Infotainmentmorde

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Es muss schleunigst einen neues Subgenre her, um eine seit Jahren zu beobachtende Entwicklung am Schlawittchen packen zu können. Nach dem Boom des Regionalkrimis, der ja eigentlich keiner ist, sondern schnöder Fremdenverkehrskrimi, plustert sich in den letzten Jahren der sogenannte „historische Krimi“ gar mächtig auf. Und der ist natürlich auch nicht „historisch“, sondern allenfalls „historisierend“, bei genauerer Betrachtung aber dann doch nur oberflächliches Infotainment für Leute, die im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst haben. Genau: Nennen wir das Kind doch Infotainment-Krimi.
Einen solchen hat Jan Eik mit „Der Ehrenmord“ in der Reihe „Es geschah in Berlin“ verfasst, wo sich Horst Bosetsky schon dem Jahr 1910 und Sybil Volks dem Jahr 1912 gewidmet haben. Eik hat „1914“ aus der großen Lostrommel gezogen und schickt den Reihenermittler Kappe in einen Fall von Mädchenmord. Was nun so dröge und vorhersehbar, so holzschnittartig und wenig aufregend ist, dass wir hier kein weiteres und schon gar kein gutes Wort darüber verlieren wollen. Interessant ist das „historische Setting“ am Vorabend des ersten Weltkrieges. Wir erfahren, dass die meisten Deutschen begeistert von der Aussicht auf ein zünftiges Schlachten waren, „jeder Stoß ein Franzos, jeder Schuss ein Russ“ eben, ein paar waren auch dagegen. Wir erfahren auch, dass es in Berlin damals genauso ausgesehen hat wie auf den Bildern von Meister Zille. Die Armen waren halt arm, die Reichen reich, die Hinterhöfe dunkel und die Triebe schweinisch. So. Und das wars schon mit dem Gratisgeschichtsunterricht. Selbst für Infotainment ein bisschen wenig.

Da ist Bodo Dringenbergs „Mord auf dem Wilhelmstein“ von anderem, besserem Kaliber. Der Roman spielt Ende des 18. Jahrhunderts auf der mitten im Steinhuder Meer gelegenen Festung Wilhelmstein. Freunde von Arno Schmidt merken jetzt auf, alle anderen vergessen diesen Hinweis bitte gleich wieder. Auf dem Wilhelmstein also wird der Kommandant Mayor Rottmann, ein ziemlich unangenehmer Säufer, ermordet. Einst als Held gefeiert, weil er die Festung gegen die einfallenden Heere des Landgrafen von Hessen-Kassel gehalten hat, ist er doch nur eine peinliche Plage, ein Mann mit einem dunklen Geheimnis.

Wer nun Detektion erwartet, wird enttäuscht. Es gibt sie einfach nicht. Wer es denn nun war, berichtet uns der Autor eher nebenbei, durchaus in der Tradition früherer Kriminalromane, die das heutzutage allgegenwärtige „Whodunnit“ noch nicht im Vokabular hatten. Dringenberg erzählt die Geschichte der Festung und ihrer Bewohner sprachlich flexibel und informativ, hält manches Schmankerl bereit (u.a. über Onanie und Schokolade) und versucht sich auch erzählperspektivisch am Ungewohnten. Einige Passagen des ansonsten in der dritten Person erzählten Romans versetzen uns in die Gedanken der Protagonisten, die allesamt zwar sparsam, aber ausreichend gezeichnet sind, um als glaubwürdig durchzugehen. Eine mit ca. 170 Seiten zwar kurze, aber insgesamt doch recht angenehme Lektüre für Menschen, die nicht unbedingt nach „Ermittlung!“ schreien.

Ermittelt wird hingegen bei Stella Blomkvist, jener hinter Pseudonym versteckten „Persönlichkeit des isländischen Lebens“, die uns die Abenteuer der gleichnamigen Rechtsanwältin und Detektivin vorsetzt. Wohl spielt der Roman im Hier und Jetzt, hat aber einen historischen Bezug. Denn mitten im Thingvellir, wo vor tausend Jahren das erste Parlament der Geschichte tagte, wird die Leiche eines jungen Mädchens gefunden, einer iranischen Asylantin. Sie liegt im sogenannten „Ertränkungspfuhl“, in dem die Altvorderen schon die ledigen Mütter ersäuft haben. Was nun, da das Mädchen schwanger war, seinen Vater als dringend Verdächtigen ausweist. Stella übernimmt seine Verteidigung und kommt, wenig überraschend, einer Riesensauerei, die in „höchste Kreise“ führt, auf die Spur.

Es ist wie immer bei Blomkvist: Schnoddrig im Ton, ausgiebig ins Genrearsenal greifend, die Heldin als bisexuelle Jack-Daniels-Trinkerin, viel Lob für Mercedesautos und die inzwischen nervige Bezeichnung „Goldjungs“ für Polizisten. Diesmal ist Blomkvist überraschend politisch korrekt und bezieht deutlich Stellung zur auch in Island latent vorhandenen Fremdenfeindlichkeit. Auch das ist in gewisser Weise Infotainment, im großen Ganzen aber doch ein ohne größere Nachwirkungen zu konsumierender Krimi der netten, weil krachledernen Art. Weitere Abenteuer werden folgen.

Jan Eik: Der Ehrenmord. 
Jaron 2007. 203 Seiten. 7,95 €
Bodo Dringenberg: Mord auf dem Wilhelmstein. 
Zu Klampen 2007. 174 Seiten. 12,80 €
Stella Blomkvist: Mord in Thingvellir. 
Btb 2007 (deutsch von Elena Teuffer). 346 Seiten. 8,50 €

9 Gedanken zu „Infotainmentmorde“

  1. *erste!

    das ist eine schöne idee, ein kompendium nerviger bezeichnungen in krimis zusammenzustellen. wie oft habe ich schon ein buch zugeklappt, weil mich das genervt hat …
    infotainmentkrimis? fabelhaft.

  2. Glückwunsch! T-Shirt! Ludger im Badeanzug, du hast es nicht anders gewollt. — Ja, die bisherige Terminologie ist höchst unbefriedigend. Regionalkrimi etwa. Wenn du was gegen den sagst, kriegst du sofort das Argument zurück, tja, irgendwo müssen die ja spielen, gelt? Die einen in Los Angeles, die andern in Glasgow, die deutschen halt in Bitburg oder Straubing. Aber darum gehts ja nicht, sondern um die Hintergedanken. Erstens: Möglichst viel von dem Schmand „in der Heimat“ absetzen. Zweitens: Billige Fremdenverkehrswerbung machen. Das ist Infotainment at its worst. Weiterer Kandidat, wenn ichs so recht überblicke: der politisch-korrekte Krimi als stichwortartige tour de force durch die globale Problemlandschaft.

    bye
    dpr

  3. Schaukelt Ihr Euch hier wieder gegenseitig hoch?

    Ludger
    *warnt
    **fährt zur Tagung „Der Kriminalroman und die Rätsel der Vergangenheit“ in Schwerte
    ***erhofft sich Erkenntnisgewinn

  4. Hochschaukeln? Nein, wir bestätigen uns nur gegenseitig unsere Ausnahmestellungen im deutschen Bloggerwald. Der Beste und die Schönste. Ja, fahr du nur mal zur Tagung. Ein wenig Erkenntnisgewinn kann dir auf deine alten Tage nichts schaden. Hoffentlich profitiert auch dein Blog davon. Wäre zwar ein Wunder, aber…

    bye
    dpr

  5. „Ein wenig Erkenntnisgewinn kann dir auf deine alten Tage nichts schaden.“
    Ja, und dafür muss ich bis nach Schwerte fahren, weil hier finde ich ja nix….

    Ludger
    *bereitet sich auf den roten Teppich und auf all die großen Krimiautor/innen in Hamburg vor

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