Musikbücher XI

Bis Butler James wieder über’s Tigerfell stolpert, sind es noch etliche Wochen hin, in denen viel passieren kann: Vielleicht wird endlich die Deutschquote im Radio eingeführt und wir dürfen nicht nur angloamerikanischen, sondern auch deutschen Hitparadenschrott genießen. Oder, who knows, HINTERNET startet einen neuen, spannenden Fortsetzungskrimi. Mag da kommen was will, eines steht jetzt schon fest: Mein nicht nur Musik-Lieblingsbuch 2004 heißt „Please kill me. Die unzensierte Geschichte des Punk.“

Deutschen Lesern, die mit „Verschwende deine Jugend“ von Jürgen Teipel bereits die Story der NDW eingesogen haben, wird die Machart von „Please kill me“ bekannt vorkommen: Das Buch besteht aus lauter Stimmen, ohne Zwischenkommentare, ohne Wertungen, ohne den Versuch, dem Ganzen eine Art objektiver Geschichtsschreibung überzustülpen. Und tatsächlich war die 1996 erschienene englische Originalausgabe die Blaupause für „Verschwende deine Jugend“, „oral history at its best“, wie der Geschichtsprofessor sagt.

„Please kill me“ erzählt die Story des amerikanischen Punk, und es mag einige Leser überraschen, dass die Wurzeln des Genres eben NICHT in England liegen, sondern jenseits des Atlantik. Seinen Namen hat der Punk übrigens von einem Fanzine, und einer der Herausgeber von PUNK, Legs McNeil, ist auch der Co-Autor von „Please kill me“. Soviel zum Thema Kompetenz.

Wer kommt nun zu Wort? Sage und schreibe 228 Personen, Bekannte wie Unbekannte, von denen bezeichnenderweise über 40 bei Drucklegung der deutschen Übersetzung bereits das Zeitliche gesegnet hatten, weitere (Robert Quine, Johnny Ramone) sind inzwischen dazugekommen. Wer nun das Buch liest, ist davon nicht überrascht, denn das Leben der Punks war eine einzige Wahnsinnsfahrt Richtung Tod, angetrieben von Heroin und sonstigen Perversitäten, an deren Beschreibung hier nicht gespart wird.

Alles beginnt mit Andy Warhol und VELVET UNDERGROUND, THE MC5 und Iggy Pop mit seines STOOGES legen schließlich den Samen in den New Yorker Boden, aus dem dann ab Mitte der Siebziger etwa mit den NEW YORK DOLLS, TELEVISION, den RAMONES und vielen, vielen anderen eine Musik wächst, die wie keine andere zuvor und danach den hehren Kunstanspruch, mit dem sie uns alle kommen, die zweit- bis drittklassigen Kehlkopfquäler und Gitarrenhengste, ad absurdum führte und stattdessen ein ebenso exzessives wie letztlich sinnloses Leben in ebensolche Töne verwandelte.

Es ist dieses Sittengemälde mit seinen teilweise unglaublichen Einzelheiten, die das Buch mit seinen 500 Seiten zu einer atemlosen Lektüre werden lassen. Dass Lou Reed ein Arschloch ist, Iggy Pop für eine Ladung Heroin seine Mutter verkauft hätte, Joey Ramone zeitweise als Stricher arbeitete und Patti Smith eine dumme, karrieregeile Kuh war – das sind die harmlosen Dreingaben. Wer den Punk verstehen will – und auch, warum er rasch vor die Hunde gehen musste -, der lese dieses Buch. Große Literatur, die wahrscheinlich bald verfilmt wird. Aber der Film im Kopf wird immer der beste bleiben.

Iggy Pop als Vater des Punk, das ist nun keine sensationelle Behauptung. Überraschender, dass er wohl auch zu den Taufpaten einer Musik gehörte, die Anfang der Achtziger schwarzgekleidete und stark geschminkte Jungs auf die Bühnen kickte: Gothic Rock. Dave Thompson hat nun die Geschichte dieser Musik geschrieben, deren Protagonisten THE CURE, BAUHAUS, JOY DEVISION, THE CULT oder Nick Cave hießen. Sehr konventionell und chronologisch geht Thompson dabei vor, faktenreich und nie um ein Anekdötchen verlegen. Das liest sich selbst für jemanden wie mich angenehm, der ich kaum als Anhänger des Gothic Rock bekannt bin, wiewohl mir die häufigen Hinweise wie „belegte damit Platz 128 der britischen Charts“ ab Seite 150 denn doch etwas auf den Geist gingen.

Mehr schon, ich gebe es zu, schlägt mein Herz für einen wie Frank Zappa. Nicht für dessen Gesamtwerk, bewahre, aber der Mann hat tolle Sachen gemacht und streckte seine Nase stets über den Tellerrand des modischen Rock hinaus.

„In eigenen Worten“ verkündet er in einem jüngst erschienenen Bändchen seine Ansichten zu allem und nichts, und das ist natürlich Häppchenliteratur für zwischendurch, solide aufgemacht, mit biografischen Details des Herausgebers und einem Vorwort von Vaclav Havel versehen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es für einen Menschen wie Zappa angenehm sein könnte, mit seinem verbalen Unfug der Sechziger und Siebziger konfrontiert zu werden. Für den Leser mag es allemal hilfreich sein, eine sehr turbulente Zeit mit ihren teilweise bizarren Ansichten einzuordnen. Dass es gerade diese Mischung aus verquerer Ideologie, naivem Idealismus und manchmal ganz gescheiten Äußerungen war, gegen die der Punk aufgestanden ist, führt uns von Zappa geradenwegs zurück zu „Please kill me“. Perverser kann ein Weihnachtsgeschenk nicht sein, Freunde.

Bibliografie:

Legs McNeill und Gillian McCain: Please kill me.
Die unzensierte Geschichte des Punk.
Hannibal 2004, 509 Seiten, €25,90 
Englische Ausgabe:
Legs McNeill und Gillian McCain: Please kill me.
Penguin Books 1997, 496 Seiten, €14,50
Dave Thompson: Schattenwelt.
Helden und Legenden des Gothic Rock.
Hannibal 2004, 423 Seiten, €19,90
Barry Miles (Hrg.): Frank Zappa in eigenen Worten.
Palmyra 2004, 125 Seiten, €9,90

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