Wenn die Treppe schwankt

Zu den giftigsten Pfeilen im Köcher des Kritikers des Kritikers, der ein Buch verrissen hat, das dieser Kritiker des Kritikers für gut befindet, gehört standardmäßig folgendes Argument: Schreibe du, böser Kritiker, erst einmal ein Buch wie der Autor, den du in den Dreck gezogen hast, bevor du mit dem Kritisieren beginnst! Aber das kannst du eben nicht! Und WEIL du es nicht kannst: halte gefälligst dein Maul!

Man könnte diesen Pfeil routiniert an einem Schild abprallen lassen, auf dem schlicht steht: Hör mal. Wenn ich eine Treppe raufgehe, die, sobald ich das Geländer anfasse, wie ein Kuhschwanz zu wackeln beginnt, dann weiß ich, dass die Handwerker gepfuscht haben. Obwohl ich selbst, so ich eine Treppe bauen müsste, nicht einmal wüsste wo überhaupt anfangen.

Das Schreiben von Büchern und das Kritisieren derselben sind also zwei grundsätzlich von einander verschiedene Dinge. Darüber braucht man nicht mehr groß zu reden. Viel interessanter ist aber folgendes: Den Einwand, ein Kritiker, der keine Romane schreiben könne, solle es gefälligst auch unterlassen, sie zu kritisieren, diesen Einwand hört man ausschließlich dann, wenn es sich um VERRISSE handelt. Mir jedenfalls ist noch kein Beispiel eines lobpreisenden Kritikers untergekommen, der mit oben genanntem Argument gemaßregelt worden wäre. Dabei wäre genau das viel natürlicher. Ich laufe eine Treppe hoch, rüttele am Geländer und rufe laut aus: „Oho, welch geniale Handwerker! Die Treppe steht wie eine Eins!“ – Woher weiß ich das eigentlich, wenn ich keine Ahnung habe, wie man eine Treppe baut? Meine Euphorie kann in Unkenntnis der Tatsache erfolgen, dass die Handwerker, schlau wie sie sind, die Treppe so konstruierten, dass sie in der Garantiezeit keinen Grund zur Klage gibt. Aber dann…

Doch, das behaupte ich jetzt: Wer ein Buch gelungen findet, sollte selbst in der Lage sein, eins zu schreiben. Was nun aber den Leser in Verzug brächte. Denn für ihn, der ja sein eigener Kritiker ist, gälte eben das auch. So gesehen: Vorsicht vor lobenden Lesern.

Aber vielleicht ist jener giftige Pfeil im Köcher halt doch nur das, was er ist: ein Gummipfeilchen, das sich nie in sein Ziel bohren wird.

8 Gedanken zu „Wenn die Treppe schwankt“

  1. Ach, und wieso? Nie Indianer gespielt früher? Noch was für deinen Krimi: „Wer die Intelligenz wie Sangria aus Eimern trinkt, erbricht sie auch genauso.“

    bye
    dpr

  2. Nu. Man weiß doch, wie es in den Hirnen der meisten Schriftsteller (Schauspieler, Maler) aussieht: Sie wollen gelobt werden. Ob von dummen Kritikern oder mit den falschen Argumenten, das ist doch egal. Eine kritische Auseinandersetzung stört da nur.

    Und es ist doch auch immer so, dass Kritiker ungestraft den größten Mist loben und auf Bestenlisten setzen können. Aber wenn mal einer diesen Mist auch Mist nennt, dann muss er das gleich haarscharf begründen.

  3. Wir, liebe Anobella, haben früher mit Pfeilen aus HARTGUMMI geschossen. Mit stumpfen Spitzen,of course, bis wir fähig genug waren, Holzpfeile selbst herzustellen, die rostige Nägel als Spitzen bekamen. Es ist, o Wunder, nie etwas wirklich Schlimmes passiert. Ein verirrtes Pfeilchen im Allerwertesten, nu, das gehört zur seligen Jugend dazu, nicht? Gab damals schon Jodtinktur.
    Klar, lieber Georg: Wir wollen alle gelobt werden. Manchmal kann Lob aber auch penetrant sein, weil man sich dran gewöhnt, und dann ist es ja nichts Besonderes mehr, gelt? Und Listen sind Listen sind Listen. Die Summe von Subjektivitäten ist keine Objektivität, was ich im Bereich der Literatur auch merkwürdig fände. Die KrimiWelt-Bestenliste, auf die du natürlich anspielst (aha, ich merke, du groovst dich schon ein!), ist ein Indikator des geistigen Zustandes der Kritikerlandschaft. Und der ist, bei allen Ausrutschern, so schlecht nicht, wenn ich mir die August-Liste anschaue. Padura 1., Littell drin, Lansdale drin…und Bottini. Das spricht dafür, dass es neben Sprachlesern auch Inhaltsleser gibt, wobei ich ja ganz bescheiden daran zweifele, dass man diese Unterscheidung überhaupt machen kann. Ich jedenfalls bin Sprach-Inhaltsleser, mit der Bereitschaft, mal hier und da ein Auge zuzudrücken, wenn ich es anderswo anerkennend wieder aufreißen kann. Arno Schmidts (!) Diktum, es sei gleichgültig, ob einer über die Jungfrau Maria oder Marx schreibe, entscheidend sei das WIE, ist so fragwürdig wie vieles andere, was er so gekanzelt hat. ER jedenfalls war immer beides: Sprach- und Inhaltsschreiber. Untrennbar.

    bye
    dpr

  4. wie stur der ist … *schimpft … ein gummiPFEILCHEN ist nix! da kriegt man das bild von einem dicken FLUMI, der mehr durch die luft rollt als fliegt!
    *jetzt kennt der keine flumis, achtung …

  5. Flumis? Sollen das sein? Diese schrecklichen Bällchen, gelt, die man nie hat fangen können. Und stur bin ich schon gleich gar nicht. Wenn man halt immer Recht hat…

    bye
    dpr

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