Crime School: Die 3. Ebene – 3 Varianten

Das Rätselraten um die 3. Ebene hat Deutschlands Gehirne im Griff. Schrecklichste Dinge passieren: Bayern München wird deutscher Fußballmeister, Herr Wolffson findet in einer alten Schublade einen hübschen Vergleich, 17 Autoren, gerade von der „Criminale“ abgereist, sterben an Weihrauchvergiftung.

Zeit, das Rätsel aufzulösen? Ja und nein. Rekapitulieren wir kurz, was bisher geschah: Ich hatte eine →„erste Seite“ präsentiert und wenige Tage später eine →Fortsetzung, die die Handlung von Seite 1 zur Fiktion in der Fiktion erklärte. Meine Frage war nun: Wie müsste eine dritte, sich den vorherigen logisch anschließende, mit ihnen arbeitende Ebene aussehen?

Die Resonanz der Crime-Schüler war überwältigend. Ein einziger, Bernd (von seinen Klassenkameraden inzwischen „Bernd, der Streber“ genannt, hat →einen interessanten Vorschlag gemailt. Anlass, die Daumenschrauben noch weiter zuzudrehen.

Nämlich so: Ihr findet hier DREI (in Zahlen: 3) Varianten, die alle möglich und logisch wären. Aber nur eine einzige verarbeitet tatsächlich alle Möglichkeiten, die sich aus dem bisherigen Text eröffnen. Welche? Das solltet ihr herausfinden. Und, so ihr wollt, hier mailen. Auf geht’s!

Variante 1

„Das Firmenschild, auf dem in schnörkelloser, metallicglänzender Schrift „UNIVERSAL CASTING GmbH“ stand, war eine einzige…“

Ach was! Scheiße! Warum mühte er sich damit ab? Für wen opferte er sein Leben, indem er es in Wörter verwandelte? Für die da draußen? Es wäre zum Lachen, aber es ist zum Weinen.

Er klappte das Notebook zu: SO! Stand auf, trat ans Fenster, öffnete es, lehnte sich weit genug hinaus, um sich selbst vorzugaukeln, Selbstmord gehöre zu seinem eskapistischen Repertoire.

Hielt den Kopf in die Nacht. Nichts war zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken, zu fühlen, und für einen Augenblick dachte er: He! Es hat mich aus dem Universum katapultiert!

Zu früh gefreut. Er freute sich immer zu früh. Eine Seite makelloser Prosa war ihm gelungen, ein fein gewobener Teppich, der durch die Dimensionen flog. Was hatte er erwartet? Dass man ihm dafür postwendend den Nobelpreis per Email überreichen würde? Nein. Ein klein wenig Bewunderung? Das ja. Und was hatte er geerntet? Kleinkarierte Kritteleien der Geschmackspolizei.

Aber er hatte sich gerächt! So getan, als sei der Text nicht die erste Seite eines Krimis, sondern ein Text im Text, und auch die lächerlichen Einwände seiner Kritiker waren von ihm souverän zur Fiktion verdammt worden.

Sein Leben war eine Aneinanderreihung von Fehlinterpretationen. Was da als stinkende Leiche auf der Erde gelegen hatte, war die Menschheit selbst, nicht sein Vater, dieser gute Kerl. Wieder versagt, dieses von Dummheit wie von Köpfläusen befallene Menschengeschlecht.

Wärme kroch in ihm hoch. Es war Hass oder Leidenschaft, genau wusste er es noch nicht. Er spielte mit einer Münze in seiner Hosentasche, bis das Geldstück warm und feucht von Schweiß war. Eine einzige, jämmerliche Münze. Er entschied, es sei wieder an der Zeit, seinen Vater um Geld zu bitten. Was blieb ihm anderes übrig? Alles was er anfasste, blieb erfolglos. Und sein Vater würde ihm das Geld geben, ohne zu fragen, ohne zu kritisieren. Hatte ja genug.

Seufzend schloss er das Fenster, wappte sich gegen die Kälte, die er da draußen vermutete und verließ seine Wohnung. Das Haus seines Vaters lag am anderen Ende der Stadt. Er würde laufen müssen.


Variante 2

NEIN! Es stromerte wie eine Maschinengewehrsalve durch sein Kopf: NEINNEINNEINNEINNEINNEINNEIN…

Das ist kein Roman im Roman. Sein Blick auf dem tonlosen Quark auf dem Bildschirm, bis die Augen flimmerten. Kein Roman im Roman, kein Film im Film, kein Püppchen im Püppchen. Wirr-klichkeit. Sehr nüchtern: Wirklichkeit Strichpunkt und sein Alter lag erschlagen (erschlagen? erschlagen) in der Wohnung, am Anfang des Endes des Weges allen Fleisches.

Während er aufstand, um den Fernseher auszuschalten (die Brotkrümel vom Hemd wischen), trauerte er um sein Talent, unangenehme Dinge in die Fiktion zu verfrachten. Er sah noch, wie sein Vater, zwei Zentner Materienwelt, zu einer nebulösen Gestalt im Roman im Kopf des Kindes geworden war. Natürlich der Bösewicht, und am Ende würden sie ihn am Arsch kriegen. Oder mittendrin erledigen. Ein Zauberschwert, das den Schädel des Alten spalten könnte wie ein Kokosnuss, nur wäre dort weniger drin als hier. Dummheit ist Antimaterie, Grausamkeit auch, im Weltall tanzt die Antimaterie und amüsiert sich über die Dinglichkeit.

Ging nicht mehr. Keine Chance. Der Alte (jetzt ganz sachlich wiederholen) liegt, von fremder Hand ermordet, in seiner Wohnung, und morgen wird die Putzfrau kommen und froh sein, dass sie sich einen neuen Job suchen darf.

Suchen. Dummer Hund! Die Putzfrau wird als erstes in den Schränken nach der Kohle suchen. Hätte er doch machen sollen! Sein Vater hortete Geld für schlechte Zeiten, das er aber in den schlechten Zeiten niemals ausgab, weil es ja noch schlechtere Zeiten geben konnte. Die Putzfrau würde es finden, wahrscheinlich wusste sie längst, wo es lag.

Er musste hin. Nochmal hin. Ganz in der Wirklichkeit bleiben, sich keine Story ausdenken, in der ein anderer (warum hatte der eben so geheißen wie er hieß? Ralf Dörke? Kannte er so einen? Und was sollte das mit der Firma? Der Mensch, der ein Hirn hat, ist doch schon ein bizarres Tier!)

Entschlossen verließ er seine Wohnung.


Variante 3

An die Kümmerlichkeit seiner Existenz dachte Ralf Dörke nur, wenn er vergessen hatte, dass ihm als Beamter in dieser turbulent gewordenen Arbeitswelt nichts von all dem Unangenehmen geschehen konnte, das einem aus den Zeitungen düster entgegen grinste. Und, gesetzt den Fall alles ginge in die Brüche, was die Säulen dieses Staates ausmachte, man ihn also, obwohl Beamter, entlassen würde, dann – verschwände mit dem reichlichen Gehalt auch die Kümmerlichkeit der Existenz. Wie letztere dann allerdings fürderhin zu umschreiben wäre, daran wagte Ralk Dörke nicht zu denken.

In einem Café am Rande der Fußgängerzone (Er hasst Fußgängerzonen. Warum? Weil er sein ganzes Leben lang zu Fuß gegangen war. Als Streifenpolizist, dann, nach dem Nervenzusammenbruch, als Klingenputzer einer Firma, die es nur dem Namen nach gab.) trank Dörke einen ziemlich dünnen, dafür preiswerten Kaffee, aß ein Butterhörnchen, verliebte sich in die Bedienung, rauchte eine leichte Zigarette und entliebte sich sofort wieder, als er sah, dass es am linken Ringfinger der Bedienung standesamtlich gülden glänzte.

So gestärkt setzte er seinen Weg fort. Ein Name stand noch auf seiner Tagesliste, nicht mehr weit war das, gleich um die Ecke, „Bornstein Immobilien“, der Eigentümer höchstselbst. Aha, schon war er da, schnell noch die Krawatte zurecht rücken.

Die Tür stand offen. Dörke klopfte zaghaft, keine Antwort. Vorsichtig die Tür aufstoßen, hoffentlich geht das geräuschlos. Es ging geräuschlos.

„Hallo?“

Keine Antwort. Mutig setzte Dörke einen Schritt in den Raum. Was er sah, glaubte er nicht. Was er nicht glaubte, gefiel ihm nicht. Was ihm nicht gefiel, war ein Mann, dessen Kopf im eigenen Blut lag wie ein Thunfisch im eigenen Saft. Mahlzeit.

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