Jan Costin Wagner: Schattentag

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(„KrimiX“ sind Krimis, die keine sind und doch welche sind. Gemixtes halt. Diese Tierchen sind übrigens der Regelfall in der Literatur, bloß wissen es die wenigsten. In dieser Reihe sollen also Bücher vorgestellt werden, die man als genretreuer Kritiker und Leser nicht „Krimi“ nennen würde, die aber unbedingt dazugehören. Übrigens ist der Leser durchaus zur Mitarbeit aufgefordert. Nutzt die Kommentarfunktion, um Geschöpfe zu benennen, von denen ihr auch nicht so genau sind, ob sie nun oder ob eher nicht. Wer selbst etwas Ausführlicheres zu einem solchen Titel schreiben möchte, schicke mir eine Mail.)

Jan Costin Wagner hätte es beinahe geschafft, mich reinzulegen. Naja, am Ende habe ich die Kurve gekriegt, aber knapp wars doch. „Schattentag“ ist nämlich ein Krimi, der keiner ist und einer ist, weil er keiner ist. Aber der Reihe nach.

Zunächst: die Sprache. Mager und asketisch, das ideale Transportmittel für nicht sonderlich originelle Sätze, die mich sehr unangenehm an jene „deutsche Innerlichkeit“ gemahnten, die unsere Gegenwartsliteratur seit etlichen Jahrzehnten infiziert hat. Lesetendenz: nichts wie durch.

Dann: die Story. Ein Mann verliert von einem Moment auf den anderen sein Augenlicht, landet – wie auch immer – im Krankenhaus, trifft dort eine flüchtige Bekannte namens Mara, die ihn gleich – warum auch immer – aus seinem Umwelt (Familie, Beruf) reißt und mit sich auf eine Insel – wo auch immer – nimmt. Aber hinter der Maske der barmherzigen Samariterin verbirgt sich ein noch unbekanntes, nicht ganz so mildtätiges Gesicht, darauf jedenfalls weisen Indizien und Leseerfahrung.

Eines Abends besuchen Mara und ihr Schützling ein Feuerwerk, bei dem eine Person von der Klippe in den Tod stürzt. Auftritt eines Polizeibeamten. In der Tasche des unzweifelhaft von fremder Hand Getöteten fand sich ein Bild des erblindeten Mannes. Was hat es damit auf sich? Und was ist das für ein merkwürdiger Polizist? Ist er einer? In welcher Beziehung steht er zu Mara?

Kein Zweifel: Ich befinde mich in einem Krimi. Nicht, dass sich dies konkret belegen ließe. Aber Wagner hat, wie nur je ein literarischer Pavlov, meine diesbezüglichen Reflexe konditioniert. Ich wähne mich in einem Krimi, weil alle Anzeichen darauf hinweisen. Ich beginne, aus diesen Anzeichen, die wie derbe Wegweiser aus der Textwüste wachsen, mir eine Krimistruktur zu stricken, die es erlaubt, die Lösung aller Geheimnisse zu antizipieren, oder sagen wir: zwei, drei Varianten von Lösungen, von denen eine wohl zutreffen sollte.

Konsequenz: Da ich mir ja denken kann, worauf es hinausläuft (die geheimnisvolle Mara ist der Schlüssel zu allem), mir auch die Sprache weiterhin recht zuwider ist, fange ich an, sehr schnell, sehr kursiv, sehr oberflächlich zu lesen. Etwa ab Seite 100 wird das Ganze zur Turbolektüre.

Aber so oberflächlich kann ich gar nicht lesen, um nicht irgendwann festzustellen, dass sich die Dinge nicht so entwickeln, wie sie es eigentlich sollten, weil mein Krimiinstinkt es so erwartet. Die Gegenwart des blinden Mannes rückt in den Hintergrund, Mara mit ihr, die Vergangenheit des noch Gesunden taucht in immer längeren Passagen auf und führt uns in sein Alltagsleben zurück, zu seiner Familie, seiner Arbeit (Er ist, dies nur nebenbei, in der IT-Branche und baut Bildschirmschoner. Wie man davon leben kann, wüsste ich gerne.). Und jetzt, ganz allmählich, verlasse ich auch den Krimi. Die Dinge drehen sich, aus dem Krimi, der nur ein Krimi wurde, weil es mir so suggeriert worden ist oder ich glaubte, es werde mir suggeriert, wird ein psychologischer Roman, der am Ende dort ankommt, wo er nicht gestartet ist: in der Normalität, weitab von allen Verbrechen.

Und das ist groß, wirklich groß. Jan Costin Wagner hat einen Roman geschrieben, der die Elemente des Krimis souverän einsetzt, den Leser düpiert, ihn vielleicht auch ein wenig lehrt, nicht immer in „Genregesetzen“ zu denken. Krimihundchen bekommt sein Häppchen, wenn das Glöcklein „Verbrechen!“ läutet und wenn nicht, läuft ihm das Wasser auch ohne blutiges Leckerli im Mund zusammen. Das ist spannend wie ein Krimi, und dass ich den Verdacht nicht loswerde, „Schattentag“ könnte DOCH ein Krimi sein, ist ein weiterer, vielleicht sehr auf meine Leserperson beschränkter Nebeneffekt.

Die Sprache des Romans mag ich immer noch nicht. Auch am Aufbau hätte ich einiges zu bemäkeln, der ist mir ein wenig zu konventionell. Aber ein zweites Mal lesen werde ich den Roman schon.

dpr

Jan Costin Wagner: Schattentag. 
Eichborn 2005. 192 Seiten, 17,90 €

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