Tag- und Nachtbücher

Läuft alles wie geplant, steckt der Krimikritiker seine Nase täglich in zwei Bücher. Eins für tagsüber, eins für die Nacht. Welches man wann zu sich nimmt, ist eine spontane Entscheidung, aber meistens liegt man damit richtig, denn es gibt sie tatsächlich, die Tag- und Nachtbücher.

Nicht dass man die „dunklen Themen“ für die Dunkelheit aufsparen würde – es hat wohl eher etwas mit der Ruhe zu tun, die einem manches Buch abverlangt, während andere auch schon mal zwischendurch konsumiert werden können. Vielleicht tut bestimmten Büchern auch ein Leser gut, dessen Sinne nachts nicht mehr auf Faktisches und Logisches fixiert sind, wenn ganz allmählich der Zustand zwischen dem Ist des Lebens und seinem Soll die Oberhand gewinnt, ein Zustand der Toleranz also, in dem Gelesenes nicht mehr ausschließlich durch die Filter der Vernunft in den Kopf einsickert.

Mein aktuelles Tagbuch ist Titus Kellers „Aussortiert“. Der Name des Autors ist ein Pseudonym, hinter dem sich „ein bekannter Schriftsteller“ verbirgt, wahrscheinlich aus der sogenannten E-Literatur, man weiß es nicht, und, ganz ehrlich, ich will es auch gar nicht wissen. Dass er schreiben könne, behauptet der Klappentext, habe er hinlänglich bewiesen – und muss es wohl bei einem Krimi nicht mehr tun, so jedenfalls liest sich das. „Spannend schreiben“ könne er auch – wieder Klappentext – nun, das sollte man eigentlich immer, nicht nur im Krimi, aber dort natürlich besonders.

Ich weiß ja nicht, was man sich von dieser Pseudonymerei verspricht. Sollen hier lediglich Spekulationen angeregt werden? Oder schämt sich da einer tatsächlich für seinen Seitensprung ins Lotterbett des Trivialen? Letzteres versteht man gut nach Zurkenntnisnahme der ersten Hälfte von „Aussortiert“. Die zweite steht noch aus, Hoffnungen, dass sich doch noch alles zum Besseren wendet, hat man indes nicht.

Etwas verspätet hat mich „Die dritte Jungfrau“ von Fred Vargas erreicht, ein Buch für die Stunde vor dem Schlaf, ohne Störendes von draußen. Wieder ein höchsteigenes Koordinatensystem, durch das sich Schatten bewegen, Vorahnungen, Reminiszenzen an doch längst Vergessenes. Einzig dass man bei den deutschen Übersetzungen jetzt scheinbar auf Ordnungszahlen fixiert ist („Der vierzehnte Stein“, „Die dritte Jungfrau“), mag mir nicht gefallen, ist aber nebensächlich. Einmal in Adamsbergs Universum, findet man so schnell nimmer hinaus, keine innere Stimme beschwert sich „Das ist doch unrealistisch!“, denn das Realistische bei Vargas ist das Realistische des Textes, etwas höchst Eigenes also.

Schon wartet ein neuer Stapel Krimis darauf, in Tag & Nacht getrennt zu werden. Keine leichte Sache diesmal. Sollte man Horst Eckerts „Königsallee“ tatsächlich auf der sonnenüberfluteten Terrasse lesen? Eva Maasers „Der Clan der Giovese“ dagegen im traulichen Schein der Nachttischlampe? Das neue Abenteuer von Robert Bracks juveniler Detektivin Lenina Rabe scheint ein klarer Fall fürs Tageslicht zu sein, Ronnith Neumans „Tod auf Korfu“ desgleichen. Und Wolfgang Brenners „Bollinger und die Friseuse“, ein Saarland-Krimi, ideal für die Nacht, wenn das Saarland zur Ruhe gekommen ist, nur noch die Hunde bellen, aber nicht mehr die Lautsprecherboxen in vorbeirauschenden Autos? Ein Nachtbuch ist Friedrich Glausers „Gourrama“. Aber erstens kein Krimi und zweitens hab ich das vor Jahren schon einmal gelesen. Spricht beides nicht dagegen, es ein zweites Mal anzugehen. Nachts.

13 Gedanken zu „Tag- und Nachtbücher“

  1. Ja, ja, mein Marzipantörtchen,

    das ist uns nicht entgangen. Aber merkwürdig, dass alle behaupten, Herr Keller könne schreiben. Er kann die Sprache durchschnittlicher Kriminalromane imitieren, aber unter schreiben verstehen wir nun doch etwas anderes.

    bye
    dpr
    *liebt Marzipan
    **und Thunfisch
    ***vor allem aber: Mayo aus der Tube!
    ****gerne auch alles zusammen auf einem Teller

  2. aber jetzt mal anders gefragt – stell dir vor, du heißt, sagen wir … *überlegt … botho strauß. und du hast die schnauze voll davon, literatur zu produzieren, weil du immer von denselben kappen rezensiert wirst. und weil du doch mal was anderes machen wolltest im neuen jahr. also denkst du, ich schreib einen krimi, denn du schaust gerne tatort. dein verlag sagt dir: botho? ein krimi? das kriegen wir nicht durch. unter einem pseudonym okay, aber nicht als botho strauß. und sie setzen dir eine pistole auf die brust.

    alternatives szenario: hey botho, du schreibst einen krimi? super! da verpassen wir dir ein pseudonym, das macht die sache für die kritiker spannender, wer du dann wirklich bist.

    beide male nickt kein-schnall-von-werbung-botho und wird verrissen, da er sich noch nie die mühe gemacht, sich ernsthaft in der krimiszene und bei der konkurrenz umzuschauen.

    ein teufelskreis fängt an, sich zu drehen …

    *gespannt
    **bewegte sich in ihren spekulationen mit botho strauß geschickt in richtung berlin
    ***fazit des szenarios vermutlich, dass botho sich ernsthaft in der krimiszene und bei der konkurrenz hätte umschauen sollen

  3. Anlässlich der Vergabe des Deutschen Krimipreises im Januar flackerte in den Krimi-Blogs – Liebhaber aller Genres kommunizieren außerordentlich rege über das neue Medium – eine Diskussion auf über die langsame Literarisierung des Kriminalromans,…

    Da reg‘ ich mich doch schon wieder auf! Mannmannmann… Als ob im Internet an jeder Ecke ein „Krimi-Blog“ lauert. Wo fand denn diese „Diskussion“ statt? Und kann man als Journalist nicht einmal seine Quellen nennen?
    Mannmannmann….

    Ludger

  4. Lieber Ludger,

    hatten wir es nicht letztens mit den Journalisten ?

    Aber ´mal ehrlich. Eine Rezension ist keine journalistische Tätigkeit, Grundlage der damaligen Diskussion war, soweit ich es richtig nitbekommen habe, ein Beitrag T. Gohlis und der Beitrag aus der BZ hat mir eigentlich gut gefallen – wobei ich natürlich zu dem Buch von Keller keine Stellung nehmen kann.

    Beste Grüße

    bernd

  5. @Thunfischröllchen, äh: Marzipantörtchen: Die Vorstellung, Botho Strauss zu sein, hat etwas zutiefst Masochistisches. Aber nun denn: Herr Keller (vielleicht ist es eine Frau?) hat sich vorgenommen, einen Krimi zu schreiben, so wie er halt das Genre einschätzt. Gut. Das ist ihm nicht sonderlich gelungen. Es ist gerade dieses bemüht „Un-literarische“, das einem auf den Geist geht. Ich habe in letzterer Zeit jedenfalls keine müderen Dialoge gelesen. Aber dazu nächste Woche mehr.
    @Ludger, Bernd: Ich hab auch bedenklich den Kopf hin und her bewegt, als ich das gelesen habe, wollte es aber nicht noch einmal aufs Tapet bringen. Ausgangspunkt war in der Tat ein Gohlis-Artikel, also etwas aus den „etablierten Medien“. Dass es nicht dort, sondern „in den Krimiblogs“ diskutiert wurde, zeigt, wozu die eigentlich gut sein können. Bei den Etablierten kann man nämlich nicht diskutieren. Jedenfalls nicht SO, dafür sind sie auch gar nicht gedacht.

    bye
    dpr

  6. Um das mal etwas zu sotieren, lieber Bernd: Grossers Artikel nennt explizit „Krimi-Blogs“, was sich sehr deutlich auf diesen Eintrag, diesen Eintrag und sogar auf diese wunderbare Serie (Teil 1 exemplarisch verlinkt) von dpr bezieht.
    Gohlis Artikel in der Zeit und bei Arte waren wiederum die unmittelbaren Auslöser dieser Diskussion.

    Das kann man doch wohl – ob nun als rezensierender Journalist, ob als journalistischer Rezensent oder auch nur als Rezensent, der für eine Tageszeitung schreibt – mal erwähnen, anstatt diffus von „Krimi-Blogs“ zu schwadronieren, wobei der Eindruck entsteht („Liebhaber aller Genres kommunizieren außerordentlich rege über das neue Medium“) es würde eine große Zahl von „Krimi-Blogs“ geben, in denen genau zu diesem Thema diskutiert wurde. Es waren – für Gegenbeweise bin ich dankbar – genau drei: Gohlis (wenn man das als Blog sehen will), dpr und meine Wenigkeit.

    Und natürlich hat diese Rezension einen journalistischen Einschlag, nämlich genau in diesem Teil, in dem Grosser die Diskussion über Literarisierung ins Spiel bringt. Er berichtet über eine Diskussion. Der eigentlich rezensierende Teil des Artikels, der sich kritisch-würdigend mit dem Buch von jenem Titus Keller auseinandersetzt rückt sogar ein wenig in den Hintergrund, besonders im vierten und fünften Absatz – die übrigens völlig losgelöst stehen könnten.

    Liebe Grüße
    Ludger

  7. Ich habe dich selbstlos aus den Fängen des Spamdrachen befreit, Ludger…überhaupt: Wem das mal passiert, der melde sich bitte umgehend. Wir schicken dann ein Himmelfahrtskommando in die Höhle des Spams…
    @Ludger: Es war genau diese Diffuse der angeblich so regen Diskussionen in werweißwievielen Blogs, das mich auch geärgert hat. HIER wäre ein wenig Journalismus schon angebracht gewesen. Und hätte auch unseren Zugriffszahlen gutgetan…

    bye
    dpr

  8. Lieber Ludger,

    natürlich war der BZ-artikel recherchiert, sogar ordentlich. Deshalb hat er mir ja auch gefallen. Und es ist ja nicht die erste Rezension die sich vom eigentlichen Zielobjekt wegabstrahiert.

    Eine Rückmeldung (Diskussionen ist wohl zuviel gesagt) zu dem Artikel von Gohlis gab es zu allererst auf Toms Krimitreff und auch auf der Krimicouch werden sich ´paar Alphas zum Thema gegenseitig angeraunzt haben (solltest Du es vermittels „Waffengewalt“ erzwingen wollen, machte ich mich im dortigen Untergrund auf die Suche). Darüber hinaus ? Ich weiß nichts.

    Wenn Ihr Beide Recht habt und Basis für die Aussage sind alleine Eure Beiträge, dann hätte er seine Quellen benennen müssen. Das lieber Ludger, ist aber nicht unbedingt eine journalistische Tugend.

    Mit meinem Hinweis auf T. Gohlis wollte ich darauf hinweisen, dass der BZ-Artikel hier eindeutig einen Fehler beging. Es mag ja sein dass die hochnoble BZ Blogs nicht für quellenzitierfähig hält, aber dann hätte m.M der Verweis auf Gohlis folgen müssen.

    Beste Grüße

    bernd

  9. Nein, lieber Bernd, natürlich werde ich Dich nicht mit „Waffengewalt“ in den Untergrund zwingen 😉 Wobei Tom und Krimi-Couch halt Diskussionsforen sind, wtd, Gohlis Krimitagebuch und krimiblog eben „Krimi-Blogs“ sind – so wie sie im Artikel explizit beanannt wurden.

    Dass Gohlis zuerst hätte genannt werden müssen, der dann Reaktionen bei dpr und bei mir auslöste (die ich jetzt mal – arrogant wie ich bin – als ernsthafte Diskussionsbeiträge sehe) – stimmt.

    „Es mag ja sein dass die hochnoble BZ Blogs nicht für quellenzitierfähig hält, aber dann hätte m.M der Verweis auf Gohlis folgen müssen.“
    Genau das sehe ich anders. Warum sollten Blogs nicht quellenzitierfähig sein, Tobias Gohlis aber sehr wohl? Zumal wenn man sie sogar verschämt erwähnt und wenn sie ein wichtiger Bestandteil der Diskussion über Krimi und Literarisierung sind?

    Liebe Grüße
    Ludger

  10. Lieber Ludger,

    ich habe ja nur eine Möglichkeit seitens der BZ angedeutet. Blogs sind (Anwesende ausgeschlossen) flüchtig, kein journalistisches Produkt [aber Du weißt was ich von journalistischen Produkten halte], rechtlich möglicherweise schwierig einzuorden, usw … T. Gohlis Beitrag ist dagegen in der ZEIT erschienen.

    @dpr: Es gibt ja so manchen Großbürger, der schwärmt von den legendären langdauernden Leserbriefschlachten in den Zeitungen – tempi passati

    Beste Grüße

    bernd

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