Dieses ist die zweite Besprechung eines der Kandidaten für den Edgar des Jahres 2007, Kategorie „Bestes Buch“.
In der 30er Jahren des 19. Jahrhunderts ist die berühmte West Point Militärakademie noch jung und hat viele Neider. Diese sähen nichts lieber, als dass die Anstalt geschlossen würde. Die Ermordung eines jungen Kadetten und die nachträgliche Entfernung des Herzens aus dem Leichnam könnten hierzu Anlass geben. Die Führung der Akademie beschließt deshalb Gus Landor, zuvor als Detektiv bei der New Yorker Polizei tätig, hinzuzuziehen. Schon bald wird Landor von Edgar Allen Poe, seinerseits Kadett der Akademie, angesprochen und entschließt sich, diesen im Weiteren als Helfer einzuspannen.
Gleich zu Anfang des Buches schon erzählt Landor, der die Geschichte als Icherzähler vorträgt, dass er den Spuren von Ursache und Wirkung folgt und so sammelt er, ganz dem Rationalismus verpflichtet, auch in kurzer Zeit einige wenige Indizien, die ihm weitreichende Schlussfolgerungen erlauben: Eine Gruppe von Teufelsbeschwörern scheint auf dem Gelände der Akademie aktiv zu sein und bald wird auch ein zweiter Kadett der Einrichtung tot aufgefunden.
Edgar Allen Poe also: Der Vater des Krimis. „The Pale Blue Eye“ präsentiert uns Poe als noch jungen Mann, als jemand der noch auf der Suche ist, von der Muse schon geküsst, aber von ihr noch nicht überwältigt. Mit seinem Auftauchen verändert sich die Vorgehensweise der Aufklärung im Buch. It was just a guess, honestly. […] A hunch, yes, […]. Sie wird intuitiver. Die Romantik, ein wenig Lord Byron und sinnschwere Gedichte halten Einzug und ohne dass Landor es auch recht zu merken scheint, entwickelt sich Poe vom Helfer zu einer tragenden Rolle der Untersuchung. Poes Sicht der Dinge erfährt der Leser nur über dessen regelmäßige Briefe an Landor – in denen er allerdings auch ausschweifend von seiner aufkeimenden Liebe erzählt.
So eine Erzählung funktioniert natürlich nur, wenn die Personen und ihre Sprache nicht nur in die Zeit passen, sondern zwingend zu ihr gehören. Und in der Tat sind die Atmosphäre und die Sprache eine ganz starke Seite des Buches. Alles scheint stimmig zu sein, so stimmig sogar, dass der Autor wohl fürchtet, dass die amerikanischen Leser ob der ungewohnten Wörter mehr zum Wörterbuch greifen müssen, als dem ungetrübten Lesevergnügen dienlich sein kann. And why was it that after the bombadiers fired their voleys over Leroy Fry’s grave, the mountains caught the report and refused to part with it ? Und so kommt es dann, dass Bayard vereinzelt eine schon mankellsche Schwatzhaftigkeit an den Tat legt, denn zum vorhergehenden Satz meint er auch noch ausführen zu müssen: It kept echoing, I mean, […] .
Der Rückzug in die Vergangenheit und ggf. die literarische Verwendung einer realen oder fiktiven Gestalt ist ja nicht ganz neu, der so konsequente Einsatz der Sprache scheint mir aber eher selten zu sein (David Liss oder Iain Pears fielen mir noch ein). Aufgewertet wird das Buch in diesem Bereich noch dadurch, dass Bayard wohl ein kenntnisreicher Kenner Poes ist.
Soweit so gut. Denjenigen die aufgehen in dieser Sprache, mag es mehrheitlich vielleicht nicht wichtig erscheinen, aber im Spannungsbereich hat das Buch Defizite. Am Anfang, natürlich, wenn der Tote entdeckt wird … aber dann ? Plötzlich entdeckt man, dass nur noch 70 Seiten zu lesen sind, mithin also der weitaus größte Teil des 412 Seiten umfassenden Buches absolviert ist und im Weiteren wenig Spurenarbeit geleistet, wenige Verdächtige identifiziert wurden und wir umso mehr Anteil nehmen durften an der Liebe Poes – wobei der kundige Leser natürlich weiß, dass aus dieser Liebe nicht viel werden konnte, denn die spätere Frau Poes muss offensichtlich eine andere sein.
Ein originelles Buch, nicht ohne Anspruch, dem auch gerecht werdend; in eine Zeit gestellt, die es nicht beschönigt, aber auch nicht auslotet, mit einer insgesamt leicht eskapistischen Tendenz also und am Ende nicht sehr komplex und doch mit einer originellen Wendung. Der „kunstsinnige“ Leser dürfte einige vergnügliche, intelligent gestaltete Abende mit dem Buch verbringen und der Poekenner seinen Spaß haben.
Louis Bayard: The Pale Blue Eye.
Murray 2007. 432 Seiten. 10,80 €
(noch keine deutsche Übersetzung)