Viktor Arnar Ingolfsson: Bevor der Morgen graut

Das ländliche Island Anfang der sechziger Jahre stellt die Kulisse von Viktor Arnar Ingolfssons → „Das Rätsel von Flatey“. In der Jetztzeit, hauptsächlich in der Hauptstadt Reykjavik, spielt nun der zweite ins Deutsche übertragene Krimi Ingolfssons, „Bevor der Morgen graut“.

Die Atmosphäre einer weithin unbekannten und wohl auch untergegangenen Welt, dazu ein interessantes Personentableau und eine schlüssige, so gar nicht schablonenhafte Auflösung: Pfunde, mit denen „Das Rätsel von Flatey“ wuchern konnte, „Alleinstellungsmerkmale“ nennt’s der Marketing- und PR-Fritze. Nichts mehr davon in „Bevor der Morgen graut“. Eine durch und durch konventionelle Story – Serienmord gar noch! -, biederes Ermitteln, von einem Tatort zum nächsten, eine Zeugenbefragung nach der anderen, am Ende lugt des Wahnsinns wirres Haupt aus den Seiten – Mensch, mal wieder ein Verbrechen aus Leidenschaft, blanker Geldgier oder rein irdischem Machtstreben, das wäre doch was! – alles verpfuscht, Herr Autor?

Nein. Wenn man sich als Leser bescheidet und das Handwerkliche, sprich: Übliche zu schätzen weiß, gehört „Bevor der Morgen graut“ gewiss zum Besseren im Heer des Ewiggleichen. Irgendjemand hat etwas gegen Gänsejäger und bringt sie mit der Schrotflinte um. Eins, zwei, drei, eine vierte, schon ältere Leiche, wird durch Zufall entdeckt. Dass Gänse auf den „Morgenstrich“ gehen, erfährt der staunende Leser ebenso wie die Tatsache, dass im ach so ethnisch sauberen Island inzwischen auch Ausländer leben, Vietnamesen, Boat People gar, und einer von ihnen, Birkir, hat es bis in die Mordkommission gebracht, wo er gemeinsam mit Gunnar, Sohn einer isländisch-deutschen Beziehung, den Fall des unheimlichen Rächers der fliegenden Braten bearbeitet.

In der Skizzierung dieser beiden Personen kommt Ingolfssons Talent durchaus zur Geltung. Er braucht nur ein paar Striche, um uns den ordentlichen, aber gesellschaftlich isolierten Birkir und den gefräßigen, leicht dem Alkohol ergebenen Gunnar zu zeichnen. Auch wie letzterer peu à peu eine Frau findet, wird fein angedeutet und überzeugt.

Ansonsten eben die alte Leier. Der Mörder spielt ein bisschen mit der Polizei, zwingt sie, Fragen aus der Literatur per Emailkontakt zu beantworten, schaffen es die wackeren Beamten nicht, ist der nächste Gänsejäger reif. Die Tatorte liegen zumeist in reizvollen Landschaften, die zu beschreiben gelingt Ingolfsson ebenfalls gut. Mehr ist nicht.

Muss auch nicht sein. Ein konventioneller Krimi halt, sauber geschrieben, die Pseikollädschi etwas zu plakativ, rückstandslos zu konsumieren, der kleine Happen für zwischendurch aus dem Biobuchladen. Wer von Krimis nicht ein wenig mehr erwartet, kommt auf seine Kosten. Wer aber mehr von ihnen erwartet, kann nur hoffen, dass der nächste Roman des Autors wieder in Richtung Flatey tendiert. Er kann nämlich originell sein, der Ingolfsson, und sein Talent sollte man nicht verschenken.

Viktor Arnar Ingolfsson: Bevor der Morgen graut.  
blt 2006. 300 Seiten. 8,95 €

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