Summer Camp -9-

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Das nähere Kennenlernen des Personals (in der letzten Folge versprochen) verschieben wir um eine Woche und widmen uns zunächst einer an sich banalen und für viele vielleicht auch überraschenden Problematik: Wie umfangreich soll unser Roman eigentlich werden?

Autoren, die die Tinte nicht halten können, werden jetzt vielleicht ausrufen: Wie? Wie lang? Mir doch egal! So lang, bis mir nichts mehr einfällt! Schön, ich respektiere das vorderhand, frage mich aber, ob ich als Leser eines 600 Seiten langen Textes, dessen Inhalt auf 200 gut untergebracht wäre, über die gleiche Geduld und Toleranz verfügen würde. Wahrscheinlich nicht.

Aber zuerst einmal beruhen Überlegungen des Autors zum Umfang seines Textes auf taktisch-ökonomischen Erwägungen. Mit einem 80-Seiter wird ein Debütant ebenso wenig einen Verlag finden wie mit einem 800-Seiter, Ausnahmen bestätigen die Regel. Verlage schätzen Krimis, die zwischen 200 und 400 Seiten stark sind, der Leser tut es wohl auch.

Selbst wer solche Überlegungen geringschätzt, wird nicht umhinkommen, sich Gedanken über den Umfang zu machen. Denn wenn wir bisher auch kaum etwas über die eigentliche Handlung, den eigentlichen Ablauf wissen, so wurde das Thema doch schon so weit umrissen, dass Antworten auf folgende Fragen möglich sein sollten:

1. Worum geht es mir eigentlich? Um das Abspulen, das Ineinandergreifen von mehr oder weniger Handlung oder um die Darstellung einer psychischen Konstellation und ihrer Folgen? Wer einen Actionthriller mit ständig wechselnden Schauplätzen und einem nur noch in Dutzenden aufzufahrenden Personal konzipiert, tut gut daran, sein Werk etwas breiter anzulegen. Wer hingegen eine sehr konkrete Situation, bei der sehr viel (in doppelter Hinsicht) Kopfarbeit ist, ausloten möchte, der wechselt zu
2. Bis in welche Tiefen will ich eigentlich vordringen? Wir wissen immerhin schon, dass zu unserem Krimi auch eine Vorgeschichte gehört, die weitgehend im Kopf des Erzählers reportiert werden soll. Damit wissen wir auch, dass etwa ausufernde Milieuschilderungen fehl am Platze sind. Was wir wissen müssen, erfahren wir kurz und knapp, es steht in enger Verbindung zur Gegenwart des Erzählers und jener jüngeren Vergangenheit im Wartehäuschen am Bahnhof. Die Bewegungen, die wir sprachlich vollziehen, sind zwar schnell – aber nicht schnell, um die Handlung zu bewegen, sondern um die innere Konstellation des Erzählers und der anderen Personen zu umkreisen, sie immer enger miteinander zu verknüpfen, bis am Ende nichts außer der Katastrophe mehr denkbar ist.
3. Das wiederum führt unweigerlich zu einer zentralen Überlegung, den Leser betreffend. Was will ich ihm zumuten? Oder konkreter: Wie stelle ich ihn mir vor? Traue ich ihm zu, eigene Schlüsse anzustellen oder halte ich es für opportun, ihm alles möglichst haarklein zu explizieren? Auch wichtig: Welches „Lesegefühl“ möchte ich eigentlich ansprechen? Will ich ihn bei der Hand nehmen und ihn durch eine atmosphärische Handlung führen oder mute ich ihm zu, sich in ein System kommunizierender Stimmen und Ereignisse zu versenken, bei dem es nicht möglich sein sollte, diese oder jene Passage rasch zu überfliegen? Wie setze ich das dramaturgische Element der Wiederholung ein?

Es gäbe noch mehr Punkte zu beachten, noch mehr Fragen zu stellen. Die nach dem Umfang des Textes allerdings ist wichtig, auch weil sie, wie man sieht, eine ganze Reihe von anderen Fragen aufwirft, über die man sich klar werden sollte.

Unser Krimi, das steht fest, wird es dem Leser nicht leicht machen; er wird Arbeit fordern, Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, selbstständig Schlüsse zu ziehen. Wir erzählen nur dort, wo es sein muss (siehe „Erzählperspektiven“) im etwas breiteren, „traditionelleren“ Ton, ansonsten gilt es, Gedanken in all ihrer Vielfalt sichtbar zu machen. Wir erzeugen die Spannung aus der Zuspitzung dieser Gedanken, nicht aus vordergründigen Aktionen heraus, die wir folglich auch nicht zu schildern brauchen. Wir schreiben auch keinen psychologischen Roman, in dem alle Personen bis auf den Grund ausgeleuchtet werden. – Und damit wären wir halt doch wieder beim Personal, das es endlich etwas genauer zu skizzieren gilt.

Abschließend sei aber festgelegt, dass unser Roman zwischen 200 und 250 Seiten stark sein soll. Das ist noch ein wenig ungenau, weist aber schon die Richtung.

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