. „Tiefer.“ Ich hab ja große Angst vor Hotelbränden und denke, die Sprungtücher eher zu treffen, wenn der Abstand nicht zu groß ist. „Ach“, sagt Gabi, die mich begleitet, „wenn´s brennt, nimmst Du einfach den Aufzug.“

Im Fernsehen blamieren sich gerade Deutschlands döfste Promis. Helmut Karasek weiß nicht, seit wann der aktuelle Papst in Betrieb ist. Und alle zusammen wissen nicht, dass Linux ein Betriebssystem ist. Günter Jauch betont „Vulkanier“ auf der letzten Silbe, i-e-r zusammengenommen. Wie Scharnier. Spock wird´s vernommen haben, irgendwo im Weltall. Marcel Reif macht als einziger etwas richtig. Er legt die Stirn in Dackelfalten und sieht aus wie George Clooney. Dirk Bach weiß, dass man Essensreste im „Doggy Bag“ mitnimmt. Keine Überraschung. Im Ersten setzt Sabine Christiansen ihre Ich-guck-jetzt-Eure-Schularbeiten-nach-Brille auf und stellt die Gäste vor. Walter Leisler Kiep wirkt verheult. Er bedankt sich für die Einladung und grüßt erstmal seine ganze Familie. Egon Bahr guckt professionell desinteressiert. In Wahrheit sammelt er Material für seinen neuen Roman. Backstage. Die Show ist nur das notwendige Übel. Dann schlaf ich ein.

Ich stöber so durch die Stadt. Mal wieder in den Zille-Hof. Fasanenstraße, kurz hinterm Kempinski. Meine Mutter schimpft am Telefon: aufgeräumte Flohmärkte seien einfach das Letzte. Und im Zille-Hof sei alles so akkurat in Regale geräumt. Ich dagegen würde mich über mehr Ordnung im Zille-Hof sehr freuen. Wenn zum Beispiel in der Vinyl-Abteilung die Disco-Platten nicht munter verstreut zwischen Volksmusik und Weihnachtsliedern stünden. Ich werde trotzdem fündig. Bei den Singles. „Lied der Schlümpfe“, „Was wird sein, fragt der Schlumpf“, „Polonäse Blankenese“, „Ja wenn wir alle Englein wären“, „Silverbird“ – und Walter Scheels „Hoch auf dem gelben Wagen“! Coverphoto: Charles Wilp. Lokalkolorit: Schloß Gymnich bei Köln. Heute im Besitz der Kelly Family. Über die Leidensgeschichte dieses Schlosses ließe sich ein langes, dramatisches Fernsehfeature drehen… Die Preise im Zille-Hof sind noch dieselben wie vor 15 Jahren. LPs zwei Mark, Singles eine Mark.

Am Prenzlauer Berg gibt es sogar einen riesigen Biergarten namens „Prater“. Fast ein Drittel seiner Fläche sind Fahrradständern vorbehalten – und noch immer bleiben massig Bänke übrig, unter riesigen Laubbäumen mitten zwischen noch riesigeren Häusen, mitten in Berlin… Hinter manchem Haus drängeln sich noch drei weitere, was dazu führt, dass die mittleren nicht mal im Sommer richtig Licht kriegen. Ich werde auf einen Hinterhof geführt, in dem sich DDRler einen richtigen kleinen Park angelegt haben, mit Spielplatz, Spazierwegen und improvisiertem Skulpturengarten. Als der protzige Fassadenschmuck irgendeines Prunkgebäudes entsorgt werden sollte, haben die Bewohner dieser Häuser einfach zugegriffen und die Brocken auf ihren Hof geschleppt. Hier liegen sie nun rum, sind Gebrauchskunst, wie der Kletterbaum für uns Kinder im Garten meiner Eltern. Recycling auch ein paar Straßen weiter: die Kulturbrauerei war mal das, was ihr Name schon verrät, eben nur für Bier. Jetzt ist sie eine Art Holiday Park für Freunde alternativer Kultur, vom Programmkino bis zum Theater. Mich erinnert das ganze Gelände an die Industriekultur meiner saarländischen Wahlheimat, und nun sind es schon drei Dinge, die mir in Berlin Heimat bedeuten: „The House of Villeroy&Boch“ am Ku´damm, die Stimme von Karl-Heinz Kaul in den ARD-Trailern und die Prenzlauer Hütte, äh, Kulturbrauerei. Eine Saarbrücker Straße gibt es in Berlin auch. Die sieht ungefähr so aus, wie der übrige „urige“ Prenzlauerberg. Einzig ein saniertes Haus macht auf Extrawurst: das Haus, das Alfred Biolek gekauft hat. Und der Marmor im S-Bahnhof neben der Thüringischen Landesvertretung stammt aus Hitlers Reichskanzlei, ja-ha. All diese Dinge lerne ich von einem Mann, den ich vorher nur von Zeit zu Zeit in Briefmarkengröße aus meiner Zeitung blicken sah: Bernard Bernarding, der Berlin-Korrespondent der Saarbrücker Zeitung.

Um die Ecke liegt der Kollwitzplatz, der Inbegriff Prenzlbergscher Ausgeh-Idylle. In dem stilvollen Altbau gegenüber des Spielplatzes wohnt Wolfgang Thierse, der Aufhebens und Sicherheitsmaßnahmen gleichermaßen scheut. Einziger Tribut an seine Prominenz: das Tor zu einem jüdischen Friedhof hinter seinem Haus bleibt nun durch eine Kette verriegelt. Hier endet meine Privatführung durch den Prenzlauerberg, veranstaltet durch einen saarländischen Autor, der schon ganze vier Wochen länger in Berlin ist als ich. Er wird auch noch etliche Monate länger bleiben, denn er hat ein Stipendium für ein komplettes Berlin-Jahr. Frl. Katja hat sich immerhin vier Wochen erschrieben, kein schlechter Schnitt. Jetzt wäre wieder mal ein Heiratsantrag eines Lesers fällig…

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