Leitfaden für VolontärInnen

Jetzt ist es passiert! Die Zeitung, bei der du den Journalismus von der Pieke auf lernen willst, hat dich zu 100 Zeilen „über Krimis“ verdonnert! Dabei hast du doch Germanistik studiert und deine Magisterarbeit über „Das Emblematische in der Gelegenheitslyrik von Walter Benjamin“ geschrieben! Und jetzt das! Dir! Krimis!

Aber keine Angst. Wenn du erst einmal deine Stelle im Feuilleton bekommen hast, wirst du nie mehr über Krimis schreiben müssen. Dafür hat man ja schließlich die VolontärInnen und PraktikantInnen, die sich zwecks Abhärtung durch das Stahlbad des Trivalen quälen. Über Krimis schreiben, das kann jeder, der ein paar Regeln beherzigt. Zum Beispiel folgende.

Also: Beginne damit, dass Edgar Allan Poe den Krimi erfunden hat. Wäre er kein Schriftsteller gewesen (ja, genau, er hat gesoffen wie ein Pferd), hätte er wahrscheinlich den Toaster erfunden, aber er konnte einfach nichts anderes als schreiben, und wahrscheinlich wollte er aus finanziellen Gründen nur eine Marktlücke besetzen. Jedenfalls hat er den Krimi erfunden – nun ja, unter uns: Eigentlich ist das Blödsinn. Eigentlich müsste man das Poe’sche Gesamtwerk lesen, um zu erahnen, warum er da plötzlich einen allwissenden Detektiv auf die Piste schickt, der auf totale Erkenntnis aus ist. Nur vergiss nicht: Du schreibst für Feuilleton, da darf es nur Aussagesätze geben („Poe erfand den Krimi.“) oder emphatisch-philosophische Betroffenheitsaxiome („Das Lüneburger Stadttheater bündelt das Weltelend in enigmatischer Apotheose zu einem Welttheater Brechtscher Divergenz in nuce.“).

Weiter. Es gibt zwei Arten von Krimis: Whodunits und Nichtwhodunits. Erstere werden auch „Rätselkrimis“ genannt und variieren immer das gleiche Muster: Es geschieht ein Mord, und der sympathische Detektiv von Scotland Yard muss rauskriegen, wer von den fünf bis sechsundzwanzig Verdächtigen es war. Am Schluss wars immer die Person, von dem man es am wenigsten gemutmaßt hat, und Klaus Kinski ist tot, aber Joachim Fuchsberger hat die reiche Erbin abgekriegt. Du kennst ja die Filme.

Komplizierter sind die Nichtwhodunits. Man nennt sie auch „hardboiled“, weil sie, wie der Amerikaner sagt, „Eier haben“. Sie entstanden in den Vierzigern in Hollywood, als man für den aufstrebenden Schauspieler Humphrey Bogart geeignete Rollen suchte, aber keine fand. Hercule Poirot konnte er nicht spielen, weil sein französischer Akzent einfach grauenhaft klang, beinahe belgisch. Aber etwas Kriminelles, Zynisches sollte es schon sein, und da hat man eben zwei Heftchenschmierer, Hammett und Chandler, für die Drehbücher geholt. Das waren natürlich keine Dichter. Die konnten sogar eine Straße überqueren, ohne in den nächsten offenen Gully zu fallen. Phantasie hatten sie auch keine, also haben sie die Welt so beschrieben, wie sie war, trivial halt. Aber das kam an, das verkaufte sich, und Bogart bekam Lauren Bacall, und dafür konnte man schon mal einen Malteser Falken einfangen.

So, und jetzt wird’s ganz kompliziert. So wie es Nichtwhodunits gibt, die keine Literatur sind, so gibt es auch welche, die von Literaten geschrieben wurden und genau deshalb schon Literatur sein müssen. Notiere dir bitte folgenden Aussagesatz: „Friedrich Dürrenmatt erfand den literarischen Krimi.“ Und das kam so. Der Dichter Dürrenmatt erwachte eines Morgens – und hatte Hunger. Drum sagte er sich: Lasst mich einen Krimi schreiben, auf dass ich niemals mehr hungern muss.

Dazu sollte man wissen: Der Mann wog damals 57 Kilo! Und er schrieb einen Krimi. Und noch einen. Und noch einen. Und am Ende wog er 122 Kilo und schrieb wieder Vollwertliteratur, bis er auf 48 Kilo abgemagert war und als Beinahegewinner des Nobelpreises starb.

Diesem Muster des literarischen Krimis folgen bis heute viele Dichter, die es eigentlich besser könnten, aber seltsamerweise nicht bereit sind, für ihre Kunst zu darben. Ein paar Namen: Wolf Haas, Heinrich Steinfest und Matthias Altenburg. Letzterer wog bei einer Körpergröße von 1 Meter 85 ganze 70 Kilo. Jetzt, zwei Erfolgskrimis als Jan Seghers später, wiegt er schon 90 Kilo – bei einer Körpergröße von 1,72!

Der nette junge Mann, der beim letzten poetry slam mit seiner Ode an Hartz IV dein soziales Bewusstsein erweitert hat und der so schrecklich mager war, könnte also der nächste Krimibestsellerautor sein!

Um ein wenig Tiefe in deine historischen Betrachtungen zu bringen, erwähne unbedingt Friedrich Glauser. Friedrich Glauser ist der Robert Walser des Krimis, d.h. ein bissel plemplem war er, keiner versteht ihn bis heute, aber alle schreiben kluge Sätze über ihn. Einen klugen Satz sollte auch dein Feuilletonartikel haben, wir empfehlen diesen: „Friedrich Glausers Kriminalromane betrachten die Welt als göttliche Tragödie aus der Perspektive eines Clowns in der Zwangsjacke.“ Wow!

Kommen wir noch schnell zur Einschätzung des Krimis-an-sich, wie es der Feuilletonkonsument beim Frühstück gerne liest. Notiere dir folgenden Satz: „Die besten Krimis sind gar keine.“ Das sind dann „psychologische Krimis“ oder „sozialkritische Krimis“ oder, ganz neu im Angebot, „globalisierte Krimis“. Sie werden entweder von Literaten verfasst (s.o.) oder „Betroffenen“ wie Arbeitslosen, kubanischen Zigarrendrehern und senegalesischen Voodoopriestern. Die darf man auch lesen, wenn man keine Krimis mag, denn sie sind ja erstens keine und zweitens muss auch das Feuilleton ein bisschen die Welt betrachten, von deren Abogeldern es lebt.

Verschwenden wir zum Schluss noch ein paar Sätze an den Markt und das Zielpublikum. Merke: Im Gegensatz zur richtigen Literatur bedienen Krimis notorisch „den Markt“, deshalb sind sie auch so erfolgreich, aber eben auch keine Kunst. Sie treffen auf ein Publikum, das nur zu 6% im Besitz eines Abiturs ist, sich allerdings zu 83% wegen akuter oder latenter Welt- und Realitätsflucht in psychiatrischer Behandlung befindet. 19% aller Krimileser werden selbst irgendwann einmal straffällig, von diesen 19% werden 24% Krimirezensenten und 2% Herausgeber von Krimireihen, und einer sitzt völlig überraschend im Feuilleton der Zeit, aber den erwischen sie auch noch.

So. Und jetzt schreib deine 100 Zeilen. Liest eh keiner.

17 Gedanken zu „Leitfaden für VolontärInnen“

  1. Nein, tus nicht, Anobella! Nicht loben! Das bringt mein Weltbild durcheinander! — Oder steckt wieder einmal finstere Absicht dahinter? Ein Ruhigstellen gewissermaßen, Beruhigen, bevor Madame zum großen Schlag ausholt, Krimiblogpäpstin zu werden? — Ich bleibe wachsam!

    bye
    dpr

  2. Auf Ludger? Nö. Auf dich. Lenk bitte nicht immer ab! Deine Ambitionen sind hier durchaus bekannt. Du hetzt Ludger und dpr gegeneinander auf („Ich bin Krimiblogpapst!“ – „Nein, ich!“) und wenn wir erschöpft und fertig sind, bist du die lachende Dritte. Und wir können allenfalls noch als „Krimiblogkardinäle“ unser Dasein fristen. Aber nicht mit uns!

    bye
    dpr

  3. Auch von mir Lob für diesen Beitrag und einen kleinen Zusatz zur Einschätzung des Krimis : Techno-Thriller ist auch so ein hübsch nichtssagender Begriff, wenn einem sonst nichts mehr einfällt.
    Und ganz ehrlich : Mir sind die offenen Krimihasser immer noch lieber als diejenigen, die Krimi mögen, AAAAABER… und dann folgen drei Spalten Einwände.
    Gruß
    barb

  4. Genau, liebe barb, nichts gegen Krimihasser. Wenn sie wissen, was sie hassen. Was aber ist um Himmelswillen ein „Technokrimi“? Kommt da aus Kanada eine neue Welle auf uns zu? Oder habe ich mal wieder einen Trend verpennt?

    bye
    dpr

  5. Was ist Techno-Thriller? Das ist eine sehr gute Frage. So richtig verstehe ich es auch nicht, lese die Katalogisierung aber immer häufiger. Ich versuch mal ne Erklärung : Thriller und/oder Spionageromane, die im industriellen Bereich spielen oder in denen Verbrechen auf industrielle Art betrieben wird. Ist nicht sehr klar, oder? Ganz ehrlich : mir auch nicht!
    Dir ist also kein Trend entgangen, sondern nur eine weitere idiotische Katalogisierung, die wahre Krimiliebhaber ja sowieso nicht brauchen!
    Gruß
    barb

  6. Techno-thrillers are a hybrid genre, drawing subject matter generally from spy thrillers, war novels, and science fiction. They include a disproportionate amount (relative to other genres) of technical detail on its subject matter; only science fiction tends towards a comparable level of supporting detail on the technical side.

    Ja, der „Techno-Thriller“ hat’s auch schon zu einem Eintrag in der Wikipedia gebracht: → en.wikipedia.org/wiki/Techno-thriller

  7. „Deavers ‚Lincoln Rhyme'“

    Wenn denn die Aussage „They include a disproportionate amount (relative to other genres) of technical detail“ stimmt, ist Lincoln Rhyme m.E. kein Beitrag zum „Techno Thriller“ Genre. Die von Deaver beschriebene Technik ist so nicht real. So funktioniert weder mikroskopische Diagnostik noch Gaschromatograph (GC). Das ist alles nur Blendwerk und statt „GC“, könnte er auch schreiben „Rhyme untersuchte mittels jhjh die Probe“.

  8. Lieber Bernd, ich hatte mit der Mary-Shelley-Brille auf der Nase an Rhyme selbst gedacht, also nicht an Technik, die im ‚wirklichen Leben‘ funktioniert, sondern an künstliche (technisch kreierte) Menschen (Rhyme). JL.

  9. Lieber JL,

    diese Assoziation konnte ich natürlich nicht ahnen. Originell !

    Ich würde Sie aber nicht teilen. Ich hatte früher einen Nachbarn, der MS hat. Dessen körperliches Vermögen entspricht dem von L. Rhyme. Nein, auch wenn ein C4-Querschnitt ala Rhyme meistens zu einem Ausfall der eigenständigen Atmung führt, dieses Aspekt der Bücher finde ich sehr real.

    Auch amerikanische Leser, so könnte ich mir denken, werden, angesichts eines C. Reeves, Rhyme für real halten.

    Alleine, dass Rhyme Pferdedung nimmt und direkt in den GC spritzt und damit auch noch unterschiedlichste Substanzen (ohne Derivatisierung) gemeinsam identifiziert, ist schlichtweg infantil

    Beste Grüße

    bernd

  10. Lieber Bernd,

    kein Einwand, auch nicht originell: wir blicken nur durch unterschiedliche Brillen. Wenn ich mich recht entsinne, ist Rhyme (ob realistisch oder nicht) mindestens in „The Bone Collector“ nur dank einer ausgefeilten und hypermodernen Prothesenanordnung überlebens- und handlungsfähig. Deshalb fällt er mir bei Techno-Thriller ein, deshalb auch die Mary-Shelley-Assoziation für den Techno-Thriller: künstliche Menschen hier wie dort. (Und Namen haben in der Literatur halt immer eine Bedeutung, und sei es nur die, keine Bedeutung zu haben.)

    Originell waere allenfalls, wenn ich jetzt damit argumentieren wollte, daß sich „Frankenstein“ und „Linkenreim“ in meiner Aussprache rhymen.

    Grüße: JL.

  11. Sehr geerter Autor,
    wo ich dieses Buch oder ehr gesagt ich habe es ja hir im Internet gelesen, und ich sage: als ich das gelesen habe war ich bafffffff das war sowas fon cool.

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