Dossier

der Arbeitsgruppe „Kriminalroman“
der Stabsstelle „Brot und Spiele“
des Referats „Blutdrucksenkende Mittel“
des Bundesministeriums für das Innere
der provisorischen Bundesregierung

Seit den beklagenswerten Unruhen im September 2010, als sich – von antidemokratischen Kräften geschürt – der sogenannte „Volkszorn“ an deutschem Recht, deutscher Ordnung und deutschen Regierungsvertretern vergriff, ist es die Aufgabe der neuen provisorischen Bundesregierung unter Federführung des Verbandes der deutschen Industrie, jenen sogenannten „Volkszorn“ zu besänftigen. Die Beseitigung der diese emotionale Überreaktion auslösenden Missstände hat sich dabei nicht als die geeignete Maßnahme erwiesen. Sowohl die Fragmentierung unserer Gesellschaft, ihr allmähliches Zementiertwerden in „Schichten“, der Rückfall von Zahlungs-, Sexual- und sonstiger Moral auf das Niveau des frühen 18. Jahrhunderts (Stichwort „Voraufklärung“) haben ihre besondere Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes im Rahmen der Globalisierung zu profunden Share-Holder-Value-Gemeinschaften, die soziale Schieflage hält das Kapital oben und den Krankenstand unten, die Lüge von der „Leistungsgesellschaft“ verdeckt die Wahrheit von der Beziehungsgesellschaft der Wohlgeborenen, Skrupellosen und im Denken Unfähigen, dafür im Reden Talentierten, kurzum: Alles soll so bleiben wie es ist, aber man darf es nicht merken. Die Gleichschaltung der Medien, wie sie seit dem Ende des 20. Jahrhunderts durch die Einschleusung unfähiger, eitler und fauler JournalistInnen zur allgemeinen Zufriedenheit bewerkstelligt wurde, hat die Unruhen vom September 2010 ebenso wenig verhindert wie das Auslegen sogenannter „Zuckerl für den Intellekt“; d.i. das Aufwirbeln wahnsinnig uninteressanter Themen (Eva Herman, Günter Grass, Wolf Biermann, Rechtschreibreform), oder die Fußballeuphorie. Letztere indes weist uns den richtigen Weg. Das Volk muss abgelenkt, sein Blutdruck gesenkt, seines niederes Bedürfnis nach spannender Unterhaltung befriedigt werden – und zwar, im Gegensatz zum unsicheren Fußballsport – zuverlässig und dauerhaft. Das vorliegende Dossier unterbreitet Vorschläge, die ungebrochene Popularität des Kriminalromans zum Zwecke einer solchen Befriedung der deutschen Bevölkerung zu nutzen.

Ziel der Umstrukturierung des Kriminalromans muss es sein, mit seiner Hilfe alle bedrohlichen Gefühlswallungen der Bevölkerung auf gesellschaftspolitisch marginale Weise zu kanalisieren. Indem die LeserInnen ihre Wut in effigie ausleben, sehen sie keine Notwendigkeit mehr, gegen die bestehenden Verhältnisse zu rebellieren.

Problem: Eine solche Kanalisierung und Unschädlichmachung von Gefühlen liegt recht eigentlich nicht in der Natur des Kriminalromans.

Lichtblicke: Die Entwicklung des Kriminalromans in den letzten Jahrzehnten, insonderheit die seiner kommerziell erfolgreichen Vertreter, hat den Boden für eine im gesellschaftspolitischen Sinne notwendige Instrumentierung des Genres schon bereitet. Wissenschaftliche Untersuchungen haben unzweifelhaft ergeben, dass LeserInnen von Kriminalliteratur den sogenannten „Ungerechtigkeiten des Lebens“ im Allgemeinen stoischer, d.i. leidensfähiger gegenüberstehen als Leser anderer Genres.

Aktuelle Situation: Der erfolgreiche Kriminalroman unserer Zeit ist entweder extrem wirklichkeitsfern oder extrem wirklichkeitsnah. Er konfrontiert seine Rezipienten mit völlig sinnentleerten Handlungen oder gedrängten Potpourris sogenannter „realistischer Zustände“. Beides hat durchaus segensreiche, weil Aggressionen abführende Wirkung. Die LeserInnen wirklichkeitsferner Kriminalromane, in denen durchgeknallte Serienkiller ganze Landstriche entvölkern, verlieren ihren natürlichen Aggressionstrieb am Mitvollzug bei der Beseitigung von Missständen (hier: statistisch auffällige Quote unnatürlicher Todesfälle). Da bei einem als gelungen geltenden Kriminalroman das Mitleiden ebenso intendiert ist wie die einzig auf die Falllösung“ gerichtete geistige Konzentration, ist die Bereitschaft, sich nach der Lektüre den wirklichen Missständen unserer Gesellschaft zu widmen, gleich null, ja, diese Missstände werden, da im Vergleich zu den soeben fiktiv durchlebten und durchlittenen von erschütternder Harmlosigkeit, gar nicht mehr als solche wahrgenommen, sondern als Teil der „sicheren Wirklichkeit“ akzeptiert. Zudem ist es uns gelungen, die mediale Dramaturgie der Wirklichkeit auf einem solch stümperhaften Niveau zu halten, dass jeder Leser, jede Leserin von z.B. Gerichtsmedizinerinnenkrimis nur verächtlich die Nase rümpft. Wohl haben Ereignisse wie der millionenfache Mord im Kongo das Potential zu Serienkillerkrimis; ihre Dramaturgie ist indes zu wenig auf die Erfordernisse des Konsumenten ausgerichtet, um letztlich sein Interesse zu wecken. Es gibt keine personalisierte Ermittlung, keinen Protagonisten, der an Midlife Crisis, gestörtem Geschlechtstrieb oder Alkoholismus leidet und, sehr wichtig, natürlich auch keine scharfe Trennung von Gut und Böse und demzufolge auch keine unzweideutige Fallklärung, auf die aber Rezipienten von Kriminalliteratur bestehen wie auf das Amen in der Kirche.

Der wirklichkeitsnahe Kriminalroman hingegen kleidet sich als Patchworkdarstellung der Wirklichkeit. Er nennt die Dinge beim Namen, was Menschen zum „Aufwachen“ animieren soll, realiter jedoch kontraproduktiv zu ihrer geistigen Einschläferung führt. Die Sozialpsychologie hat längst begründet, warum das bloße Benennen oder grobrastrige theoretische Nachvollziehen von Tatsachen diese in ihrem Wahrgenommenwerden abmildert. Die sogenannte „Urschreitherapie“ wäre in diesem Zusammenhang ebenso zu erwähnen wie die Leitartikel der Zeitungen. Beide Phänomene simplifizieren komplexe Zusammenhänge, machen sie begreifbar, geben ihnen Kontur – und damit hat es sich zumeist. Auch der wirklichkeitsnahe Kriminalroman kann als eine Mischung aus Urschreitherapie und Leitartikel sehr zur Ruhigstellung einer potentiell aufrührerischen Bevölkerung beitragen.

Weiterentwicklung: Die Arbeitsgruppe „Kriminalroman“ empfiehlt den Ausbau einer dritten Säule der Volksbefriedung und zwar die des „humoristischen Krimis“. Man sollte sich die deutliche Tendenz zur Comedy zu Nutze machen und Aggressionen durch Schenkelklopfen, schrilles Gelächter und inwändig rumorende, zwerchfellstrapazierende Heiterkeit auf ein vertretbares Restniveau reduzieren, welches dann durch die Lektüre obenerwähnter sogenannter „Superthriller“ oder „realistischer Kriminalromane“ weiterhin reguliert werden kann. Gute Ansätze sind, vor allem im deutschsprachigen Raum, durchaus vorhanden, eine muntere Szene sogenannter „Comedians“ greifbar und, mit dem Versprechen noch größerer Popularität, innerhalb kürzester Zeit zu KrimiautorInnen umzuschulen. Der Kriminalroman als Aneinanderreihung von Witzpointen löst gefährliche Verspannungen, die, „freien Radikalen“ gleich, durch entsprechende Dosen „Thrill“ oder „plakative Wirklichkeit“ erfolgreich bekämpft werden können.

Schluss: Die Überlegungen der Arbeitsgruppe haben unzweifelhaft ergeben, dass es sich lohnt, die Entstehung von Kriminalromanen zu fördern. Wir empfehlen daher eine Aufwertung des Genres zu „Literatur“, allerdings in behutsamer Form, da „Literatur“ die uns am Herzen liegenden breiten Volks- und Lesemassen gemeinhin abschreckt. Überhaupt wäre eine Vervolkstümlichung von Literatur im Allgemeinen und Krimi im Besonderen eine weitere kluge Taktik, wenn nicht gar der Stein der Weisen respektive die Zerschlagung des gordischens Knotens beziehungsweise des Eies des Kolumbus. Wir raten daher zu Fernsehsendungen wie „Krimistadel“, „Deutschland sucht den Superkrimi“, „Wer wird Krimimillionär?“ oder „Sabine Christiansen im Gespräch mit Anne Chaplet“. Ein „deutscher Nobelpreis für Krimis“ könnte die Popularität und Gefügigkeit der GenrevertreterInnen relativ kostenüberschaubar fördern. Kriminalromane, die nicht im Sinne der intendierten Strategie funktionieren, sind auch weiterhin zu diskreditieren („langweilig“, „versteh ich nicht“, „Edgar Wallace ist spannender“) resp. ihre Produzentinnen durch großzügige Stipendien (Schreibjahr in der Karibik) außer Gefecht zu setzen und bestenfalls zu missionieren.

Zukunft: Die Arbeitsgruppe „Kriminalroman“ bleibt weiterhin bestehen und wird ihre Erkenntnisse in regelmäßigen Dossiers für den internen und strengvertraulichen Gebrauch erstellen. Ansonsten gilt es, auf das freie Spiel der Kräfte zu vertrauen, den Verdrängungswettbewerb zugunsten der gesellschaftspolitisch relevanten, weil ruhigstellenden Krimis zu manipulieren und, sollte dies alles nicht helfen, vermehrt sprechende Tiere als Ermittler zu protegieren.

Schulte, StaSek, Vorsitzender

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