„California girl“ von T. Jefferson Parker ist der (noch) amtierende Gewinner des Edgar Awards in der Kategorie „Bestes Buch“. Nachdem T. Jefferson Parker auch 2002 für → „Silent Joe“ den Edgar erhalten hatte, ist er einer von nur drei Autoren, die den Preis zweimal bekommen haben. Kein anderer hat das allerdings so schnell geschafft wie er.
So erfolgreich er ist, es dürfte kaum einen zweiten US-amerikanischen Autor geben, der so unterbewertet wird wie T. Jefferson Parker. Dabei demonstriert er mit „California girl“, was für ein feiner Schriftsteller er ist. Mir ist kaum ein Buch erinnerlich, das genretypisches Rätsel und Spannung auf hohen Niveau serviert und diese Genrecharakteristika doch so nebensächlich wirken lässt.
Kalifornien 1968. Die Leiche einer jungen Frau, Janelle Vonn wird gefunden. Vergewaltigt und mit abgetrenntem Kopf. Sie war jung und schön und zog die Männer an wie das Licht die Fliegen. Von den eigenen Brüdern in der Jugend vergewaltigt, Informantin der Drogenpolizei, verstrickt in die LSD-Szene, Männerbekanntschaften und ein reicher Gönner. Mögliche Motive gibt es genug.
Dreh- und Angelpunkt des Buches ist die Geschichte der Familie Becker. Drei Brüder – der vierte ist in Vietnam gestorben. Alle Becker-Brüder kannten Janelle schon als Kinder. Nick Becker ist neu bei der Mordkommission und soll diesen, seinen ersten Fall aufklären. Eben weil er Janelle aus seiner Jugend kennt, ist er besessen davon ihn zu lösen. Andy, sein jüngerer Bruder, arbeitet als Polizeireporter und erhält den Auftrag, den Fall selber zu untersuchen. Auch er verbindet zahlreiche Erinnerungen mit Janelle. David ist der älteste Bruder, er ist Priester. Janelle gehörte zu seiner Gemeinde und David hatte ihr geholfen, von ihren Brüdern loszukommen. Miteinander, manchmal nebeneinander und selten auch gegeneinander sind die Brüder in den Mordfall involviert. Parker nutzt die unterschiedlichen Konstellationen sehr geschickt.
Das Buch atmet die Atmosphäre der späten 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Einer Zeit, in der die konservativen Strömungen, im Buch symbolisiert durch Nixon, und die liberalen Strömungen symbolisiert durch den „LSD-Papst“ → Timothy Leary, aufeinander prallen. Unterschiedliche Sichtweisen, die auch in der Familie anzutreffen sind, denn während die Eltern aktiv in der „John Birch Society“ mitarbeiten, die sich der Kommunistenhatz verschrieben hat, zürnt Andy über den Vietnamkrieg. [Vielleicht ist es nur die Fernsicht des Europäers, aber so ganz nur der Vergangenheit geschuldet, scheint mir die starke Betonung des Vietnamabenteuers in „California girl“ in den heutigen Zeiten des Irakabenteuers nicht. Wohl nicht ohne Zufall deutet Parker Ähnlichkeiten der Vertreter beider Abenteuer an.]
Der besondere Reiz des Buches ist aber, dass die Geschichte der Aufklärung des Verbrechens als Kristallisationspunkt für die unterschiedlichen Entwicklungen der drei Brüder dient. Parker arbeitet dabei immer im Rahmen der Aufklärung des Verbrechens und geht doch weit darüber hinaus. Durch kleine überraschende Wendungen schafft er es immer wieder, Druck auf die Brüder auszuüben und die Spannung hoch zu halten. Unaufdringlich, aber gekonnt erzählt Parker die Geschichte und montiert die verschiedenen Erzähl- und Zeitebenen zusammen. Wenn auch weite Teile der Geschichte 1968 spielen, sehen wir die Becker-Brüder in den 50er Jahren, wie sie das erste Mal auf Janelle treffen und begleiten den vierten Bruder in den Vietnamkrieg.
Wie häufig kommt es vor, dass ein Autor eine gute, sogar sehr gute Geschichte erzählt und die eigentlich Aufklärungsarbeit nur mittelmäßig ist, → Leonardo Padura sei als willkürliches Beispiel genannt. Anders „California girl“ ! Es ist aber der erste, in der Gegenwart gesprochene Satz des Buches, der den Ton setzt, welcher das Buch bestimmt: „Everything we thought about Janelle Vonn was wrong“. Dieser Satz begleitet den Leser durch die polizeilichen Ermittlungen des Falls. Selten ein Buch gelesen, das einerseits so sehr (Familien)-Geschichte erzählt und andererseits so fest im Genre verankert ist. Genauso wie „Silent Joe“ zeigt es, mit welcher hohen erzählerischen Kompetenz T. Jefferson Parker ungewöhnliche und spannende Krimis schreiben kann. Das Buch hat das Zeug zum Klassiker und verdient unbedingt die Aufmerksamkeit der Leser.
T. Jefferson Parker: California Girl.
Harper Collins 2005. 516 Seiten, 7,49 €
(noch keine deutsche Übersetzung)