Viva MTV!

Es war am 1. August 1981, als im amerikanischen Fernsehen ein Mann auf dem Mond landete. Er stieg aus einem Raumschiff, in der Hand die obligatorische Fahne, die er nun natürlich hisste, aber statt Stars-and-Stripes gabs nur drei Buchstaben: TVM klang den Machern zu platt. MTV schien da schon mehr herzumachen. MTV, wie: Music Television. Ein Fernsehkanal, nur mit Musikvideos. Das war der Anfang.

Fast zwanzig Jahre später ist Gelegenheit, zurückzuschauen. Die bunte Bilderflut auf MTV begann als kleiner amerikanischer Kabelsender, der erst nach drei Jahren in die Gewinnzone kam, dann allerdings sofort an die Börse ging und heute ein Viertel der Weltbevölkerung erreicht. Ein globales Phänomen also, das auch die Wissenschaft interessiert. Eine Aufsatzsammlung zum Thema ist in der Reihe „Edition Suhrkamp“ erschienen: „Viva MTV! Popmusik im Fernsehen“. Der grellgelbe Einband ist das einzige Zugeständnis an das hippe Thema, der Rest sind Buchstaben. Zum Gutteil reichlich kopflastig, nach Art des Hauses eben. Aber selbst in diese Kapitel lohnt es sich reinzugucken. Sie liefern einen tollen Einblick in Egghead-Hirne, die sich des Themas „Popkultur“ annehmen. Auch wenn man kein Wort versteht: eine Super-Stippvisite in geisteswissenschaftliche Denkwelten! Zwei Drittel des Buchs sind aber wirklich gut lesbar, auch für Fans handfester Facts. Viel Geschichte, noch mehr Ökonomie, ein bißchen Inside und eine Reihe von Videoanalysen. Jeder, der wie ich, Michael Jacksons „Thriller“-Video für hoffnungslos überschätzt hielt (…kein Werk eines Spielfilm-Regisseurs, der sich einfach traut, die 3-Minuten-Grenze zu sprengen und narrative Kunst zu machen, sondern das Werk eines Spielfilm-Regisseurs, der aufgrund ebendieser Karriere überhaupt erst gar nicht in der Lage war, sich auf abstrakte 3 Minuten zu beschränken!), muß sich eines besseren belehren lassen.

Die durch die Clips etablierte neue Filmästhetik interessiert nur am Rande, der Inhalt schon eher, aber zu fassen ist MTV vor allem über den ökonomischen Blick. Denn anders als McDonalds oder Microsoft wurde MTV nicht als Liebhaberprojekt in der sprichwörtlichen Garage geboren, sondern direkt ganz oben in den Chefetagen des alten Finanzestablishments. Ausgerechnet ein Fernsehkonzern gab den Anstoß zu dem Projekt, das vor allem die Popmusik verändern sollte. Nicht ohne Grund zählen Madonna und Michael Jackson zu den erfolgreichsten Stars der letzten 20 Jahre. Sie nutzten das neue Medium am konsequentesten, um sich selbst zu inszenieren und immer wieder neu zu erfinden.

Der Rahmen war kühl kalkuliert, der Inhalt zweitrangig. Dass MTV heute mit Pop statt Rockmusik verbunden wird, liegt daran, dass britische New Wave Bands die ersten waren, die auf das neue Format setzten.

Der Tonträgerbranche kam die Idee zu MTV sehr gelegen, sie steckte Ende der 70er-Jahre tief in den roten Zahlen. Auf Seiten des Fernsehens dagegen erkannte man schlicht die Zeichen der Zeit: die kommende Ära des Privatfernsehens und ein dementsprechend zersplitterter TV-Markt. Zeit für Spezialkanäle und Spezial-Zielgruppen. Der Clou an der Sache : MTV stellte nur den Sendeplatz, das Programm kam praktisch zum Nulltarif. Denn die Musikbranche griff den Rettungsring dankbar auf: schließlich ist jeder Video-Clip pure Promotion. Das Resultat: Programm und Werbung sind bei MTV nicht mehr zu unterscheiden, nur die beworbenen Produkte wechseln.

Das M im Namen steht manchen eher für Monopol. Exklusiverträge mit Plattenfirmen stachen die Konkurrenz aus und lieferten einen kleinen Obulus für die mittlerweile in die Höhe geschnellten Produktionskosten der Clips. Auch sein zweites Ziel hat MTV längst erreicht: es trifft als Lifestyle-Medium den richtigen atmosphärischen Ton einer Jugend, die aus unzähligen Geschmacks-Gruppen und Subkulturen besteht. Der Zwang zum Anders-Sein, zur Abgrenzung ist quasi der Trend. Sie alle muß MTV bündeln. Was wieder zur alten Frage führt, wer in Sachen Popkultur überhaupt den Ton angibt: die Zielgruppe oder die Macher?

Die Rolle der Musik wird für die Bedeutung des Musik-Fernsehens meist unterschätzt. In der Regel wird MTV über seine Programm-Formate, die bunten Bilder und die Verpackung definiert. Doch das ist es nicht. Und auch wenn MTV ganz klar ein weißer Sender ist – um die Verbreitung des Rap, wenn auch in verwässerter Form, hat er große Verdienste. Ansonsten hat er einer mal gewesenen Echtheit der Rockmusik den Garaus gemacht und einer immer mehr um sich greifenden Künstlichkeit endgültig den Weg geebnet. Die Flut von Shooting-Stars, deren Karriere kurz aufflammt und schnell verglüht, ist auch dem MTV-Prinzip zu verdanken.

Die Zeit des Macht-TV dauerte in Deutschland allerdings nur zwölf Jahre, bis zum Start des Konkurrenten Viva. Mit billiger Aufmachung, bewußt unprofessionell präsentiert, lokal, interaktiv und mittendrin ist man in der Heimat längst Marktführer, sogar mit einer 50%igen Quote an deutschsprachigen Videos. Auch dies eine spannende Geschichte: der Aufstieg des Musikpädagogen Gorny, mit besten Beziehungen zum SPD-Klüngel und der Fähigkeit, ohne Unterlass zu reden. Dies und mehr, ob Madonna nur kopiert oder tatsächlich parodiert, wie der Zuschauer einen Clip „liest“, Wissenswertes über Prodigy und Techno-Videos: alles in diesem Buch. Und natürlich darf auch sie nicht fehlen, die Fußnote des allerersten, auf MTV gesendeten Musik-Filmchens: „Video killed the Radio Star“ hieß es vollmundig bei den Buggles. Schon damals lagen sie daneben. Sogar gelesen wird heute noch, vielleicht auch das vorgestellte Bändchen, das ganz ohne bunte Bilder auskommt, dafür aber hintergründig informiert und den Blick schärft, ohne reißerisch zu sein.

Viva MTV!
Popmusik im Fernsehen
Herausgegeben von Klaus Neumann-Braun,
Suhrkamp-Taschenbuch, DM24,80.

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