Redaktionssitzung

Dicke Luft im kleinen Sitzungssaal des Hinternet Buildings. „Waaas“ – Chef Walter holt tief Luft – „Bill Moody, ‚Bird lives‘ soll nächste Woche rezensiert werden? Dieser Jazzkrimi? Nur über meine Leiche!“ Ein Kindheitstrauma. Mit vier ist Chef Walter in einen Kessel mit heißen Synkopen gefallen und seitdem hasst er Jazz wie sonst nur noch alles Französische. Aber ich bleibe standhaft. Moody. Bird. Am Donnerstag! Oder ich kündige!

„Darüber lässt sich reden“, bleibt Chef Walter unbeeindruckt. „Aber sagen Sie uns zuerst, wie Sie die Woche beginnen wollen.“ Ich räuspere mich. „Ich dachte an etwas Seriöses.“ Allgemeines Gelächter. „Nun, Noir und so und diesen Deutschen da, den alten, der wo…“

„Verschonen Sie uns mit Ihrem Altpapier!“ kreischt der Chef. „Falls Sie es vergessen haben sollten: Am Montag ist Ro-sen-mon-tag, und da wollen wir alle hübsch lustig sein. Lassen Sie sich was einfallen. Ein kriminelle Büttenrede oder so was! Wofür haben wir Sie denn auf die höhere Schule geschickt!? – Und Dienstag?“

Ist Berndtag. Eigentlich. Aber ob der bis dahin wieder gesund ist? Glotzenfreak und Redaktionsarzt Dr. Zapp drückt eine pissgelbe Fontäne aus einer bedrohlich wirkenden Spritze. „Keine Sorge, den Burschen spritz ich wieder fit! Danach gewinnt der die 4 x 10 Kilometer-Staffel der Skilangläufer im Alleingang! Gold für Österreich!“

„Wäre also auch geklärt“, schnauft der Boss. „Mittwoch. Asch-er-mitt-woch. Da könnense dann mit ihrem Noir kommen. Passt. Und Donnerstag diesen Moody? Na ja – aber einen zünftigen Verriss, mein Lieber! Oder…“

Ich ducke mich. „Aber wenn mir das Buch doch gefallen hat….“ Der Chef wischt den Einwand brutal vom Tisch. „Seit wann geben denn Ihre Rezensionen Ihre Meinung wieder? Wohl skrupulös geworden auf Ihre alten Tage! Das blutrünstige Volk da draußen verlangt die Bücher-Keulung! Außerdem hauen wir dann diesem metro-Herausgeber einen rein, was immer gut für einen Skandal ist, und wir brauchen Skandale! Oder soll ich mal die Zugriffszahlen der letzten Wochen vorlesen?! Was haben Sie denn sonst so auf dem Stapel? Anne Chaplet? Eine Frau und dazu noch deutsch, also doppelt gehandicapt – das riecht ja förmlich nach Verriss! David Peace, 1977? 1977 hab ich meine Ex kennengelernt – fertigmachen, den Mann! Kommen wir zum Freitag!“

Freitag. „Was macht eigentlich dieser Herr K.?“ fragt der Chef, „wollte der nicht was über Sex & Crime machen? Schon vor Monaten?“

„Wollte er“, antworte ich kleinlaut, „aber er sucht noch nach Stellen. Sie wissen schon…“

„Geschenkt. Dann machen SIE das eben!“

„Aber ich find doch auch keine…“

„Dann zitieren Sie im Gottesnamen eben diese Anobella. Die macht doch jetzt auch in Sex. Überhaupt: Wir brauchen endlich eine Frau im Krimiblog! Eine Briefkastentante, meinetwegen, ein weibliches Wesen mit pseudoerotischer Ausstrahlung, das sich für nichts zu schade ist. Nicht mal dafür, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Leiten Sie das in die Wege!“

„Und…Chef…Sie haben mir doch drei Praktikantinnen versprochen…Fräulein B. Wunder, Fräulein Lang-Bein und Fräulein Jetzt-Komm-Schon-Hab-Dich-Nicht-So…“

Der Chef grinst. „Drei Praktikantinnen. Klar doch. Sollen Sie haben. Fräulein Ur-Alt, Fräulein Fass-Mich-Nicht-An und Fräulein Zuerst-Standesamt-Freundchen. Sitzen schon in Ihrem Büro und warten! Und jetzt auf! An die Arbeit!“

Und wieder ist eine Redaktionssitzung erfolgreich beendet. Das Leben geht weiter, Hinternet strickt pfeifend an seinem Mythos, ich schleiche ins Büro. Alltag. Knechtung. Deutschland 2006.

dpr

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