Carmen Korn: Der Fall der Engel

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[Warum ich morgens so gerne Zug fahre: Man wird hellwach dabei. Wenn ein Fähnlein Schüler sich des Abteils bemächtigt, ein Ausguck voraus, der nach freien Plätzen sucht und, wenn gefunden, „Los, schnell, hin, frei!“ schreit. Und dann wieseln sie an einem vorbei, und wenn man nicht aufpasst und zum Gang hin sitzt, wischen sie einem mit den Tornistern übers Gesicht. Stimmung. Das ist was los.]

Und merkwürdig, dass ich gerade jetzt einen Krimi lesen muss, in dem es um Einsamkeit geht. Eine Frau, alleinstehend, Mitte 40, fällt aus dem Fenster. Ein paar Abschiedszeilen, klassischer Selbstmord.

Und klassischer Kriminalroman, das merkt man gleich, anders als bei → Robert Brack , der von Anfang an die Detektion durch Überzeichnung dekonstruiert. Nein, hier wird ermittelt. Alles sehr ernsthaft, dem Thema angemessen, der Text teilt sich schnell in drei Stränge: Kommissar – Freund der Toten (ein ehemaliger Clown, der jetzt arbeitslos und einsam ist, Teil einer Gemeinschaft von Einsamen, sozusagen, die sich manchmal in der Küche des Clowns treffen, um zusammen allein zu sein) – und eine jüngere Frau, die vom besseren, sprich zweisamen Leben träumt, aber auch dort enden wird, wo man an Küchentischen sitzt, billigen Wein trinkt und wieder heim zwischen die vier Wände geht, die einen erdrücken.

[Ganz spontan: Macht Lesen eigentlich einsam? Fällt einem ja sonst nicht auf, wenn man sich in ein Buch begibt. Hier wirbelts halt um einen rum…nicht, dass man, würde man kein Buch lesen, „Kontakt bekäme“ im Zug. Oder: selten. Aber mit Buch bist du tabu. Da setzen sich auch weniger Leute auf den freien Platz neben dich.]

Und dann auch noch das: Die aus dem Fenster gefallene Frau war nicht die erste, war nicht die letzte, der das widerfuhr. Alle finsteres Mittelalter, alle alleinstehend, alle rausgeputzt. Und unsere jüngere Frau findet merkwürdige Büchergeschenke. Ob der Killer auch hinter ihr her ist? Denn einen Killer gibt es natürlich. Der Clown glaubt dran, der Kommissar, dem der Clown sympathisch ist, langsam auch.

[So. Aussteigen. Bisher liest sich das wie ein klassischer Kriminalroman, und Carmen Korn, das merkt man, kann welche schreiben. Und vielleicht hätte sie den Plot von „Der Fall der Engel“ auch für einen Roman verwendet, wenn ihr der Herr Albers das nicht für „kaliber .64“ abgeschwatzt hätte. Übrigens spielt auch dieser Text wieder in Hamburg, das ja schon bei den „Schwarzen Heften“ durchgängiger Tatort war. – Sprung: Feierabend: Rein in den Zug. Die übliche Feierabendmüdigkeit, die mit angenehmer, leider aber auch relativer Stille einhergeht. Üblicher Handy-Tonschrott: „Ja, ich bin gerade im Zug. Nein, ich habe schon gegessen.“]

Weiterlesen. Gegen Ende wird es erwartungsgemäß eng. Eine Reihe von Fragen gilt es zu klären. Was ist mit dem Foto in der Wohnung der Toten? Wer sind die dort abgebildeten Mädchen? – Was geschieht mit jener Vereinsamten, die von einem heimlichen Verehrer immer wieder mit Büchern ausgestattet wird? Ist der Clown koscher? Und dann ist es auch schon vorbei. Alles wird korrekt aufgeklärt, sehr schnell, ein wenig zu konstruiert. Aber das ist halt immer wieder der Fallstrick bei kürzeren Krimis, die eigentlich längere sein könnten. Und die Frage, die ich schon nach der Lektüre von Bracks Text gestellt habe, drängt sich auch hier auf: Hat mir der Krimi jenseits des traditionellen Musters von Verbrechen und Aufklärung etwas gebracht?

Die Antwort: durchaus. Das Motiv der Vereinsamung wird sauber durchgezogen, und das Ende des Textes, die „Auflösung“ gewissermaßen, liefert einen Kontrast dazu, der nicht ohne Reiz ist. Schön, nicht geschwätzig geschrieben, manchmal etwas plakativ, wenn es um die Befindlichkeiten der Personen geht. Fazit: Ich würde diesen Text gerne auch als das lesen, was er seiner Natur nach ist: ein kleiner, feiner Roman, sagen wir 180 Seiten, in dem die Personenkonstellation herausgearbeitet und die „Auflösung“ dramatisch ein wenig aufgepeppt werden kann.

Carmen Korn: Der Fall der Engel. 
Edition Nautilus (Kaliber .64) 2006. 62 Seiten, 4,90 €

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