Bei Pelecanos fährt man viel Auto. Die Guten tun es, die Bösen, die Täter und die Opfer, so ist alles in Bewegung, und am Ende war jeder überall und alles, und der Leser war auch irgendwo. Mitten in der Wirklichkeit.
Eigentlich widerstrebt es mir jetzt, etwas von der Handlung des Romans zu erzählen. Außerdem gibt es mehrere Handlungsstränge, die 14jährige Ausreißerin, die von den beiden Ermittlern Strange und Quinn vom Strich geholt wird, das junge Gangstertrio, dem 100 Dollar Schulden Grund genug sind, zwei Menschen zu exekutieren, dann das von Strange und Quinn unterstützte Footballteam, dessen Spieler „gefährdete Jugendliche“ sind, und dann noch das Privatleben unserer beiden Helden, gar nicht so rosig, aber so schlecht auch wieder nicht, und diese Stränge bilden selbst wieder welche aus, und am Ende ist alles verschlungen, aber es verwirrt nicht.
Nein, weg von der Handlung. Weg von den Strängen. Nennen wir sie Straßen. Straßen, die durch jene Bezirke Washingtons führen, in die hineingeboren zu werden nicht selten der Todesstrafe gleichkommt, für die sich immer ein Vollstrecker findet, oder der Ausbildung zum Vollstrecker, der sich um seine Deliquenten nicht zu sorgen braucht. Pelecanos also sitzt am Steuer dieses Wagens, wir auf dem Rücksitz, und so fahren wir gemeinsam durch diese elende Welt.
Ich habe aber selten einen Roman gelesen, in dem dieses Elend so hoffnungsvoll ist wie hier. Und die Hoffnung so elend zugrunde geht. Das ist es, was wir sehen. Menschen. Zwei Protagonisten, den schwarzen Detekteibesitzer Derek Strange, mittelalt, abgebrüht, durchaus noch idealistisch gegen das Schicksal ankämpfend. Er liebt seine Bürovorsteherin – und entspannt sich dennoch in den Hinterzimmern asiatischer „Massagesalons“. Und den weißen Terry Quinn, Expolizist, ungeduldiger Draufgänger, der sich verliebt und trotzdem seine inneren Dämonen nicht überwindet. Die beiden sind Kämpfer und Zweifler zugleich. Sie kämpfen um die Seelen der Jugendlichen, gegen die Ausflüchte der Dealer und Zuhälter, die ihre Chancenlosigkeit, ihr Schwarzsein für alles verantwortlich machen. Das stimme schon, sagt Quinn einmal, aber man könne dagegen ankämpfen. Der Leser weiß nicht, ob er das ernst meint, doch Quinn kämpft um die noch nicht Verlorenen und weiß, dass er dies zulasten der längst Verlorenen tun muss.
Und die Bösen. Je länger wir durch die Straßen dieses fiktiven Washington fahren, dessen dämonischer wird das alles – und desto deutlicher zeigt sich, dass selbst die Bösen so geworden sind, wie sie werden mussten. Nicht böse geboren; böse gemacht. So verschwimmt allmählich alles. Pelecanos erklärt uns die Welt nicht. Er zeigt sie uns einfach. Steigen Sie ein, fahren Sie mit.
George P. Pelecanos: Wut im Bauch (Hell to pay).
Aufbau 2005. 360 Seiten. 8,95 €
Hallo dpr,
dank dir, dass du mich an Pelecanos erinnert hast. Habe soeben das von dir rezensierte Buch in meine Urlaubsbuchliste aufgenommen. Im Urlaub gönne ich mir immer nur das Beste. Und nach der Washington Triologie weiß ich, dass Pelecanos dazu gehört.
Du hast die Stimmung seiner Bücher übrigens wunderbar eingefangen. Kompliment.
Gruß
thomas
Danke, Thomas. Da hat doch der Verlag die Kosten für das Rezensionsexemplar schon wieder drin! Bei dieser Gelegenheit: Shayol hat sein Versprechen gehalten und mir Leseexemplare geschickt! Guuuuuter Verlag!
bye
dpr