Elsebeth Egholm und Kirsten Holst sind zwei bewährte Kräfte dänischen Krimischaffens. In ihren aktuellen Büchern, „Das nächste Opfer“ und „Der Tod steht auf der Schwelle“, geht es, kaum verwunderlich, um mysteriöse Morde und ihre Aufklärung. Ende der Gemeinsamkeiten. Zwischen beiden Titeln liegen lange 200 Seiten.
Elsebeth Egholms Roman beginnt klassisch: Eine Brandstiftung, ein Mord, beides bequemerweise ganz in der Nähe der Protagonistin Dicte Svendsen, einer Journalistin in heiklen Verhältnissen. Ihre Tochter (die auch die Leiche gefunden hat) wird flügge und droht schon mit 17 im Einerlei einer bürgerlichen Existenz zu versacken. Ihr Freund, Fotograf, leidet unter der Trennung von seinen Kindern und den seelischen Grausamkeiten seiner Ex. Zudem soll in Dictes Zeitung „rationalisiert“ werden, ihr Arbeitsplatz steht auf dem Spiel. Das ist eine Menge Zeug, aber noch nicht genug. Der Fall selbst entwickelt sich zu einer Familientragödie mit allen Ingredienzien, die Skandinaviens Autoren hinein zu mischen pflegen. Eine Tochter tot, die andere an der unverarbeiteten Kindheit leidend, dem prügelnden Vater vor allem, der jetzt demenzkrank in einem Altenheim lebt. Auch Dicte hat einen Vater, und der Vater stirbt. Dicte ist das schwarze Schaf der Familie, weil sie nicht wie die übrigen den Zeugen Jehovas beigetreten ist. Und als die Ereignisse dramatisch zu werden beginnen, zeigt sich, wie beide Familienstränge ineinandergreifen – denn, pardon, das wurde vergessen, Dicte hat einen unehelichen Sohn, den sie gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben hat, und die Ermordete hatte eine Tochter, die in einer Sekte missbraucht wurde, weil ihre Mutter…
Oh, ja, man merkt es schon. Das ist eine Menge Stoff für einen einzigen Fall, der am Ende auch nichts weiter ist als ein ganz gewöhnlicher Mord, dem ein anderer folgt und ein dritter nicht, weil er verhindert wird. Kein Wunder, dass über 400 Seiten bei solcher Fülle von Material nur für Gemeinplätze reichen. Bin ich eine gute Mutter? Eine gute Journalistin? Ist mein Freund der richtige für mich, wenn nicht, warum nicht? Ein gewöhnlicher Fall, wie gesagt, begraben unter den Belanglosigkeiten einer vom Schicksal geprügelten, von ihrer Schöpferin heillos überfrachteten Protagonistin. Ihn hinsichtlich seiner Themen als „Frauenkrimi“ abzulegen, hieße die Frauen beleidigen.
Ganz anders Kirsten Holst. Sie braucht, um ihrem Ermittlerduo Hoyer und Therkelsen fallmäßig ein erfolgreiches Ende zu bereiten, gerade einmal 220 Seiten. Ein Einbrecher ist ermordet worden, dummerweise vor den Augen der Polizei. Viele Fragen, das kennt man, viele Mutmaßungen, das kennt man auch. Aber die beiden Ermittler sind nur die beiden Ermittler. Sie haben Ehefrauen, Kinder, und das Dramatischste, was ihnen privat passiert, ist die zu laute Musik der Sprösslinge. Ansonsten machen sie, nicht einmal unwitzig, ihren Job – und kommen auch ans Ziel.
Holst hat ein Händchen für Ökonomie, für Andeutungen, man liest entspannt und wartet nicht schon voller düsterer Ahnungen auf den nächsten Schicksalsschlag, der die Handlung von ihrem eigentlichen Thema abbringt und auf Nebenschauplätze verlegt, wo die großen Themen nordischer Spannungsliteratur abgehandelt werden, all das Räsonnieren über das Sein und das Werden, die Verrohung der Gesellschaft und die Unfähigkeit zum Orgasmus.
Am schönsten jedoch: Nach 220 Seiten hat mans geschafft. Und nichts versäumt und nichts bereut.
Elsebeth Egholm: Das nächste Opfer.
btb 2005. 412 Seiten, 9,00 €
Kirsten Holst: Der Tod steht auf der Schwelle.
Grafit 2005. 220 Seiten, 8,50 €