Rund 10 Jahre verbrachte der „noble Englishman“ aus dem Londoner East End nicht in New York, sondern vornehmlich in der texanischen Musik(er)metropole Austin. 1984 hatte der Mitbegründer der SMALL FACES und Initiator der FACES klammheimlich seine Heimat verlassen und war nach Houston übergesiedelt. Nicht freiwillig, sondern bedingt durch seine heimtückische Erkrankung (Multiple Sklerose). In Texas (und anderswo in den USA) erhoffte er sich Linderung und vielleicht sogar Heilung. Als Musiker war er längst abgeschrieben, seine typisch britische Country-Folk-Rock-Melange wollte eh niemand mehr hören. In die Saiten greifen konnte Ronnie, bedingt durch seine Krankheit, auch nicht mehr.
Er schaffte es allerdings schon bald, in seiner „Wahlheimat“ wie ein Magnet junge, talentierte Musiker, aber auch „alte Hasen“ wie z. B. ROLLING STONES-Saxophonist Bobby Keys, an sich zu ziehen. Gerade die Nachwuchsleute wollten von Ronnies langjährigen Erfahrungen im business profitieren, und Ronnie unterstützte sie gerne mit Rat und Tat. In den Jahren 1985 bis 1990 existierten diverse Bands in wechselnden Besetzungen, die sporadisch in den Clubs, natürlich vorwiegend im Süden der USA, auftraten. Dies hing vom jeweiligen Gesundheits- und auch Gemütszustand Ronnies ab. Mehr als eine halbe Stunde live war oft nicht drin, vor allem, wenn sich Ronnie nur am Mikrofonständer festhalten konnte.
Nachdem schon kurz vor seinem Tod 1997 Bruder Stan die Veröffentlichung des in England aufgenommenen musikalischen Nachlasses in die Wege geleitet hatte, sind nun endlich auch die „texanischen Jahre“ dokumentiert. Der unabhängige Journalist Kent Benjamin hat – zusammen mit Kollegen diverser Radiostationen – Archivaufnahmen ausgekramt, die nicht nur die Lane-Fans begeistern werden. Verschiedene Begleitbands, darunter THE TREMORS und die TEX-MEX-SLIM-CHANCE, waren seinerzeit mit Ronnie in die Studios der lokalen Sender gezogen und hatten dort eine beachtliche Anzahl von Songs aus Ronnies und auch fremder Feder (u. a. Derroll Adams) eingespielt. Fast alle Phasen von Ronnies Schaffen werden abgedeckt, von der FACES-Ära („Ooh La La“, „You’re So Rude“) über die Mid-70’s-SLIM-CHANCE-Periode (u. a. „Roll On Babe“, „The Poacher“) und das Teamwork mit Pete Townshend für das Album „Rough Mix“ bis zur letzten, weit unterschätzten LP „See Me“ und dem jüngst veröffentlichten „lost album“ mit Steve „Majic Midjit“ Marriott. Immerhin drei Stücke stehen explizit für seine „Texas Years“: der bis dato unbekannte Song „Spiritual Babe“ (der auch von Joe Ely übernommen wurde), das fast schon autobiographisch anmutende „Under The April Skies“ von bandmate R. C. Banks und „Rio Grande“, die Neubearbeitung des „See Me“-outtakes „Bomber’s Moon“.
Natürlich merkt man etlichen Tracks an, dass Ronnie gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe war: seine Stimme wirkt bisweilen angegriffen, trifft auch nicht mehr jeden Ton exakt. Doch gleicht er diese Schwächen mit Leidenschaft und Seele aus; die meisten Songs sind zudem neu, z. T. sehr „folky“ arrangiert. Man spürt im übrigen, dass Ronnie mit den Mitmusikern (u. a. Alejandro Escovedo, Freddie Krc, Susan Voelz) wirklich Spaß hatte und trotz der Fluktuation in seinen Bands mit diesen harmonierte. Dass „Live In Austin“ über eine reine Musik-CD hinausgeht, bedingen die O-Töne, die die Produzenten Jim Bradt und Kent Benjamin zwischen die einzelnen Stücke montierten: Ansagen, Interviewzitate und Auszüge aus Telefongesprächen (!) belegen Ronnies Emotionalität, Begeisterungsfähigkeit und ungebrochenen Humor auf eindrucksvolle Weise.
Eine liebevoll zusammengestellte CD mit ausführlichem Booklet in hübsch gestaltetem Digipack, die gewissermaßen die „Krönung“ der bislang (wieder)veröffentlichten Ronnie-Lane-Alben darstellt.
Ronnie Lane
Live In Austin
(Sideburn Records)