Live: Whitesnake/The Tracelords

Karlsruhe, Europahalle, 4.9.2004.

Da war er wieder: The Last of the Famous International Playboys.

Kann man David Coverdale irgendetwas übel nehmen? Dass er Whitesnake immer wieder aufleben lässt und wohl bis an sein Lebensende fortführen wird? Dass er seit fast 20 Jahren aus einem Repertoire von vielleicht 18 Songs schöpft? Dass er seit 30 Jahren dieselbe Hosengröße hat und ihm auch heute die Hemden, die genauso eng sind wie damals, passen? Dass er den Mikrofonständer immer noch wie in alten Zeiten durch die Luft schleudert und es wohl keinen anderen Mikrofonständerschleuderer gibt, der das Teil ähnlich schamlos als Phallus-Symbol missbraucht? Dass auf seinen ausgewaschenen Blue Jeans die Rolling-Stones-Zunge prangt? Direkt, aber auch wirklich direkt links neben dem Schritt?

Ich kann ihm nichts übel nehmen. David Coverdale ist ein Phänomen. Ein lebender Anachronismus, ein charmanter Seelenverkäufer des Schweinerock. Welche Retro-Bewegung ist gerade angesagt? Die 70er? Die 80er? Die 90er? Her damit, sagt Coverdale, ich kenne sie alle, ich war immer dabei.

Und es sage noch mal einer, der Mann habe keine Überraschungen zu bieten. Jeder, der die Bandgeschichte von Whitesnake ein bisschen verfolgt hat, kam wohl ins Schmunzeln, als er das Motto der diesjährigen Herbsttournee las: „Greatest Hits Tour 2004“ – hat der Ex-Deep-Purple-Sänger mit all seinen wechselnden Bandbesetzungen je etwas anderes geboten?

Und dann das: Als Whitesnake in der Karlsruher Europahalle pünktlich wie die Maurer um 21 Uhr die Bühne betreten (den Mantel des Schweigens über die grausame Vorgruppe The Tracelords aus Hagen! Im Gedächtnis bleiben sie allenfalls für ihre world’s most unsexy Coverversion von Boney M’s „Daddy Cool“), passiert das Unerhörte: Mit dem alten Deep-Purple-Kracher „Burn“ eröffnen Coverdale und seine fünf Musiker die Show. Darin eingeflochten ein weiterer Purple-Song: „Stormbringer“. Die dritte Nummer „Absolution Blues“ ist ein Stück aus Coverdales Zusammenarbeit mit Ex-Led-Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page, bevor bei der „Whitesnake Greatest Hits Tour“ dann endlich mit dem vierten Song eine Whitesnake-Nummer auftaucht. Bei der Tour im letzten Jahr, zumindest beim Gig in München im Mai, als Whitesnake nach langer Pause wieder Konzerte in Deutschland gaben, hatte sich der mittlerweile in Kalifornien lebende Engländer seiner Deep-Purple-Vergangenheit noch verweigert.

Jetzt, im September 2004, ist alles anders. „Mistreated“, neben „Burn“ der Klassiker auf dem 1974 erschienenen Purple-Album „Burn“ (das Coverdale als Nachfolger Ian Gillans schlagartig bekannt machte), gibt’s zwar nicht mit ganzer Band, aber auf Zuruf eines Fans lässt sich Coverdale erweichen, 30 Sekunden davon a cappella wiederzugeben, nachdem er seinem Gitarristen ein kurzes „Give me an F Sharp Minor“ zugeraunt hat. That’s entertainment.

Dass der alte Charmeur den Spaß an den ganz alten Zeiten wiederentdeckt hat, lässt auch der weitere Verlauf des Gigs vermuten. Waren es 2003 noch die Songs der „1987“-LP, die eindeutig das Gerüst der Heavy-Lichtgewitter-Nebelmaschinen-Show bildeten, erinnert die Tournee 2004 mehr an die Whitesnake-Zeiten vor „1987“, als Blues und Soul noch stärker als Einflüsse zu erkennen waren und die Band eher auf der Bühne eines kleinen, verrauchten Clubs zu Hause schien als in den großen, zugigen Hallen. Natürlich kommen Coverdale und seine aktuellen Mitstreiter (Doug Aldrich und Reb Beach an den Gitarren, Marco Mendoza am Bass, Tommy Aldridge an den Drums und Timothy Drury an den Keyboards) auch jetzt nicht an „1987“ vorbei. Doch der damalige Vorwurf „Jetzt klingt er wie eine Robert-Plant-Kopie“ lässt sich in der Karlsruher Europahalle nicht aufrecht halten. Whitesnake swingt – jedenfalls mehr als je zuvor in den letzten zwanzig Jahren. Fast schon symbolhaft deutlich wird das nach gut 90 Minuten beim Warten auf die erste Zugabe: Eigentlich kann nur „Still of the night“ kommen (die Monster-Nummer von „1987“) – aber die Musiker kommen zurück und spielen „Take me with you“ vom Album „Trouble“ aus dem Jahr 1978, einen trockenen Up-Tempo-Bluesrock-Hammer, der eine enorm ambitionierte Band und einen David Coverdale sieht, der die Rumba-Rasseln schwingt. Ein seltener Anblick.

„Still of the night“ gibt’s dann auch noch, als zweite Zugabe und Rausschmeißer des Abends. So sollte es sein – so war’s. Großartig.

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