„Mercy Falls“ ist ein ungewöhnlich spannendes Buch mit einem außergewöhnlichen Ende. Die Spannung des Buches resultiert aus der Vielzahl der Episoden, ihrer Dichte und der Qualität der Erzahlung; Kapitel-Enden sind ein Ort des Innehaltens und des Luftholens. Am Ende des Buches jedoch steht, es lässt sich nicht anders bezeichnen, ein großer Cliffhanger, der den Leser atemlos zurücklässt.
Es sieht wie ein Routinefall aus, als Sheriff Cork O’Connor und Marsha Dross, eine seiner Deputys ins Indianerreservat unterwegs sind. Sie sind zu einer Ehestreitigkeit gerufen worden – nicht der ersten jenes Paares. Doch kaum ist die Deputy aus dem Auto ausgestiegen, wird sie durch einen Bauchschuss niedergestreckt. Bis Verstärkung eintrifft, hat Cork O’Connor alle Mühe, ihrer beider Leben gegen den 100m entfernt sitzenden Scharfschützen zu erhalten.
Kurze Zeit später wird die Leiche von Eddie Jacoby, einem Auswärtigen, der mit dem hiesigen „Indianer“-Casino ins Geschäft kommen wollte, gefunden. Der abgeschnittene Penis in seinem Mund deutet an, dass seine Vorstellungen von einem befriedigendem Erlebnis mit einer Frau dazu führten, dass Eddie Jacoby auch bezahlte Prostituierte Grün und Blau schlug und vergewaltigte.
Zwei Fälle also. Aber, so der Reflex des Lesers : Ein Buch ! Hängen beide also doch zusammen ? Die Frage mag hier offen bleiben, dennoch: Krueger montiert die Fälle geschickt zusammen. Da helfen Indizien, die in einem Fall gefunden werden, den anderen voran zu bringen.
Im Vergleich zu den früheren Cork O’Connor -Büchern ist das ermittelnde Team diesmal größer. Zum einen ist da die Tatsache, dass ein Anschlag auf O’Connor verübt wurde und Polizisten nicht ihre „eigenen“ Fälle ermitteln sollen, so dass auswärtige Verstärkung dabei ist, zum anderen ist Eddie Jacoby Spross einer sehr reichen Familie. Deren „Familienvorstand“ ist es gewohnt, seinen Willen durchzusetzen, so sitzt dann auch eine – allerdings unbestritten sehr kompetente – private Ermittlerin am Tisch der Ermittlungsgruppe. Auch dieses ein Grund dafür, dass in „Mercy Falls“ auffälliger als in den früheren Büchern „konventionelle“ Polizeiarbeit geleistet wird.
Es sind aber nicht nur die Aufklärung der Fälle und die diversen damit verbundenen Abenteuer, die das Buch zu einem Vergnügen werden lassen, sondern auch die Darstellung O’Connors und des Lebens in Aurora am Rande der Wildnis Minnesotas. Im Vergleich zu → „Blood Hollow“ , dem Vorgängerbuch ist da nicht soviel Neues, allein es bleibt festzustellen, dass Krueger genau die Menge „Privatwürze“ hinzutut, die es braucht, die Spannung zu steigern und farbig, aber nicht kitschig zu wirken.
Cork O’Connor scheint mit sich, seinem Leben und seiner Familie im Reinen zu sein, deshalb bleibt die anlässlich von „Blood Hollow“, im Vergleich zu den früheren Bänden bemerkte Wärme in der Darstellung bestehen und scheint sich tendenziell in „Mercy Falls“ zu verstärken. Und wenn zum Schluss hin, wenn die Rätsel geklärt sind, erneut die Frage auftaucht, wohin denn nun die Reise der Serie gehen soll, dann, ja dann kommt die große Überraschung.
„Mercy Falls“ ist spannend wie nur wenige Bücher und zeugt von der gestalterischen und schriftstellerischen Qualität seines Autors. Dabei ist diese Spannung nicht vordergründig, sondern in eine stimmige Atmosphäre eingebunden. Für Leser, die stets ihre „literarisches“ Fähnchen vor sich her tragen, ist das Buch jedoch nichts. Denn weder verfolgt Krueger mit diesem Buch eine zugrundeliegende Agenda, noch – im Gegensatz z.B. zu L. Lippman – zieht er demonstrativ mit seiner Belesenheit durchs Land. Allen anderen wünsche ich, dass ein deutscher Verlag sich ihrer erbarmt.
William Kent Krueger: Mercy Falls.
Pocket Books 2006. 434 Seiten. 6,99 €
(noch keine deutsche Übersetzung)