Urlaubszeit. Lesezeit. Aber nicht, was Ihr denkt: ich mit Buch am Strand. Oh nein. Au contraire: ich hol mir den Strand ins Haus. Auch wieder nicht, wie Ihr denkt, so mit Schippe und Eimer, neenee. Mit Büchern. Unter anderem mit – Merian-Heften! Die müssen für Leute gemacht sein, die nicht verreisen, denn die Karten, die da drin sind, kann man am Urlaubsort gar nicht gebrauchen: viel zu unhandlich. Und ansonsten ist das große Literatur, die ist ja allein schon dadurch definiert, dass sie überzeitlich, mehrdeutig und interpretabel ist. Koordinaten wie Zeit und Raum sind da ganz störend, aber zumindest die Koordinate „Raum“ wär ja für eine gelungene Urlaubsplanung dann doch vonnöten. Und außerdem schreiben da so Leute wie Tom Wolfe oder Susan Sonntag – jedenfalls aus dieser Liga, und da kann man sich schon denken, worauf das hinauslaufen soll.
Mir jedenfalls schwebte ein ganz konkretes Reiseziel vor, von dem ich doch dachte, dass da schon in der dritten oder vierten Generation entsprechende Hefte existieren müssten. Die werden nämlich alle paar Jahre auf den neuesten Stand gebracht. Aber: nein! Vielleicht werd ich mal einen Beschwerdebrief an den Verlag schicken. Denn das Erstaunen über das fehlende Heft hat in etwa die Dimension, wie wenn man erfährt, dass „Yesterday“ von den Beatles nie als Single ausgekoppelt wurde. „Yesterday“ keine Single? Genau. Und von St. Tropez kein eigenes Merian-Heft. Unglaublich.
Wie ich ausgerechnet auf St. Tropez komme? Ganz einfach. Gab´s neulich einen Arte-Themenabend zu. Die sind immer zusammengestückelt aus einen Spielfilm und ein, zwei irgendwie dazupassenden Dokumentationen. Aber die Magie des Wortes „Themenabend“ schafft dann doch eine so toll funktionierende Verklammerung, dass man ihrem Sog rettungslos erliegt. Und hinterher auch nicht traurig ist. Der Spielfilm war übrigens „Swimmingpool“, weshalb ich jetzt mit eigenen Augen erfahren hab, dass vom Paar „Schneider-Delon“ Romy Schneider eindeutig die bessere Schauspielerin war. Und der Lerneffekt aus der anschließenden Doku war, dass St. Tropez in Wirklichkeit gar kein erstrebenswertes Reiseziel ist. Deshalb ja auch das Merian-Heft. Wenn ich das durch hab, will ich wahrscheinlich doch wieder hin, aber die fehlenden geographischen Kenntnisse schützen mich davor.
Und dann hab ich mir noch ein paar richtige Bücher kommen lassen, darunter „Sommerhaus, später“ (!), was mich unschön daran erinnert, dass das wahrscheinlich ein Kompensationskauf war – schönes Wort, gell? Aber sind das nicht eigentlich alle Käufe? Kauf ich nicht sogar Brot, um mein Magenknurren zu kompensieren? Oder heisst das dann schon „sublimieren“? Hach, bei der nächsten Sitzung mal meinen Therapeuten fragen… Jedenfalls scheine ich eigentlich wegzuwollen, aber nicht zu dürfen, weil ich ja zu dieser Generation gehöre, die nicht weiß, ob ihr Job noch da ist, wenn sie sich mal kurz umdreht. Deshalb trau ich mich nicht, wegzufahren, während auf dem Konto all die schönen Hinternet-Millionen vergammeln. Naja, nach der nächsten Inflation sind die auch weg, wieder eine Sorge weniger.
Tja, und dann hab ich noch ein Buch kommen lassen, ich geb´s ja zu, von Stuckrad-Barre, und da war dann vorne doch tatsächlich so ein Aufkleber drauf, mit Zitaten aus Elogen in der taz, der FAZ etcetera. Der ist jetzt weg. Dafür hab ich eine blöde klebende Fläche auf dem Buch, denn das war kein toller Kleber, mit dem man zum Beispiel Preisschildchen draufklebt. Sondern ein blöder, der beim Abziehen nicht restlos weggeht. Ich find das zum Kotzen. Denn wenn man den Buchhändlern sagt, also, e-books sind auch ´ne feine Sache, dann schreien die doch bestimmt: Und das haptische Erlebnis?! Aber kleben einem solche Drecks-Aufkleber drauf. Noch ein Argument mehr für e-books.
Das schlimmste ist aber die Demütigung. Denn mit solchen Aufklebern auf dem Buch fühlt man sich doch wie ein beschissener Hit-Alben-Käufer. Wo einen so gelbe „Inkl. Hit-Single Blablabla“-Aufkleber anblecken und damit meinen: Du bist ein Mitläufer, ein Wellenreiter, ein Herdentier. Dabei sind es doch wir Stuckrad-Barre-Leser, die die Jobs der Buchhändler sichern, oder? Zusammen mit den Lesern des „Medicus“ und von „Sorge dich nicht, lebe“. Auch wenn die Buchhändler das gern verdängen. Uns gebührt beim Kauf mindestens ein gerührter Händedruck, und wenn schon Aufkleber, dann wenigstens mit „Dankeschön, Held des geschriebenen Worts!“, jawohl. Am besten aber gar keinen. Und statt dessen dürfen sie alles mit Aufklebern zupflastern, was sich ganz schlecht verkauft, Lyrik-Bände zum Beispiel. Oder ein paar Johnsons, Vilars und Foucauts. Da sieht man die Leser ja sowieso erstmal Monate nicht mehr, weil sie solange mit den verschwurbelten Satzmonstern zu tun haben. Während ich – mit meinem Stuckrad-Barre: – flupp, in drei Tagen durch. Und den Bohlen erst: ein Tag! Und schon steh ich wieder im Buchladen auf der Matte und kaufe und kaufe. Denn wir „Trivial-„ und Popkulturleser sind doch die wahren Vielleser, Bücherfresser, Alphabeten eben. Bei uns kommt man vor lauter Büchern kaum noch in die Wohnung, während bei den Schwurbel-Lesern: Ebbe im Regal. Das sind die eigentlichen Leute, wo man sagt: Hilfe, nur drei Bücher, da geh ich nicht mehr hin.
Vielleicht erinnert mich die Sache mit dem Aufkleber aber auch nur ungut an meine Kindheit. Denn im elterlichen Bücherschrank standen vor allem väterlicherseits Bücher mit dem Aufdruck „Nobelpreis Neunzehnhundert-Sowieso.“ Meine Mutter hat gekauft, was ihr gefiel und oft neu war. Mein Vater hat erstmal gewartet, bis es in den Charts war. Wahrscheinlich hieß der Aufdruck auch gar nicht Nobelpreis 19-hundert-bla-bla, sondern Nobelpreisträger. Denn Bücher können ja gar keinen Nobelpreis kriegen, sondern nur Autoren. Jedenfalls offiziell. In Wirklichkeit ist das dann doch oft nur der „Echo“ der Literaturindustrie. Golding zum Beispiel hat den Preis doch nur für den verblödeten „Herr der Fliegen“ gekriegt, oder? Oder Thomas Mann. Ganz im Ernst: das hat er doch gewusst, dass der nur für die „Buddenbrooks“ war! So isses doch. Manchmal hat man aber auch den Verdacht, hier sollen mit dem Nobelpreis Autoren promoted werden, die sich sonst aus gutem Grund praktisch gar nicht verkaufen. Tja, und die sind dann in Sachen Hipness auch wieder verbrannt, weil der Aufdruck verrät: nicht hinten aus dem Spezialitätenregal rausgefingert, sondern vorne vom Sonderangebotsstapel. Naipaul-Wochen bei McDoof. Im Dutzend billiger. Jedenfalls brauchte ich früher nie bei den Sammelbestellungen für Schullektüre mitzumachen. Der ganze Kanon, die Brechts, die Dürrenmatts und anderen Bohlens der Literatur standen garantiert schon bei uns zuhaus im Regal. Oh lala, wird jetzt vielleicht ein Gegenschuss kommen: Und bei wem stehen Modern Talking und Udo Lindenberg bei den Singles? Oja, stimmt…