Schweizer Kolumne (2)

Wenn die Leute im Konzert klatschen

Musikproduzent Ry Cooder, Wiederentdecker der kubanischen Altstars vom „Buena Vista Social Club“ hat es schon selbst gesagt: Die Musik der „Supergrossväter“ von der Zuckerinsel locke vor allem die weisse Mittelklasse an, die Jugend in den lateinamerikanischen Ländern könne damit nicht viel anfangen. Cooder störte das ein bisschen, und er hoffte, mit dem Nachfolge-Album von Ibrahim Ferrer ein grösseres und gemischteres Publikum zu finden. Der „Social Club“ ist seit drei Jahren Lieblingstonspur für unzählige Bar-Abende, am liebsten unter freiem Himmel, und der Schmelz in der Stimme des fünfundsiebzigjährigen Ibrahim Ferrer ist kaum zu überbieten. Ihre Songs beschwören wie der Rauch einer feinen Zigarre Bilder herauf aus alten Filmen, in denen die Welt noch einigermassen in Ordnung, das heisst romantisch und leidenschaftlich war.

Kürzlich traten Ferrer und die Piano-Legende Ruben Gonzàlez im Zürcher Kongresshaus auf. Ich bin nicht gerade Stammzuschauer von Fernsehsendungen, die sich mit dem sogenannten volkstümlichen Schlager beschäftigen, und die Hitparade mit Dieter-Thomas Heck hab ich auch schon lang nicht mehr gesehen. Ich weiss aber, dass in diesen Sendeformaten das Zuschauermitklatschen zur Stimmungsmache in der Sendung gehört. Und aus irgendeinem Grund hatte sich ein Teil des Publikums solcher Sendungen an dieses Konzert in Zürich verirrt. Vermutlich war es die weisse Mittelklasse, vor der sich Ry Cooder mit gutem Grund fürchtet, weil ihre Mitglieder üblicherweise Schwierigkeiten mit ihren Gefühlen, speziell dem Rhythmusgefühl haben. Also wird fröhlich gelärmt und gewippt und unbeirrt drauflosgeklatscht, schliesslich macht man das schon in der TV-Sendung „Schlag auf Schlager“, da kann es hier nicht falsch sein.

Sie klatschen mit, und dann auch noch auf die Eins, also im Viertakt den ersten und dritten Schlag, statt wie es das elementarste Gefühl von Funkyness vorschreibt, auf die Zwei, also den zweiten und vierten Schlag. Nein, der Marschrhythmus muss es sein, wie ihn die Kindergärtnerin früher mit dem Tambourin vorgab. Und natürlich gingen in diesem Geklatsche die Subtilitäten der Musik verloren. Dafür stellte sich ein Gefühl ein, als müsste ich das Elend der Welt auf meinen Schultern tragen, denn natürlich fühle ich mich den Musikern gegenüber verantwortlich für die Rüpelhaftigkeit meiner Landsleute, die glauben, Musikrichtungen wie Son, Bolero oder Danzon hätten irgendetwas mit der grauenerregenden Art von Unterhaltung zu tun, wie man sie von Hansi Hinterseer und dergleichen geboten kriegt. Warum erschliesst es sich den Menschen nicht, wie unsensibel es ist, Mallorca-Rituale mit dieser wunderbaren Musik in Kontakt zu bringen?

Natürlich haben Mitklatsch- und Mitsing-Aktionen ihre Berechtigung, wo es um die Unterhaltung von Massen geht. In einem Stadion oder an Hip-Hop-Veranstaltungen wird ja immer gerne mit den Armen gefuchtelt und ein bisschen auf Einheit gemacht, damit die Leute gemeinsam etwas unternehmen, und sei es auch nur „Hey Yo“ zu johlen. Aber genau deswegen sollten die Menschen an einem Anlass, an dem der Latin-Jazz zelebriert wird, eigentlich besseres zu tun haben, als sich zu benehmen wie im Stadion, wenn Brian Adams aufspielt. Denn bekanntlich besteht der Reiz von improvisierten Musiken nicht zuletzt darin, dass unvermittelt der Rhythmus und die Phrasierung geändert werden, worauf die Mitklatscher dann jeweils als das dastehen, was sie sind, nämlich zu Tode unterhaltene Monster ohne Feingefühl. Ganz nebenbei ruinieren sie dann auch noch allen anderen das Vergnügen, die gekommen sind, sich an den Einfällen der Musiker zu erfreuen.

Zur Ehrenrettung der Gäste am Konzert letzten Dienstag sei gesagt, dass die Klatscherei jeweils recht schnell wieder aufhörte, sicher schneller als das in Deutschland der Fall gewesen wäre, wo das Ritual tief verwurzelt ist. Leider trat bei diesem Klatsch-Stopp ein anderes Problem zu Tage, nämlich die schweizerische Verklemmtheit, mit der die Klatschenden um sich blickten, um dann peinlich berührt zu verstummen. Das war mir dann auch wieder nicht recht. Hoffentlich werde ich im nächsten Leben in Kuba geboren. Oder als Fan von Hansi Hinterseer.

Die erwähnten Alben sind über World Circuit/RecRec erhältlich.

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