Tortoise: Standards

Ja, ist noch alles da, was Tortoise vor zwei Jahren mit „TNT“ zu einer Konsensband im Musik-für-Musiker-Lager gemacht hat. Man kann sich immer noch an John McEntires unverwechselbaren Schlagzeug, Marimba- und Vibraphonespiel erfreuen und der Bass trägt das Miniorchester mit seinem warmen Wummern wie gewohnt über so manche Improvisationsklippe. Dennoch ist „Standards“ das Gegenteil von einer Platte, die man gemäß dem Titel im Jazzkontext als die Interpretation von Klassikermaterial verstehen würde. Man bekommt weder „Raising The Roof“ oder „Weeping Willow“, noch die Reinterpretation von Tortoise eigenem Material zu hören, sondern eine etwas andere, abstraktere Version der alten Tortoise.

Klar besinnt man sich auf die durchkomponierten Tugenden, wie zum Beispiel bei „Six Pack“ (Nein, nicht das von Black Flag), das in seiner Stimmung wie ein Ausschnitt aus „Djet“ von „Millions Will Never Die“ klingt. Ansonsten dauert der Aufbau des restlichen Materials manchmal bis in die Hälfte der Stücke, bis sich die unverwechselbaren Momente entfalten dürfen, wie zum Beispiel bei „Benway“, das nach rein elektronischem und improvisiert gehaltenem Bleeps-Intro (?) nach erst 2.40 Min. in bekannte Strukturen überführt wird. „Firefly“ entwickelt erst gar keine Struktur. Das gesamte Instrumentarium schwimmt verhallt im Hintergrund und dann endet der Track bevor er richtig angefangen hat. „Eden 2“ klingt, als ob DJ Krush den Sampler gegen eine Band eingetauscht hätte: Beat Replacement is the key!

Die meisten Titel sind sowohl rhythmisch als auch melodisch repetitiver als jeder Vorgänger der Band, was eine gewisse Assoziation mit Can hervorruft. Highlights sind das für Tortoise sehr urban klingende „Monica“. Wenn John Swinscone mehr Musiker als Programmierer wäre, dann würde sich die nächste Cinematic Orchestra genau so anhören. A propos soundtrackartiges Musikmaterial: „Blackjack“ klingt wie ein italienischer Krimi aus den Siebzigern; Spinett, Streichersounds und Vibraphone im Toni Maroni-Verfolgungsjagd-Style sind dafür verantwortlich.

Die letzten beiden Stücke sind dann wieder unmelodiöser und erinnern an eine Mischung aus Mogwai und Tied and Tickled Trio. Das Postrock-Szenario klingt als ob elektronische Warpgrößen wie Autechre, Aphex Twin oder Black Dog ihre Spuren hinterlassen hätten, darüber hinaus improvisierter und verstörter als je zuvor. Die Ausschmückung der Songs mit unkontrolliertem Plug-In Gefiebse unterstützt oftmals den unglaublichen Drone der Bassektion. Mindmelting stuff!

Tortoise: Standards
(Warp/Zomba)

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