1. Februar 2001: Auf dem Plattenteller lagen und im CD-Player zirkulierten Bone Thugs-n-Harmony, Funkmaster Flex, Lina, Metabolics, Jill Scott, Wu-Tang Clan und Xzibit. Nicht zu vergessen ABS, Digger Dance und Pyranja.
Drüben…
Anstelle der schon Monate überfälligen Fortführung ihrer Best Of/Raritäten-Ramschsammlung „The Collection“ hatte ich mir lieber ein neues reguläres Album der Cleveland-Rapper Bone Thugs-n-Harmony gewünscht. Weit gefehlt. Nun also wieder ein paar unveröffentlichte Tracks, Remixe, Gastbeiträge bei anderen und weitere Ausschlachtungen des Archivs. Nicht originell und nah an der Geschäftsschädigung. Die hohe Meinung, die ich immer von Bone Thugs-n-Harmony hatte, haben sie sich bald verspielt. Lieber nicht so viel mit der Wumme rumfuchteln und kriminell sein, dann müsste der Fan nicht so lange auf Neuigkeiten warten. Die Erlösung ist „The Collection: Volume 2“ (Ruthless/Epic/Sony Music) keinesfalls. File under: Einfallslos.
Aus dem ‚Loud‘-Stall kommt Funkmaster Flex. Er, bekannter New Yorker DJ, legt sein mittlerweile viertes „Mixtape“ in Form des Albums „60 Minutes Of Funk. Volume IV: The Mixtape“ (Loud/Epic/Sony Music) vor. Einmal mehr eine Gemischtwarenangelegenheit mit variationsreichem Qualitätsanspruch. Top sind das Intro mit Dr. Dre, „Do You“ (feat. DMX), „The Wickedest“ (DJ Mister Cee & Notorious B.I.G.), „Ante Up (Remix)“ (M.O.P., Busta Rhymes, Remy Martin & Tephlon) und „Words Are Weapons“ (Eminem & D-12). Ganz nett auch der Versuch, 2 Step einzuflicken („How Would You Like It“). Das sind gerade einmal sechs wirklich gute Nummern. Der Rest der 26 Ergüsse ist – wie so oft – viel zu glatt, öde und aufpoliert. Ganz im Ami-Trend und für Fans des HipHop mit Hirn nicht zu empfehlen. Füllt aber bestimmt die Tanzflächen auf der nächsten Party.
Nun zu einem wahren Ohrenschmaus. R’n’B und Soul sind weiterhin angesagte Erscheinungsbilder schwarzer Musik und Gott sei Dank heißt das nicht, dass uns lediglich mittelmäßige Ware der Sorte Jennifer Lopez & Co. angeboten wird. Neben Jill Scott und Erykah Badu ist sicherlich auch Lina ganz oben auf der Beliebtheitsskala einzutragen. Die Nachwuchskünstlerin aus den Staaten tourte im Dezember bereits mit dem 2 Step-Aushängeschild Craig David, um die Stücke ihres Debüts „Stranger On Earth“ (Atlantik/Eastwest) einem breiten Publikum vorzustellen. Was Lina im direkten Vergleich zu ihren Kolleginnen auszeichnet, ist dass sie ihre Songs zum größten Teil selbst schreibt und produziert und ein stilistisches Breitbandspektrum auffährt. Hier ein paar Beispiele: „Don’t Say Nothing“ ist bester orchestraler TripHop wie ihn Portishead bekannt gemacht haben. Früher Jazz und Swing des vergangenen Jahrhunderts in „I’m Not The Enemy“, „3rd Finger Left Hand“ und „You Don’t Know“. Nicht zu vergessen die Timbaland-Einflüsse in „Crazy Love“. All das nicht neben- sondern miteinander. Hierzu Lina: „Es ist an der Zeit, dass die Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft [der schwarzen Musik] zusammen kommen und zueinander in Verbindung gesetzt werden. Das ist es, was ich mit diesem Album zustande bringen wollte.“ In allen Songs sind mehrere dieser Komponenten eingeflickt, womit für viel Abwechslung und ein Hörvergnügen der etwas anderen Art gesorgt wurde. Absoluter Höhepunkt ist das 2 Step-beeinflußte „Waiting“ gegen Ende des Albums. Sollte eigentlich die Charts von ganz unten bis ganz oben in einem durchrocken.
Etwas weniger dick tragen die nunmehr untoten Metabolics auf. Erst bescherten sie uns den „M-Virus“, jetzt die Auferstehung der Toten. Na super. Irgendwie meinen sie es nicht gut mit der HipHop-Gemeinde. Als nächstes folgt bestimmt Pest, Cholera, BSE und Aids. Big Pat und Mr. Dead sind für diesen Unsinn zur Verantwortung zu ziehen. Ebenso wie für „Metabolics, Volume 2: Dawn Of The Dead“ (WordSound/EFA). Das zweite Album der beiden New Yorker ist trocken, roh, ganz old school und kommt ohne Glamour und Prahlerei aus. Das allein schon ist Grund genug, Metabolics zu lieben. Der andere sicherlich, dass die Tracks von Scotty Hard, Prince Paul, Dan The Automator und anderen exzellenten Beatbastlern produziert wurden. Wie gesagt: Diese Scheibe ist was für Puristen, die es zur Abwechslung mal ruhiger haben wollen und nicht für Schlumpfhosenträger.
Zurück zu den holden Weiblichkeiten: Die Frau, die The Roots ihren großen Hit „You Got Me“ bescherte, wartet endlich mit einem Soloalbum auf. Ihr Name: Jill Scott. Die in Philadelphia ansässige Sängerin ist eine Bereicherung für diejenigen, die Musik mit Herz und Schmerz mögen, sprich Gefallen an R’n’B und Soul finden. Die Frage „Who Is Jill Scott?“ (Hidden Beach/Epic/Sony Music) wird nicht mehr lange unbeantwortet im Raum stehen. Man höre sich nur das smoothe „A Long Walk“, „Gettin‘ In The Way“ oder „One Is The Magic #“ an. Jeder Song ein Prachtstück und ein jeder wird erst komplettiert durch die unverwechselbare Stimme der neuen R’n’B-Queen Jill Scott. Am schönsten ist es, wenn ihre Songs mittels traditioneller Instrumente umgesetzt werden und nicht ausschließlich auf Konservenklängen basieren. Produziert hat ihr Debüt Jazzy Townes oder besser gesagt Jazzy Jeff, Partner des Fresh Prince Will Smith. Er bettete die Stimme der Frau, die als Dichterin Anfang der Neunziger begann, in ein ergreifendes R’n’B-Fundament ein.
Es hat in den letzten Monaten kein HipHop-Album gegeben, das derart heißersehnt erwartet wurde, wie das dritte Studioalbum des Clans. Seit einigen Wochen steht es in den Läden und soll dennoch in dieser Kolumne seine Erwähnung finden. „The W“ (Loud/Epic/Sony Music) ist nicht der erhoffte Geniestreich des Wu-Tang Clan, der alle Zweifler Lügen strafen wird. Neben ein paar lauen Tracks, finden sich aber immer noch einige echte Perlen, die natürlich mit Samples aus alten Kung Fu-Filmen gespickt wurden. Die Produktion übernahm wieder RZA, um zu gewährleisten, dass die Ausfallquote gering wie möglich ist. Im Großen und Ganzen hat er die richtige Wahl getroffen. Spritzig ist „The W“ aber nicht. Wer hier jede Party rockende Tunes erwartet, sollte lieber die Finger weglassen. Das dritte Wu-Tang Clan-Album ist ruhig und mit vielen kleinen versteckten Raffinessen versehen. In einer stillen Stunde findet man wahrscheinlich einen besseren Einstieg in dieses trockene, aber überaus interessante Album.
Zur Zeit ist er auf Tour mit Eminem. Das bewirkt sicherlich, dass Xzibit demnächst in höhere Sphären entschwinden darf. Er denkt, er wäre down to earth und hardcore. Im Grunde, ist er ein Macho und notgeiler Rapper mit Talent. Seien wir doch ehrlich. Was der Hype um ihn soll, kann ich nicht nachvollziehen. Außer dass Dr. Dre wieder perfekte Arbeit am Soundboard geleistet hat, kann ich nichts besonderes an Xzibits „Restless“ (Loud/Epic/Sony Music) finden. Durchschnittlicher US-HipHop mit G-Funk-Charme und zwei, drei netten Kollaborationen. Das reicht nicht wirklich, um nachhaltend zu wirken.
… und hüben.
„Schlechte Raps sind stillos“, meinen ABS aus’m Pott in ihrem Song „TNT“. Von falschen Fuffzigern ist die Rede. Sprich: Die Frage der Echtheit steht wieder im Raum. Eine mühselige und unnötige Diskussion, die sich durch die Geschichte des HipHop zieht. Ehrlich oder fake? Nein, gut oder schlecht sollte die Frage heißen. ABS liegen in der Mitte der Pole. Die Texte auf ihrem Erstling „Kinderspiel – Leichter Getan Als Gesagt“ (Fullscale/BMG) sind zwiespältig weil prollig, die musikalische Untermalung oftmals besser als die lyrischen Ergüsse der MCs Ercan (Fonzorello) und Short (Steve Austin). Das Dissen der „Kollegen“, die dritt- oder viertklassig seien, langweilt. Es wäre wünschenswert, die Rapper der Nation würden sich einmal auf neue Themen stürzen. In Sachen Beats wissen sie bereits, neue Wege zu gehen. Vielleicht folgt bald der Geist.
Währenddessen im hohen Norden: Eimsbush macht keinen Stopp und zückt Digger Dance aus dem Ärmel. „Digger Is A Dancer E.P.“ (Eimsbush/Groove Attack) kommt direkt aus Altona und ist ein netter Einstieg für Bülent Celebi alias B-Low (MC) und Tobias Iliev-Granow alias DJ Onslord a.k.a. Tobby Digg. Früher waren die beiden noch als Direkt Aktion unterwegs und nennen sich erst seit zwei Jahren Digger Dance. Nach einer 12″ und zwei Samplerbeiträgen sowie einer Tour im Vorprogramm von Deichkind soll „Digger Is A Dancer“ das Altona-Duo endlich etablieren. Nicht umsonst hat Fatih Akin („Kurz Und Schmerzlos“) das Video zum Titeltrack gedreht. Trotz des Namedroppings klingen Digger Dance zu sehr nach Deichkind und ihre Musik ist bis auf „Flow Is Fetta“ und „Der Digge Shit“ recht trocken arrangiert, die Raps sind monoton. Fazit: Mit Abstrichen zu empfehlen.
Das Beste aus hiesigen Landen aber zum Schluss: Es ist lange her, dass eine deutsche Frau mit solch überzeugenden Raps auf der Bildfläche auftauchte wie es Pyranja tut. Ihre EP „Im Kreis“ (Def Jam/Mercury/Universal) hievt sie auf eine Ebene mit Brixx und Meli von Skillz En Masse. Fünf Songs, die keine Wünsche offen lassen. Hoffentlich haben bald mehr Frauen den Mut, ins Rampenlicht der deutschen HipHop-Welt zu treten und dem von Männern dominierten Genre den Kampf anzusagen. Pyranja hat definitiv diesen Mumm, sonst würde sie bestimmt nicht provozierende Textzeilen wie „Ich rappe nicht von Flugzeugen, die keiner braucht“ oder „Dabei stehe ich erst am Anfang und muss schon mit der Erfahrung leben, dass sich nichts ändert außer die Zeit“ über ihre Klippen kommen lassen. Sie weiß, was sie will und ist erfrischend anders, weil tough, nicht aber dumm.
Phat World XII erscheint irgendwann in den kommenden Wochen. Watch out!