Was bisher geschah: Wickius, der mehrere Mordfälle und den merkwürdigen Exidus deutscher Krimischaffender aufklären möchte, befindet sich auf IDIOT, einer künstlichen Insel, die in der Südsee als Trainingszentrum für die aus Deutschland verschwundenen Autorinnen und Autoren dient. Eingerichtet wurde sie von der KRIMILOGE, einem seit der Mitte des 19. Jahrhunderts existierenden Verein zur Förderung der deutschen Kriminalliteratur. So jedenfalls hat es ihm ein kauziger alter Mann erzählt. Aber ob das auch stimmt? Lesen wir mit Kommissarin Anne Beller weiter in den Papieren, welche Wickius per Flaschenpost geschickt hat…
„Schiiiiiiii-GONG!“
Krachend sauste die Handkante auf den Ziegelsteinhaufen, der sogleich in viele Stücke zerbarst.
„Su-per!“, quietschte Henrike Heiland und klatschte in die Hände. „Mit der Nummer könnten Sie im Zirkus auftreten, Herr Bottini!“
Herr Bottini sog zwanzig Kubikmeter Luft in seinen Brustkorb und lächelte.
„Ich habe schließlich den schwarzen Schigong-Gürtel, Fräuleinchen!“
„Ja, ja, das wissen wir inzwischen“, meckerte Anne Chaplet. „Schau’n Sie mal, Herr Bottini, dort drüben läuft ein KaninZEN!“
„Ihre Wortspiele sind zum Kotzen“, konterte Bottini und wandte sich wieder Frau Heiland zu, die mit den anderen um die gestrige Lagerfeuerstelle saß, die jetzt nur noch ein Haufen Asche war.
Der Alte und ich standen etwas abseits und betrachteten die Szenerie. „Große Pause“, klärte mich der Alte auf, „da geht es hier zu wie auf jedem Schulhof dieser Welt. Gerade unterrichtet dpr wieder PLOTTET FÜR DEUTSCHLAND – dort drüben sitzt er auf dem Hügel. Mit Juli Zeh, der großen Romanschriftstellerin.“
Tatsächlich. Wir gingen ein wenig näher und hörten gerade noch, wie dpr, der Zeh bedrohlich auf die Pelle gerückt, flüsterte:
„Ich mag die Art, wie du Fragesätze baust, Baby…“
Juli Zeh errötete und schmolz dahin.
„Sie sind ein großer Charmeur, mein lieber dpr. Dabei bin ich doch nur ein unschuldiges und moralisches kleines Mädchen, das jetzt auch mal einen Krimi geschrieben hat. Haben Sie ihn übrigens schon gelesen?“
„Nein, antwortete dpr, „aber er wird mir gefallen. Kennen Sie schon meine Briefmarkensammlung?“
„Leider noch nicht. Aber ich würde sie gerne kennenlernen. Ich liebe Briefmarken! Ich liebe es, Briefmarken zu befeuchten und auf Kuverts zu pappen, in denen auf zartrosa Papier meine schweren Gedanken durch die Lüfte fliegen.“
„Nun denn“, sagte dpr, „dann kommen Sie mal mit. Widmen wir uns dem Ernst des Klebens. Es ist verdammt heiß hier!“
Sie standen auf und entschwanden in Richtung der Wohnhütten.
„Die will doch nur gute Kritiken, weil sie den Glauser gewinnen möchte! Dumme Kuh!“
Die Chaplet spuckte ihr Kaugummi in die Asche. Astrid Paprotta sah lächelnd von ihrer Lektüre – natürlich immer noch Perry Rhodan – auf und bemerkte mit energischer Stimme: „Dieses Jahr wird das nichts. Ich werde mit meinem neuen Kriminalroman FEUERROT wieder alles abräumen, denn Krimis mit Ina Henkel räumen immer ab, das ist Naturgesetz.“
„Verdammt“, zischte Norbert Horst, „und ich veröffentliche erst wieder 2008, und da ist eh nichts mehr drin!“
„Warum denn nicht?“ wollte Bottini wissen, und auch die Heiland machte fragende Augen.
„Weil“, erklärte Horst, „ab 2008 nur noch einer die Preise abräumen wird. Dpr himself. Das ist ein noch natürlicheres Naturgesetz!“
„Das werden wir ja sehen!“ brummten nun alle anderen im Chor.
Wir gingen weiter. Der Alte schüttelte noch immer den Kopf, „diese Lauserte“, murmelte er in seinen Bart, „wie die Kleinkinder. Aber wir machen Fortschritte. Immer mehr ernsthafte Literaten – Sie haben ja Juli Zeh gesehen, Herr Spinnen ist auch hier – widmen sich dem Genre, wie sie es nennen. Nach einem Crashkurs bei dpr schreiben sie die herrlichsten literarischen Krimis, die sich ein Oberstudienrat und eine Buchhändlerin nur vorstellen können. – Aber wir sind da. Jetzt werden Sie Augen machen!“
Tatsächlich standen wir vor einem recht unscheinbaren Schuppen aus Wellblech, dessen Tür von zwei schwerbewaffneten Uniformträgern bewacht wurde. Sie nickten, als sie den Alten erkannten und öffneten die Tür. Wir traten ins Halbdunkel und ich gewahrte eine Treppe, die nach unten, ins Innere der künstlichen Insel führte.
„Kommen Sie“, forderte mich der Alte auf und begann die Treppe hinunterzusteigen. Ich folgte ihm.
Wir gelangten in einen engen, von vielen umweltschonenden Energiesparlampen trübe erleuchteten Flur, an dessen Ende eine schwere graue Tür auf uns wartete. Der Alte drückte auf einen Knopf, ein Lämpchen leuchtete sofort hektisch und rot, die Tür öffnete sich, der Kopf eines sehr großen und grimmig dreinblickenden Mannes wurde sichtbar.
„Dürften wir einen Blick auf die Maschine werfen?“ fragte der Alte artig, und der Grimmige nickte noch grimmiger, öffnete die Tür und trat zur Seite. Vor uns öffnete sich eine gewaltige hohe Halle, in deren Zentrum eine monströse, chromglänzende Maschine stand. Sie war nicht in Betrieb, aber kein Zweifel: Sie würde eine Menge Krach machen nach dem Einschalten.
„Das ist das Herz von IDIOT“, erklärte der Alte, „der Motor, mit dessen Hilfe wir die Insel wie ein Schiff bewegen können. Ihre Kraft wird auf zwei Propeller am Heck übertragen, 800000 PS, mei, das geht ab!“
Seine Augen leuchteten wie die eines Kindes, als wir die Maschine umrundeten und uns einer weiteren Tür näherten.
„Dahinter ist der Ankerwindenraum. Momentan fahren wir ja nicht, wie Sie schon bemerkt haben, vier mächtige Anker haben sich in den Meeresboden gegraben und halten die IDIOT auf diesem Platz.“
Ich war ehrlich beeindruckt und sagte dies auch, als wir den Maschinensaal wieder verließen, den Flur durchquerten, die Treppe hochstiegen und aus dem Schuppen traten, dessen Tür sofort von den beiden Uniformierten hinter uns verschlossen wurde.
„Ja, es ist ein Wunder!“, jauchzte der Alte. „Heute mittag zeige ich Ihnen die kulturellen sowie die sanitären Einrichtungen. Wir verfügen über Whirlpools, beheizte Toilettensitze und Klopapier aus gekämmter Alpacawolle. Jetzt schlage ich vor, Sie machen sich ein wenig frisch und wir treffen uns Punkt 12 in der Mensa zum Essen. Gehen Sie immer dem Geruch nach!“
Wir verabschiedeten uns. Ich hatte keine Lust, zu meiner Hütte zurückzukehren, wo Thalia mit ihrem ausladenden Körper meiner harrte. Die Runde um das erloschene Lagerfeuer hatte sich inzwischen aufgelöst, von irgendwo her drang die dozierende Stimme dprs, in der die Kraft der zwei Herzen und der ungebändigten Triebe lag.
„Wehe, wenn ihr Flaschen euch einfallen lasst, einen TRAUM zu schildern. Ich habe seit Jahren keinen Krimi mehr gelesen, in dem nicht ein TRAUM vorkommt, aus dem man dann ‚schweißgebadet erwacht’! Das ist Pfusch!“
Ich schlenderte zum Strand und schaute aufs Meer. Hinter einer Palme bewegte sich etwas, etwas Tierähnliches, es war, wie ich schnell erkannte, niemand anderes als Ludger Menke, der auf allen Vieren zum Strand lief.
„Herr Menke! Ludger!“
Der so Angerufene sah auf wie ein in die Enge getriebener Hering. Seine Kraft verließ ihn, er plumpste bäuchlings in den Sand. Rasch war ich bei ihm.
„Geht es Ihnen nicht gut, Herr Menke?“
Der bekannte Krimiblogger stöhnte.
„Ich fühle mich so – merkwürdig. So leer. Im Kopf. Gut, das ist nichts Neues, aber auch sonst…Überall nur Leere. Als hätte man mich…“
„…unter Drogen gesetzt? Nun, das kann gut sein, mein Lieber. Ich empfehle Ihnen, hier weder Speis noch Trank zu sich zu nehmen. Ich jedenfalls ernähre mich ab sofort nur von den Datteln der Palmen hier. Gleich dort drüben gibt es auch eine unverdächtige Süßwasserquelle.“
„Drogen?“ fragte Menke ungläubig und vergrub sein Gesicht im körnigen Sand. „Das ist ja schlimm! Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Wo bin ich hier eigentlich? Was geht hier vor?“
„Ich weiß noch nicht, was hier vorgeht, aber es handelt sich wahrscheinlich um eines der scheußlichsten Verbrechen der jüngeren Literaturgeschichte. Meiner Meinung nach…“
„Ihre Meinung interessiert hier nicht mehr!“ verkündete eine metallene Stimme hinter mir. Ich drehte mich um. Der Alte stand da, sardonisch lächelnd, flankiert von den beiden Uniformierten und Schwerbewaffneten, die ich schon am Schuppen gesehen hatte. Oder waren es andere? Es spielte keine Rolle.
„Schade“, fuhr der Alte fort, „Es hätte alles so schön werden können mit uns. Aber Sie sind zu neugierig, mein lieber Wickius, und das ist Ihr Verderben! Packt ihn! Bringt ihn ins Verlies!“
Die letzten Worte galten den Uniformierten, die nun ihre Waffen auf mich richteten und mir mit Kopfbewegungen zu verstehen gaben, vor ihnen her zu gehen.
„Den Menke nehmt später mit und bringt ihn auf die Krankenstation. Der Arzt soll ihm eine Spritze geben. Und wir, Wickius, sprechen uns noch! Später! Wenn Sie weichgeklopft sind! Har, har, har!“
Mir blieb keine Wahl. Die Gewehre im Rücken trabte ich hängenden Kopfes dem Dickicht zu…
***
„Mein Gott!“ entfuhr es Anna Beller! Nervös zündete sie sich die Zigarette an, die seit Beginn der Lektüre zwischen ihren bleichen Lippen gehangen hatte. Schon dass dpr ein Techtelmechtel mit Juli Zeh angefangen hatte, war ihr zuwider gewesen. Wenn das so weiterginge, würde sie noch als Nonne enden – ach was, als ganzes Nonnenkloster! Das Schicksal des Wickius indes, obwohl der nie mit ihr techtelmechtelt hatte, zerriss ihr das Herz in tausend Stücke so wie die Handkante Bottinis es mit den Ziegelsteinen gemacht hatte. Wo war eigentlich Giorgio, wenn Bottini auf der Insel war? Trieb er sich noch immer im Shaolin-Kloster herum und protzte mit seiner Briefmarkensammlung? Fragen, Fragen, Fragen, dachte die Beller und nahm die nächsten Seiten des Manuskripts aus der Flaschenpost…
Sehr schön. Aber nachdem du die kulturellen Einrichtungen geschildert hast („Whirlpools, beheizte Toilettensitze und Klopapier aus gekämmter Alpacawolle“) hätte ich gerne noch was über die sanitären gewusst. Bitte in die nächste Fortsetzung einbauen. Sonst werde ich noch mal schweißgebadet aufwachen (lese übrigens gerade einen Krimi, in dem bisher noch niemand „schweißgebadet aufgewacht“ ist).
Giorgio
3. Dan Mikado
Bitte, bitte, bitte bring mich um die Ecke, schmeiß mich den Haien zum Fraß vor, gib‘ mir eine Giftspritze, aber mach‘ diesem Schmierentheater ein Ende!
Ludger
*winselt
** leidet
*** wendet sich ab
Nicht so ungeduldig, Ludger. Du bekommst einen herrlichen Abgang und vorher bau ich dich noch zur TRAGISCHEN FIGUR auf. Die Idee, dass du mit A.C. auf einer einsamen Insel strandest, habe ich verworfen. Irgendwo ist Schluss mit lustig…
bye
dpr
„Die Idee, dass du mit A.C. auf einer einsamen Insel strandest, habe ich verworfen. Irgendwo ist Schluss mit lustig…“
Och, schade. Dabei wäre das ja mal RICHTIG ORIGINELL geworden, der dramaturgische Höhepunkt der Geschichte…
getragene Grüße
Ludger
*Blog-Diva
Wer ist A.C.?
* wünscht sich eine Folge über den richtigen Gebrauch des Apostrophs und eine mit Schwertkampf