Das Kriminalerbe

k_krimis.gif

Krimifreunde wissen es: Der Mensch ist ein sterbliches Wesen. Wen nicht einer der zahllosen Serienmörder vom schönen Erdboden senst, der gibt unprosaisch den Löffel ab, sehr zu Nutzen und Frommen der lachenden Erben. Zurück nämlich bleibt: das Materielle. Bargeld, Bankkonten, Immobilien und, vielleicht, eine wertvolle Bibliothek. Da winkt der Krimifreund resigniert ab: Was büchermäßig von ihm bleiben wird, ist halt nur Altpapier, schnell gelesen, schnell vergessen, für die Nachfolgenden von allenfalls historischem Wert. Aber das muss nicht so sein.

Erinnern wir uns: An jenen Griechen etwa, der vor vielen Tausend Jahren eine Erstausgabe von Homers „Odyssee“ erwarb, sich vom Autor signieren ließ und getreulich vererbte. So lief das gute Stück durch die Generationen, bis schließlich einer der Abkömmlinge des cleveren Hellenen die wertvolle Erstausgabe versteigern ließ. Sein Name war Aristoteles Onassis, und was er sich vom Erlös anschaffte, ist Geschichte: eine Tankerflotte, eine berühmte Opernsängerin und später dann die Originalwitwe eines amerikanischen Präsidenten. Nicht schlecht.

Voreilige Krimifreunde inspizieren jetzt ihre Bestände und rechnen hoch. Einmal Dan Brown, wie neu, nur die ersten zwanzig Seiten gelesen, dann fluchend in die Tiefen der Regale gepfeffert. Sjöwall / Wahlöö komplett, die Rowohlt-Zehnerausgabe damals. Drei laufende Meter Regionalkrimis, zwei Paduras, drei Bottinis und … aber lassen Sie ab, bester Krimifreund, beste Krimisfreundin, das ist vergebliche Liebesmüh. Blanke Massenware ist das, vieltausendfach verkauft, damit wird man dereinst die Plätze vor den Antiquariaten pflastern.

So, so, denken Sie jetzt. Also literarische Krimis. Hm, eine Erstausgabe von Dürrenmatts „Der Richter und sein Henker“ wäre nicht schlecht, aber auch kaum die Grundlage einer Tessiner Villa, die sich ihr Urenkel stolz in die Landschaft setzen könnte. Besitzen Sie ein Exemplar, in das Dürrenmatt eigenhändig „Ich tats nur für die Kohle, Krimis sind Scheiße“ geschrieben hat, ist ein gebrauchter PKW durchaus drin; mehr aber auch nicht.

Nein, um eine anständige Wertsteigerung über die Jahrhunderte zu garantieren, muss ein Krimi zwei Bedingungen erfüllen: Er muss zu Lebzeiten seines Autors, seiner Autorin ein Misserfolg gewesen sein, nur in kleiner Stückzahl auf den Markt gestreut und, ganz wichtig: Er sollte spätestens 100 Jahre nach dem Ableben seines Verfassers, seiner Verfasserin als Meilenstein des Genres anerkannt werden. Für den gewieften Sammler stellt Punkt eins kein Problem dar, denn viele Krimis sind im marktwirtschaftlichen Sinne Misserfolge.

Und etwas Krimispezifisches kommt hinzu: Selbst ein, sagen wir, in 5000er Auflage abgesetzter Krimi dünnt im Laufe der Zeit quantitativ aus. Gelesene Exemplare wandern in den Müll, während die 24. Ausgabe der Gedichte Eduard Mörickes bildungsbürgerlich fest im Regal verbleibt. Eine statistische Untersuchung hat etwa jüngst ergeben, dass vom Erstling Anne Chaplets inzwischen nur noch 794 Exemplare verfügbar sind, während der stolze Rest längst wieder in den Kreislauf eines ökologisch sinnvollen Recyclings gelangt ist. Dass dieses Buch indes die zweite Bedingung, ein Meilenstein des Genres zu sein, erfüllt, darf füglich bezweifelt werden, da nicht absehbar ist, ob sich die Urteilskraft des menschlichen Gehirns in den nächsten tausend Jahren evolutionsmäßig auf das Niveau der Jungsteinzeit zurückentwickeln wird.

Was also ist zu raten? Die erfolgversprechendste, aber auch kühnste Lösung: Schreiben Sie selbst einen Krimi. Veröffentlichen Sie ihn in höchstens 20 Exemplaren. Vererben Sie davon mindestens 15 weiter. Bemühen Sie sich, das Genre zu erneuern, das ist nicht so schwer, wie es sich jetzt anhört. Und eine Mahnung zum Schluss: Natürlich unterliegen alle Erlöse aus der Versteigerung Ihres so raren wie epochalen Werks der Steuerpflicht. Das darf ich als Finanzbeamter nicht verschweigen.

Mit besten Grüßen und toitoitoi
Ihr K.

(Herr K. arbeitet als Sachbearbeiter bei der Oberfinanzdirektion Oberursel. Seine aktuellen Lieblingskrimis haben aktuelle Wiederverkaufswerte von 235 €, 190 € und 120 €. Tendenz: steigend. Wenn es ihm die Zeit erlaubt, wird Herr K. seine Mittagspausen weiterhin dazu nutzen, den Krimi zu erklären.)

4 Gedanken zu „Das Kriminalerbe“

  1. Sehr geehrter Herr K. –
    ich empfehle als Aufbau-Lektüre zum Thema „habent sua fata libelli“ Rick Gekoski: „Eine Nacht mit Lolita“. Von Selberschreiben wie auch -verlegen rät der gute Mann dringend ab…
    Ich verbleibe freundlich grüßend und in der Hoffnung, Sie erbleichen jetzt nicht! P.

  2. Oho, Frau Biermann, Ihre Taktik ist ja so leicht zu durchschauen! Sie lenken das Interesse auf die Bekenntnisse eines notorischen Altpapierhändlers, derweil sie selber fleißig „Meisterwerke für die Schublade“, sprich: ihre werte Nachkommenschaft schreiben. Ich wette, Sie haben schon Stücker 5 Genrerevolutionen im Bankschließfach…Und erbleichen tue ich grundsätzlich nur, wenn ich mir die Werbungskosten gewisser Freiberufler ansehe…apropos: Buchstabe B, Finanzamt Berlin…wie gut, dass wir alle vernetzt sind… Übrigens: Ich übergebe dem Herrn Wörtche am Buchmessendonnerstag Ihre gesammelten Werke. Bitte handsignieren und reinschreiben…Moment, Ihre Daten kommen gerade auf meinen Monitor…also reinschreiben: „Ich darf nicht jedes Jahr versuchen, mein Arbeitszimmer steuerlich abzusetzen.“ Bitte jeweils 10x!

    Ihr Herr K.

  3. Schwierig wird es doch erst, wenn man vergriffene Krimis erwerben will. Ich musste meine Andrew Taylor-Sammlung mühevoll über amazon.uk zusammentragen, jetzt fehlen mir noch zwei oder drei Romane, die nur zu sündhaften Preisen zu bekommen sind. Zum Beispiel „The Toyshop“ von 1990 soll als Hardcover mindestens 36 britische Pfund kosten, das Taschenbuch kommt merkwürdigerweise fast dreimal so teuer: 99,16. Erklär‘ mir einer den Antiquariatsbuchhandel.
    Joachim

  4. Also wenn ich den Antiquariatsbuchhandel erklären könnte, Joachim…mit Angebot und Nachfrage hat das nicht immer was zu tun. Manche setzen die Preise Pi mal Daumen fest. Ich habe mir angewöhnt, dann einfach nicht zu kaufen. Obwohls natürlich manchmal schwerfällt…

    bye
    dpr

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert