Phat World (15)

Es kamen und gingen Gonzales, Bobby Digital, Promoe, Ferris MC, Mykill Miers, Breite Seite, Curse, Timbaland & Magoo, Lil‘ Mo, Kelis, The Unspoken Heard, Fettes Brot und diverse Sampler.

Ein neues Lebenszeichen von Gonzales alias Chilly Gonzales gibt es. Die EP „Take Me To Broadway“ (Kitty-Yo/EfA) ist ein weiterer Geniestreich des Exil-Kanadiers. Das Titelstück ist ein echter Burner. Geiler Reim, geile Beats, obercoole Samples. Hier stimmt alles. Eine Hymne. Wirklich. War auch zu erwarten. Gonzales, der Smarte. Das gesanglose „Return Of The Sugar Plum Fairy“ basiert auf einer allseits bekannten Melodie von Herrn Tschaikowsky und bei „Concerto In E Minor“ hat sich Gonzales hinters Piano gesetzt und das an John Carpenters Horrormusiken erinnernde Stück einem gewissen Alexander Bokor gewidmet. Danke!

Wo wir gerade bei Wiederkehr sind. Der als Robert Diggs geborene Wu Tang-Clan-Kopf RZA hat sich wieder das Gewand des Bobby Digital übergeworfen und zielt mit der „Digital Bullet“ (In The Paint/Koch) auf euch. „Mit diesem Album rückt Bobby noch näher an RZA heran. Er beginnt sein höheres Bewusstsein zu aktivieren. Wir sehen wie Bobby in Brooklyn aufwächst, sich mit Shaolin beschäftigt und erleuchtende Erfahrungen macht, die mit Musik, Drogen, Frauen und dem alltäglichen Straßenkampf zu tun haben“, sagt Diggs. Erleuchtend ist das nicht immer. Dennoch: Ein Großteil der neuen Tracks ist erhaben. Ganz RZA halt. Es können noch so viele an seinem Thron sägen, er bleibt der Unantastbare, dessen Produktionen unverkennbar seinen Stempel tragen. Ob er einen Schritt zu weit gegangen ist, die Latin Music auch noch zum HipHop zu bringen, ist Geschmacksache. Für „La Rhumba“ verlangsamte er einen Rumba-Rhythmus, um ein Grundgerüst zu schaffen: „Das Tempo scheint langsam zu sein, aber du kannst immer noch den Groove spüren“, sagt der Meister. Stimmt, der Track rockt. Im weiteren Verlauf des Albums ist selbst der Vollzugsexperte Ol‘ Dirty Bastard wieder zu hören. „Black Widow Pt. 2“ heißt ihn willkommen. Aber am Ende muss man irgendwie doch zugeben, dass nicht alles Gold ist was glänzt.

Wir schwenken nach Skandinavien. Was? Schwedens heißester HipHop-Export? Was geht? Gitarren und Todesmasken beiseite gelegt und sich mit Brooklyn-Jungs unterhalten? Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Promoe Schwede ist. Der klingt wie Mos Def. Ja, das muss er sein. Da gibt es keinen Zweifel. „Government Issue“ (David vs. Goliath/Groove Attack) muss das neue Album des Brooklyners sein. Oder? Zurück zur Wahrheit: Promoe ist Schwede und seit Jahren Mitglied der Looptroop. Sein Solodebüt ist das, worauf ich seit langem gewartet habe: Ein Album, das dich mit den ersten Takten packt. Das sich nicht an dem abscheulichen Charts-Gedudel orientiert, auf Originalität setzt und verschiedene Einflüsse kanalisiert. Mit einem Rapper, der durchaus mit Mos Def zu vergleichen ist. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Scheibe in Anbetracht der vielen Veröffentlichungen nicht unter den Tisch fällt und seinen Weg zu den Ohren der HipHop-Headz findet.

Bleichgesicht des deutschen HipHops, das Reimemonster, der rappende Freak, Asi und Mongo in Personalunion. Das kann nur einer sein: Ferris MC. Ein Name, ein Style, eine Stimme. Erst asimetrisch, nun fertich mit Gott und der Welt. Er selbst gibt offen und ehrlich zu: „Ich bin absolut kein Wehweiser und auch überhaupt nicht als solcher geeignet. Ich leide oft, habe oft derbe Charakterschwächen, aber manchmal genieße ich es, zu leiden.“ Leiden und Schlecht-drauf-sein als Inspirationsquelle. Das funktionierte schon immer. Ferris hat eine Pause gemacht, sich Gedanken gemacht und Entscheidungen getroffen. DJ Stylewarz ist bekanntermaßen wieder an Bord. Zusätzlich engagierte der Hamburger MC den 5 Sterne Deluxe-Bruder Tobi Tobsen. Ein teuflisch gutes Duo mit unglaublich viel Potenzial. Nachzuhören in dem genialen Remake des Billy Idols-Klassikers „Flesh For Fantasy“ (hier: „Flash For Ferris MC“). Warum nicht gleich so? Tobi Tobsen serviert bouncende Beats und Ohrwurm-Samples, Ferris erhebt seine verrauchte, heisere Stimme, die unter Tausenden heraussticht, und rappt im Eiltempo. Natürlich kommen auf Fertich!“ (Yo Mama/Zomba) auch einige seiner befreundeten Kollegen zu Wort. Da wäre an erster Stelle Afrob zu nennen, der auf „RM-2“ (Reimemonster, zweiter Teil) zu hören ist. Eißfeldt und Samy Deluxe, die den Kracher „Wie ist mein Name?“ spendeten, ließen sich ebenso wenig lange bitten wie DJ Koze („Hartdumm in jedem Datum“) und der Such A Surge-Ableger Pain In The Ass („Kann uns nicht passieren“).

Jetzt zu einem, der sich der Hitchcock des HipHop nennt. Großkotz galore seitens Mykill Miers! Kein Wunder, dass er uns was von real niggas erzählen will, die das tun müssen wofür sie bestimmt sind: böse dreinschauen, mit Knarren wedeln, den crew members abhängen, Joints paffen, dissen und Frauen geil finden. Ich kann es echt nicht mehr hören. Rappen kann er ja, was er auf „The Second Coming“ (Ill Boogie/Groove Attack) beweist, aber über was?!

Gleich die nächste Klischeesoße hinterher. Breite Seite, Teil des Stuttgarter Kopfnicker-Clans, sitzen „Zwischen Himmel und Hölle“ (Kopfnicker/Eastwest). MC Comouflow, Walterrama und DJ Hilmatic geben sich derbe und brettern damit frontal auf die Kiddie-Zielgruppe zu. All diejenigen, die es etwas differenzierter und tiefgründiger vorziehen, werden sich wohl abwenden und nach anderen Produkten umsehen müssen. Sie werden – wie ich – schnell von dem Proletengehabe angenervt sein. Breite Seite haben sich zu sehr von Übersee-Klischees beeinflussen lassen.

Jetzt kommt Balsam auf die Ohren genau richtig. Und zwar von Xavier Naidoo, der mir mittlerweile ans Herz gewachsen ist. Früher konnte ich ihn nicht leiden, heute bin ich ein großer Fan. Er vergoldet mit seiner Stimme den zweiten Track auf „Von Innen Nach Aussen“ (Jive/Zomba), dem zweiten Album von Curse. Für mich der Höhepunkt des erzürnten Rappers aus Minden. Er ist vorlaut und frech wie auf „Feuerwasser“. Dieses Mal geht es hauptsächlich um Beziehungen, um Frauen, um Sex, um Schwänze und um Muschis. Ja, ja, richtig gelesen. So ist das Leben. „Von Innen Nach Aussen“ ist okay, Curse ein versierter Rapper, der sich noch etwas unter Wert verkauft – sprachlich betrachtet. Er ist eben nicht mein Fall, was nicht heißt, dass er schlecht ist. Und auch keine Entschuldigung meinerseits sein soll.

Kommen wir zu Timbaland, der Mann der Aaliyah und Missy Elliott lange begleitete. Zusammen mit seinem Kollegen Magoo hat er ein Album zusammengestellt, das seinem guten Ruf als Ausnahme-Produzent des Nu Soul/R’n’B/HipHop gerecht werden soll. Timbaland & Magoo sind seit Anfang der Neunziger dicke Freunde und stiegen 1997 ins HipHop-Biz ein. „Indecent Proposal“ (Blackground/Virgin) ist ihr erstes gemeinsames Album. Natürlich ganz im Stile des Missy Elliott/Aaliyah-Protegés. Ich steh drauf und kann nicht anders, als mit dem Kopf zu nicken, die Taille im Rhythmus mitschwingen zu lassen und mit den Fingern im Takt zu schnippen. Klasse.

Jetzt sind aber mal die Damen an der Reihe. Den Anfang macht Lil‘ Mo. Die stämmige R’n’B-Sängerin mag es realistisch und schickt uns ein Album „Based On A True Story“ (Elektra/Eastwest) ins Haus. Eine schöne Stimme hat sie, das wissen wir nicht erst, seitdem es uns Missy Elliott gesteckt hat. Singen kann sie auch vorzüglich. Und ihre Produzenten haben ganze Arbeit geleistet, Lil‘ Mo kuschelweiche Songs auf den Leib zu schneidern. Nur haben sie vergessen, Haken und Ösen einzuflicken, Spannung aufzubauen, Risiken einzugehen. Das Debüt der in Queens geborenen Sängerin ist leider zu glatt und zu genretypisch aufgefallen.

Eine wahre Powerfrau ist Kelis. Die Frau mit dem derzeit wohl schlechtesten Modegeschmack im Popzirkus (Haben Stars mittlerweile nicht Styling-BeraterInnen?) kommt aus dem „Wanderland“ (Virgin). „Young, Fresh & New“ heißt ihre hervorragende neue Single und die zeigt uns gleich, dass Kelis keineswegs kleinlauter geworden ist. Natürlich waren wieder einmal die genialen Neptunes für die großartigen, dichten und innovativen Soundcollagen verantwortlich. So gehört sich das. Kelis hat mit „Wanderland“ den Beweis erbracht, kein One-Hit-Wonder zu sein. Ihr Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Eigentlich könnte sie jeden einzelnen Song dieser CD auskoppeln. Ihre Fans würden ihr bei jedem zu Füssen liegen. Jeder ein Hit, jeder ein Ohrwurm.

Zurück zu den Männern. The Unspoken Heard, das sind die MCs Asheru und Blue Black. Kennen gelernt hatte sich das Duo auf der Universität. Ihr Studium schlossen sie ab, bevor sie sich mit aller Kraft ins Musikgeschäft stürzten. Ein Anthropologe und ein Soziologe machen HipHop. Das heißt: sie rappen, denn die Beats auf „Soon Come“ (1 Heads Records/Groove Attack) kommen von Yusef Dinero, J. Rawls, DJ Khali und 88 Keys, um nur einige aufzuzählen. Very old school und nicht so weit weg von der Native Tongue-Schule.

Die Fetten Brote sind zurück. Auf den Bildschirmen der Nation mit dem Bouncer „Schwule Mädchen“. Auf den Plattentellern mit „Demotape“ (Yo Mama/Zomba), ihrem neuesten Angriff auf die Lachmuskulatur. Nachdem ihre Semi-Best Of „Fettes Brot für die Welt“ weniger originell war und ihre Liveauftritte auch mehr als durchwachsen waren, brillieren die Spaßvögel der deutschen HipHop-Nation auf dem aktuellen Album. Yippie yo, schüttle den Po! So soll’s sein und so isses auch. Es gibt nicht viele wirkliche Fette Brote-Fans. Ich zähle mich dazu. Auch wenn mir jetzt all die true headz Kommerzliebe vorwerfen sollten. Gut ist und bleibt gut. Egal von wem es kommt. „Demotape“ macht einfach Laune, ist nicht übertrieben ernst, ebenso wenig übertrieben albern und kommt – bis auf wenige Ausnahmen („Ich hasse das“, „Fast 30“) – sehr locker aus der Hüfte.

Uuups! Wie kommt dieses Teil plötzlich auf meinen Tisch? Baldhead Slick & Da Click ist niemand anderes als Guru, die eine Hälfte von Gang Starr. Sein unbetiteltes Album (Ill Kid/Groove Attack) stellt die Rückkehr des Gurus zu seinen Wurzeln dar. Er, der uns in den vergangenen Jahren mit seinem Partner DJ Premier das ein oder andere Glücksgefühl beschert hatte, hat mit vielen bekannten Gästen ein neues Werk gezimmert. Als Produzenten waren DJ Premier, Pete Rock, Stoupe (Jedi Mind Tricks) und Alchemist mit dabei. Gastrapper treten mit Ice-T, Treach (Naughty By Nature) und Killah Priest auf. Guru hat aber die Fäden in der Hand behalten. Er ist eine Legende, dem keiner was vormachen kann. Er weiß, wer true und wer fake ist (siehe „No Surviving“). Demnach ist Vorsicht geboten, wenn man sich mit dem Ober-Gangsta auseinandersetzen will. Er geht konsequent seinen Weg und kommt stylistisch wie inhaltlich von diesem nicht ab.

Hat man sich durch das Intro und den eigentlich ersten, ungemein schwachen Track durchgehört, fängt das Vergnügen erst an, das man mit Mr. Complex haben kann. Dem vorliegenden Debütalbum „Hold This Down“ (7 Heads Records/Groove Attack) gingen unzählige 12-Inches, Samplerbeiträge und Gastauftritte voraus. Durch die scheint sich der versierte MC nicht nur erste Sporen verdient zu haben. Er hat auch intensiv an seiner Technik gefeilt, die jetzt zum vollen Zuge kommt und uns den Tag versüßen könnte, wären da nicht dauernd diese dämlichen Hörspiele.

Der Franzose dieser Ausgabe der Kolumne ist Karlito, dessen „Contenu Sous Pression“ (Chronowax/Groove Attack) justament auf den Markt kam. Er ist Mitglied der Mafia K’infry und zu seinen Einflüssen zählt er den bereits oben erwähnten Guru sowie Kery James. Sein Kompagnon ist DJ Mehdi. Zusammen brauen sie ein nettes Gangster Rap-Süppchen und benutzen unflätige, deutsch klingende Wörter – was aber nur Zufall sein wird. Oder auf einen Hörschaden meinerseits zurückzuführen ist.

Bevor es an die Gemischtwaren geht, noch kurz und knapp die Scheibe von Steve Austen And DJ Krooger vorgestellt. Sie heißt „The Last World“ (Deck 8/TIS Warner) und ist Turntablism pur. Jedoch kein verkapptes Technikdingens. Groove und Kopfnicker-Tauglichkeit blieben nicht auf der Strecke. Dafür die Vocals, die höchstens in gesampelter Form auftauchen.

Zur allgemeinen Abwechslung und Auflockerung ein paar Sampler. Der erste heißt „The High & Mighty Presents Eastern Conference All Stars II“ (Rapster/Zomba). Dieses Album bzw. deren Initiatoren – das sind DJ Mighty Mi und Mister Eon – verstehen sich als Förderer bekannter Talente aus den unterschiedlichen Teilen der USA. Dazu zählen sie u.a. die Smut Peddlers, Cage, Defari, Kool Keith, Big Daddy Kane und Skillz. Ein Sampler anderer Art ist „InstruMental Surgery“ (Deck 8/TIS Warner), der vom Deck 8-Meister höchstpersönlich kompiliert wurde. Er hat sich daran gemacht, gute DJs und Beatboxer zu finden und für diese sehr schöne Scheibe zu gewinnen. Jazzy, groovy, funky. Alles dabei, alles drin, alles entspannt, alles genügsam, alles lässig und durchweg erste Sahne. Große Klasse – wie Folge 1 – ist „Superrappin: The Album Vol. 2“ (Groove Attack). Kein Mainstream, kein Jiggy-Gedudel, keine Gun-Swinger, keine Großmäuler. Schön, dass die HipHop-Welt noch in Ordnung zu sein scheint. Diese Doppel-CD (gibt’s natürlich auch auf Vinyl) ist mit das Beste, was dieses Mal kam und ging. Maspyke ist ein Trio, das mit etwas guter Labelpolitik und Glück im Rücken alle Freunde und Fans von A Tribe Called Quest zurück in die Gegenwart katapultieren könnte. Sowieso weckt dieser Sampler den Glauben an HipHop mit Hirn, Seele und Liebe. Klar, HipHop sollte nie stehen bleiben und auch nicht zu sehr in Erinnerungen an qualitativ bessere Zeiten schwelgen. Aber eine Rückbesinnung auf die guten alten Wurzeln darf erlaubt sein. Schade, dass nicht ein paar Damen eine Chance bekamen.

Achtung: 
Die Phat World-Kolumne wird nicht mehr fortgeführt

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