Paul Levine: Solomon vs. Lord

Der 12jährige Bobby ist nur eine Nebenfigur in Paul Levines „Solomon vs. Lord “, aber dennoch eine der tragenden Figuren des Buches. Er hat eine Inselbegabung (Savantsyndrom). Eine sehr seltenen Kombination – die Kinogänger werden es dank „Rain Man“ wissen –von Defiziten, meistens im emotionalen Bereich, und singulären Hochbegabungen in einzelnen intellektuellen Bereichen.

Bobby vereint in typisch literarischer Übertreibung eine Vielzahl solcher Begabungen, wobei die für den Fortgang des Buches wichtigste seine Fähigkeit zur Bildungen von Anagrammen ist (1). Ähnlich wie Lionel Essrog aus „Motherless Brooklyn“, der dem Gegenüber unter Stress seine Tics entgegenschleuderte, so macht Robert es mit Anagrammen aus Wörtern oder Satzfragmenten seines Gegenübers. Robert lebt bei Steve Solomon, seinem Onkel, einer der Hauptfiguren des Buches.

Es beginnt damit, dass Solomon, als Strafverteidiger und Victoria Lord als Vertreterin der Staatsanwaltschaft sich im Gerichtssaal ungebührlich aufführen und wegen Missachtung des Gerichts gemeinsam in der Zelle landen. Den Fall – und letztlich auch ihre Arbeitsstelle – wird Victoria Lord im Weiteren aufgrund eines raffinierten Tricks Solomons verlieren.

Als eine junge attraktive Frau vom Staatsanwalt wegen Mordes angeklagt wird, nachdem ihr deutlich älterer Ehemann beim Bondage-Sex an der Fesselung erstickt ist, eröffnet sich eine Chance für Victoria. Denn die junge Frau ist eine Clubbekannte von Victoria und so fällt es ihr leicht, deren Verteidigung zu übernehmen. Aber auch hier ist der Igel schon am Ziel und letztlich landet Victoria zu ihrer eigenen Verwunderung und trotz ihres gerechten Zorns an der Seite Solomons und verteidigt gemeinsam mit ihm die junge Frau.

Hund und Katze: Oder wie hier Solomon und Lord (sic!), dem ersten Band einer neuen Serie. Es ist wie in vielen Büchern: Schnell merken Beide, dass der Andere nicht so ist, wie er sich nach Außen hin gibt. Und doch: Levine macht das gut. Langsam, von „Rückschlägen“ begleitet, über rund 200 Seiten kippt das Verhältnis der Beiden.

Entscheidend hierfür ist nicht unbedingt der große Mordfall, sondern ein zweiter, ins Persönliche Solomons reichender Fall, bei dem Lord die Verteidigung übernommen hat. Solomon erzieht nämlich Robert ohne offiziell dessen Vormund zu sein. Da Solomon nicht nur im Gericht unorthodox auftritt, sondern auch daheim, möchte der Erziehungsbehörde, um Bobbys Savantsyndrom zu therapieren, diesen in eine staatliche Einrichtung einweisen lassen. Solomon dagegen fürchtet, dass solche Einweisung die sensible Persönlichkeit Bobbys kaputtmacht.

Bobbys Anagramme, Solomons – zwischen eigenwillig und originell schwankenden – Auftritte vor Gericht und die kontrapunktische Victoria geben die Richtung des Buches vor: „Solomon vs. Lord“ ist der Versuch, einen Gerichtskrimi mit einer Krimiburleske zu kreuzen. Das Ergebnis kann als gelungen, kaum aber als groß gelten. Anfänglich ist die Geschichte zu sehr damit beschäftigt, den Weg durch das Beziehungsgestrüpp von Solomon und Lord zu finden und erst als der Staatsanwalt, nach mehr als der Hälfte des Buches im Mordfall seine Karten auf den Tisch legt und beide Fälle sich aufs Gericht zu bewegen, steigt die Spannung und der Krimileser beginnt, so etwas wie ein Krippeln zu verspürt.

Aufgrund der vielen ironischen An- und Bemerkungen kann „Solomon vs. Lord” kaum als klassischer Gerichtskrimi bezeichnet werden; da das Buch durch gute Dialoge überzeugt, intelligent und originell daherkommt und möglicherweise der Ballast des in die Serie einführenden Werkes abgeworfen ist, bin ich neugierig auf den zweiten Band der Serie.

(1) President Clinton of the USA -> „To copulate he finds interns“

Dr. Bernd Kochanowski

Paul Levine: Solomon vs. Lord. 
Bantam Books 2005. 548 Seiten. 5,95 €
(noch keine deutsche Übersetzung)

13 Gedanken zu „Paul Levine: Solomon vs. Lord“

  1. Lieber Bernd,

    müßten wir hier, angesichts einer Nebenfigur, die latente Bedeutungen verkörpert, nicht von einem ‚literarischen Krimi‘ sprechen?

    Fragt, einfach mal so, aber (tongue-in-cheek) grüßend:

  2. Lieber JL,

    kennen Sie Carter Brown ? Ich vermute schon. Als Jugendlicher hatte ich intensiv vom literarischen Oeuvre dieses Pulpers genossen.

    In einem seiner Bücher wird der Held tatsächlich von drei Frauen vergewaltigt. Und eine Ejakulation hatte er auch noch. Mächtig unangenehm war ihm das. Nicht (nur) weil er sich in seiner Männlichkeit verletzt fühlte, sondern sich seiner (sonst reichlich genutzten) sexuellen Autonomie beraubt sah.

    Wir reden hier von den 60er Jahren, lange bevor andere literarische Werke dieses Thema aufnahmen.

    Ich rechne Carter Brown diese Szene an und dennoch würde ich das Büchlein nicht als literarisch bezeichnen.

    Beste Grüße

  3. Lieber Bernd,

    ich hab‘ jetzt die Befürchtung, daß wir knapp aneinander vorbeireden (umgekehrt: einen ’near miss‘ produzieren). Aber sei’s drum: Carter Brown ist ein guter Hinweis.

    Beste Grüße

  4. Lieber JL,

    habe ich Ihre Frage mißverstanden ?

    Was ich meinte, ist, dass die Verwendung eines Themas, Mittels u.A., welches auch „literarisch“ verwendet wird, nicht notwendigerweise zu einem „literarischen Krimi“ führt.

    Schon der Titel (Solomon versus Lord) selber hat ja was und doch würde ich das Buch nicht als „literarischen“ Krimi bezeichnen. Sicher Levine ist sprachgeschickt und er nutzt diese Fertigkeit zur lustvollen Unterhaltung, aber das ist es dann auch.

    Besser ?

    Auf jeden Fall mit besten Grüßen

    bernd

  5. Lieber Bernd,

    ich muss mich entschuldigen: das Augenzwinkern wird hier selbst dann nicht sichtbar, wenn man es sprachlich andeutet (‚tongue-in-cheek‘). Ich wollte nur darauf hinweisen, daß ein Krimi selbst dann Literatur ist, wenn er (in ihrem Sinne) nicht literarisch ist. Die Nebenfigur, die Sie beschreiben, verkörpert (aus meiner Sicht) das ‚Prinzip Literatur‘, nämlich die Unterscheidung zwischen manifesten und latenten Bedeutungen, mit der das Lesen zu einer literarischen Tätigkeit wird. Darauf — Stichwort Polyvalenz — hat die Schmidt-Schule (S. J.!) eine ganze (nicht-hermeneutische) Literaturtheorie aufgebaut.

    Schlaflos grüßt aus München

  6. Sehr geehrter JL,

    OK das war nichts. Aber sehen Sie es mir bitte nach, dass ich das Ironiezeichen gesehen, aber anders interpretiert hatte.

    Sie sehen (aber sie wissen’s eh schon) wie wichtig es ist, zu wissen von welchen Definitionen jemand ausgeht. So wie ich Sie verstehe, ist Literatur das „Synonym“ für „fiction“. Soll sein !

    Sollten Sie mich davon überzeugen können, dass es allgemeiner Konsens ist, dieses so zu handhaben und dass nur einzelne Menschen in den USA und Deutschland es anders sehen, will ich mich Ihnen im Weiteren anschließen.

    Ansonsten haben beide „Definitionen“ ihr Anrecht und ihre Vor- und Nachteile.

    Mein Eindruck, auch nach der Lektüre von Texten Kundigerer, ist, dass die Begriffe sowieso ziemlich durcheinander gehen. Und wir wissen natürlich beide auch, dass Genrevorstellungen und Begriffe dem Zeitenwandel unterworfen sind.

    Beste Grüße und einen guten Schlaf wünschen (Nachts, nicht jetzt)

    bernd

  7. Sehr geehrter Bernd,

    ich schließe mich Ihrer Förmlichkeit an, obwohl sich mir deren Bedeutung nicht erschließt. Ich bin aber sicher, daß ich das begriffliche Durcheinander zwischen uns nicht sortieren kann, schon gar nicht im Hinblick auf den US-Sprachgebrauch (wo man, wie hier, auch noch zwischen Wissenschafts-, Rezensions- und Alltagssprache unterscheiden müßte).

    Ich habe in meiner früheren Bemerkung ‚Literatur‘ für den Bereich verwendet, der bei der Produktion, Rezeption und Rezeption von ‚Sachtexten‘ (expositorischen Texten) unterschieden wird. (Z. Bp.: ein Urteil in Strafsachen ist kein Krimi, obwohl hier wie dort Verbrechen und seine Aufklärung erzählerisch dargestellt werden …) In meinem (diesem) Sinne ist Literatur häufig, aber nicht notwendig ‚fiktional‘ (im Sinne der Darstellung von nicht-realen Sachverhalten: das ist eh schwierig). Wenn ich also über ‚fiktional-literarische‘ Texte im Unterschied von ’nicht-fiktional-literarischen‘ Texten sprechen möchte, dann muß ich das sagen. Wenn ich es nicht ausdrücklich sage, fasse ich beide Bereiche zusammen (im Rechtssinne würde für beide Sorten der ‚Kunstvorbehalt‘ gelten: vgl. die gegenwärtige Biller-Auseinandersetzung.) Inwieweit sich meine ‚Fiktion‘ von Ihrer ‚fiction‘ unterscheidet, muß ich offen lassen.

    Und noch eine Bemerkung zum Ausgangspunkt: Anagramme machen latente Bedeutungen von Buchstaben- (oder Laut-)Folgen manifest. Die Unterscheidung von manifest und latent kann man für alle (schriftlichen, mündlichen) Äußerungen fruchtbar machen (Sie kennen das z. B. aus der Psychoanalyse). Nun gibt es aber Literaturtheorien, die dieser Unterscheidung für die Literatur (fiktional, nicht-fiktional, Kunst … — im obigen Sinne eben) konstitutive Bedeutung zumessen (was dann beispielsweise in der ‚Empirischen Theorie der Literatur‘ zum ‚Polyvalenzkriterium‘ verdichtet wurde — aber das ist auch schon wieder eine Verkürzung).

    Ich vermute ja, daß Ihnen das alles bewußt ist — und ich mich nur durch die eigene spielerische Anfangsbemerkung in die Unwegsamkeiten (nicht etwa Untiefen) der Literaturtheorien verlocken lasse. Ich flüchte aus der Gegend — nicht ohne Sie bestens und ernsthaft zu grüßen!

  8. Sehr geehrter JL,

    die Förmlichkeit lag in der nahenden Mittagspause und soweiter … Sorry.

    Ansonsten können wir Beide das so stehen lassen.

    Ich möchte nur anfügen, dass auch in mathematischen Konstrukten und natürwissenschaftliche Theorien sich latente und manifeste Bedeutungen ausfindig machen lassen.

    Beste Grüße

    bernd

  9. Lieber Bernd,

    ich bin Ihren Sirenengesängen gefolgt und habe (ehe ich die Rechnung an mein Inkasso-Büro weiterreiche) zwei Anmerkungen:

    1. „Echolalie“ heißt es ziemlich früh im Text: in der Tat, man hat den Eindruck, daß bei der Krimi-Agentur der Zettelkasten einfach umgekippt wurde. (Oder könnte man von Scrabble-Krimi sprechen?)

    2. Gegen Ende vergreifen sich die Bastler dann noch an Plath und Woolf. Wenn Sie mich wenigstens darauf hingewiesen hätten, dann wäre ich heut‘ im Bus nicht mit Rue-Morgue-Mörder-Affen-Grimassen aufgefallen.

    Ich grüße ernsthaft bestens als Ihr JL.

  10. Lieber JL (aka „Howling Wolf“ ?),

    Sirenengesang oder doch eher „halb fiel er hin, halb sang er hin“ ?

    Ich vermute, dass Sie nichts gegen Plath und Woolf haben ? Zumindest Plath ist ein selten genannter Namen in Krimis, von daher hätte ich lobend darauf hinweisen können, aber was soll`s, die Bezüge sind ja nicht wirklich relevant für „Solomon vs. Lord“. Dass man das Buch nicht zu ernst nehmen darf, brauche ich Ihnen wohl nicht sagen.

    Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin dieser ewig ähnlichen Comic-Krimis, mit denen US-Linke ihren Frust darüber auslassen, dass sie am Boden zerstört sind, ein wenig überdrüssig. OK, „Grisham meets Hiaasen“ ist als Bezug eine Nummer zu groß, aber „Solomon vs. Lord“ weicht vom üblichen Einerlei ab und hat mich gut unterhalten.

    Ihr Begriff der „Echolalie“ hat mir allerdings sehr geholfen, warum sehen Sie nächsten Dienstag, wenn der zweite Band, „The Deep Blue Alibi“, der seinen Weg auf die Kandidatenliste des Edgar (Kategorie Taschenbuch) gefunden hat, besprochen wird.

    Beste Grüße

    bernd

  11. Lieber Bernd,

    so sehr es mich reizt, die Diskussion fortzusetzen: ich kann im Augenblick einfach nicht.

    Beste Grüße in die neue Woche!

  12. Hallo Bernd,
    „Solomon vs. Lord!“ gab es schon ab 2006 bei Heyne in der deutschen Übersetzung.
    Allerdings unter dem Autorennamen „Polly Levine“ und unter dem Titel „Liebe Lebenslänglich“. Warum das so ist, bleibt Heynes Marketing-Geheimnis.
    Das Buch wurde offenbar als „Frauenkrimi“ für eine bestimmte Zielgruppe aufgemacht.
    Ebenfalls übersetzt und 2007 bei Heyne erschienen: „Deep Blue Alibi“; wieder: „Polly Levine“ und der Titel heißt nun „Liebe auf Bewährung“.
    Die beiden Folgebände sind im Augenblick in Arbeit.
    Bloß so, falls es interessiert.
    Grüße von Usch

  13. Liebe Usch,

    Danke. Vor einem drei Monaten bin ich (zu meiner großen Überraschung) auf die Tatsache gestoßen, dass die Bücher in Deutschland als Frauenkrimi vermarktet werden. Ich habe immer noch eine richtige Gelegenheit gesucht angemessen drüber zu lästern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert