Die Gegenseite

„Wie regressiv unsere eigene kriminalliterarische Landschaft zur Zeit ist, zeigt weniger Jörg von Uthmanns Killer, Krimis, Kommissare. Kleine Kulturgeschichte des Mordes (C.H. Beck) selbst – eine der üblichen ahnungslosen Kompilationen auf dem Kenntnis-, Erkenntnis- und Reflexionsstand von 1950, sondern die flächendeckenden Beweihräucherung dieses Werkleins als kenntnisreich und kompetent. Das ist nur ärgerliches Geplapper, schlimmstenfalls nicht mal wider besseres Wissen.“

So donnert, vom neuesten →Leichenberg, Thomas Wörtche. Und hat, was die flächendeckende Beweihräucherung angeht, recht. Fast.

Ein paar zufällige Blicke in den Schwenkkübel. „Amüsante Fußnoten der Kriminal-, Literatur- und Filmgeschichte sind es, die das Buch „Killer, Krimis, Kommissare“ lesenswert machen.“ lobt der →ORF, „Uthmann greift in seinem kurzweiligen und kenntnisreichen Brevier fast alle Aspekte auf, die sich mit dem grausamsten, aber wohl auch faszinierendsten Phänomen menschlichen Zusammenlebens verbinden lassen.“ verspricht →„literature.de“, schränkt aber ein: „Eine organische, geschweige denn analytische „Kulturgeschichte des Mordes“ darf man also nicht erwarten. Dafür aber eine geistig anregende und emotional aufregende Unterhaltung. “

„Das in seinem Faktenwissen unübertreffliche Bändchen“ (→Andreas Ammer) ist also, glaubt man den Kritikern, „eine höchst unterhaltsame, bestens informierte, kurz: lesenswerte Skizze zur Geschichte der Kriminalistik und ihrer Rolle als Vorlage für Literatur und Film.“ (→taz). Das finden alle.

Alle? Nicht ganz. Einen jedenfalls gibt es außer Thomas Wörtche, der den Daumen senkt:

„So atemlos und unbekümmert, wie es die Alliteration im Titel suggeriert, so geht es auch dahin: der Text beginnt mit Thomas de Quincey und endet mit Thomas Szasz und arbeitet dazwischen eine Namensliste ab, die im Anhang zehn Seiten umfaßt. Faktizität und Fiktionalität werden verwirbelt, die Generalthese steht auf dem Klappentext: Morde seien zwar “unerquicklich für das jeweilige Opfer”, doch sie beflügelten “Kunst und Wissenschaft”. Das ist nicht neu und zwang den Autor auch nicht dazu, sich aus der Ecke einer Bibliothek wegzubewegen, in der der Laptop angeschlossen werden konnte(…).“

Urteilt → Joachim Linder im Februar 2006, eine Einzelstimme damals, und befindet: „Kein Anlass für eine Rezension“.

Als jemand, der das Buch nicht gelesen hat, bin ob der Polarität der Urteile jetzt doch neugierig geworden. Mal schauen, ob ich es mir im kommenden Urlaub zu Gemüte führen kann.

3 Gedanken zu „Die Gegenseite“

  1. Die „Ecke“ hat Tucholsky beschrieben: „In dieser Ecke der Bibliothek pflegen zu stehen: der alte ‚Pitaval‘ (recht langweilig und würdig von Paul Ernst bearbeitet); der ‚Neue Pitaval‘ (Willibald Alexis, nie wieder erreicht); der ‚Moderne Pitaval‘ (eine außerordentlich gut dokumentierte Zusammenstellung, soviel ich mich erinnere, bei Mohr in Tübingen erschienen); die zwölf Bände von Friedländer: ‚Moderne Prozesse‘ (ganz schlecht, dumme und kitschige Zeitungsberichte, nur als unmaßgebliche Gedächtnisauffrischung zu benutzen [und just die allein gibt’s digitalisiert bei DigiBib — JL] — und nun will eine neue Sammlung dazugestellt werden: ‚Außenseiter der Gesellschaft‘, herausgegeben von Rudolf Leonhard (Verlag Die Schmiede in Berlin) […]“ [1925; Kursivierungen getilgt].

    Dank für die Mitlektüre!

  2. Da kann man, lieber Herr Linder, nur froh sein, über einen Laptop mitsamt gleich DREI leistungsfähigen Akkus zu verfügen. Damit lässt es sich munter durch die Bibliothek hüpfen.

    bye
    dpr

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