In Katalogen geblättert

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Jahresende. Schauen wir ins nächste. Peu à peu treffen die Kataloge mit den Frühjahrsneuigkeiten hier ein, der Rezensent hat die Qual der Wahl. Werfen wir ein paar erste Blicke in den broschurnen Hochglanz.
Die Ariadne-Krimis im Argument Verlag versprechen uns ein neues Werk von Christiane Lehmann, „Pferdekuss“, „eine spannende Story um Argwohn, Schuld und Unschuld“. Avisiert wird damit der dritte Lisa-Nerz-Krimi in einer überarbeiteten Version. (März 2008)

In der sogenannten „Hostentaschenedition“ werden drei Wiederauflagen von Dagmar Scharsich („Die gefrorene Charlotte“), Sarah Dreher („Stoner McTavish“) und Katrin Kremmler („Blaubarts Handy“) angeboten. (April 2008) Und Lisa Kuppler gibt eine Schwabenanthologie heraus („A Schwob, a Mord: no emmr…“) (März 2008)

Der kleine, aber umso feinere Verlag Liebeskind kündigt den abschließenden vierten Band von David Peace’ „Krimi-Quartett“ an. „1983“ heißt das Werk (Februar 2008). Freuen tue ich mich auf Mordecai Richlers „Cocksure“, einen Roman aus den Londoner „Swinging Sixties“. Krimi? Etwas Ähnliches wohl schon. Und das Cover ist geil… (Februar 2008)

Auch grafit kommt natürlich mit einem neuen Programm für die Jahreszeit der knospenden Natur. Höhepunkt Matti Rönkäs „Bruderland“, als Hardcover für den April versprochen. Der Schweizer Ernst Solèr setzt seine Reihe um den Hauptmann Fred Staub fort, „Staub im Schnee“ heißt es diesmal und kommt im Februar. Bis zum Mai müssen wir auf Jaroslav Kutaks „Tod unter Par“ warten, einen Krimi aus dem Golfermilieu. Eine Tscheche? Sollte man mal reingucken… Mit Lucie Klassen hat grafit ein neues Fräuleinwunder an der Angel. Die Dreißigjährige debütiert mit „Der 13. Brief“, einem Krimi aus dem ja von Natur aus kriminellen Schulmilieu. Kommt ebenfalls im Mai und vielleicht hat mir bis dahin jemand erklärt, was eine „Rai-Reitlehrerin“ ist. Als solche wurde die Autorin nämlich ausgebildet.

Erwähnen wir noch Gabriella Wollenhaupts „Leichentuch und Lumpengeld“ (Mai), der ein „Schmöker“ ist, ein „Wer war’s“ dazu, vor dem Hintergrund des „Weberaufstands“ „fiktiv“ im „Vormärz“ spielt und als Ermittler „Polizist, junge Frau“ nennt. Nennt? Ja, genau. Bei grafit nämlich geht man neue Wege. Jedem Krimi ist ein Infokästchen zugeordnet, das „Stil“, „Ermittler“, „Spannungsführung“, „Hintergrund“, „Schauplatz“ und „Zeit“ in knappen Stichworten verrät. Damit die nette Buchhändlerin nicht überfordert ist? Oder der verwirrte Kunde zielsicher durch das Dickicht des Genres geführt wird? Keine Ahnung. Aber nett.

Die dicksten Kataloge schickt zweimal im Jahr garantiert der Deutsche Taschenbuch Verlag: Sachbuch – Literatur – Unterhaltung, Krimis findet man natürlich bei „Unterhaltung“. Diesmal etwa T.C. Boyles „Talk Talk“, vom dem laut Katalog bereits 80.000 Exemplare im Hardcover verkauft wurden. „In diesem hochdramatischen Thriller erzählt Boyle davon, wie leicht es ist, einem Menschen die Identität zu rauben und wie schwierig für den Betrogenen, zu beweisen, dass er hereingelegt worden ist.“ Klingt gut. Noch besser aber klingt das: „Verbrechen an einer Gehörlosen, die auf eine taube Justiz stößt“. Hm, ist halt Unterhaltung und erscheint im Mai.

Dass Friedrich Ani seinen „Seher“ durch ein neues Abenteuer prügelt („Wer tötet, handelt“, Mai), erwähnen wir ebenso wie John Harveys „Schlaf nicht zu lange“, den abschließenden Band der Frank-Elder-Trilogie, die gewiss preiswürdig ist, auf jeden Fall aber den Großen Preis für die hirnrissigsten Titeleindeutschungen verdient hat. Und behandelt Ani das Verbrechen an einem Blinden, der auf eine blinde Justiz stößt? Wir lassen uns überraschen. (Juni)

Eine Axt in einem Holzklotz: So martialisch kommt das Cover von Peter Oberdorfers „Kreuzigers Tod“ (Juni) daher. Überschrift: „Das haut rein“. Ein „unkonventioneller Krimi für Leser mit Sinn für das Groteske und Schräge“ und, fürwahr, die Axt sitzt ziemlich schräg im Holz. Wenn das kein gutes Zeichen ist. Dagegen wirkt die Anmoderation für Iain McDowells „Der perfekte Tod“ (Juli) geradezu geradeaus: „Der Anblick des Todes kann nicht grausiger sein…“ Das Lesen gewisser Werbepoesie schon.

3 Gedanken zu „In Katalogen geblättert“

  1. IN PRESSEMELDUNGEN GEBLÄTTERT:
    PolPresse vom 30.12.2007 # 3813
    Tränen bei der Vorstellung: Mehrere Zuschauer haben gestern Abend gegen 19 Uhr 30 fluchtartig die Vorstellung eines Theaters in Mitte verlassen. Ein Schauspieler musste in einer Szene Schüsse aus einem Revolver abgeben. Kurz darauf tränten mindestens sieben Zuschauern im Alter von 37 bis 55 Jahren die Augen. Sie gingen nach draußen. Einer der Betroffenen rief die Polizei an. Die Beamten beschlagnahmten den Revolver und die verwendeten Kartuschen für eine kriminaltechnische Untersuchung und leiteten ein Verfahren wegen fahlässiger Körperverletzung ein. Es soll geprüft werden, ob statt der vorgesehenen Knallmunition versehentlich Reizgaspatronen geladen wurden und wie sich ggf. das verschossene Gas im Raum verteilt hat – oder ob eine andere Ursache denkbar ist. Die Schauspieler wurden zumindest nicht beeinträchtigt und beendeten das Stück planmäßig.

    Einen netten Rutsch vom 007 (license to kill) nach 008 (license to thrill?) wünscht aus der „Hauptstadt des Verbrechens“, in der die Realität zum Glück (noch) nicht auf Plotraffinesse und Plausibilität getrimmt wird – P.

  2. Fortsetzung, kriminalliterarisch:

    Tagesspiegel.de
    Tränengas in der Volksbühne
    Bei einer Aufführung von „Emil und die Detektive“ an der Berliner Volksbühne ist Tränengas statt einer normalen Platzpatrone verschossen worden. Mehrere Besucher mussten ärztlich behandelt werden.
    http://www.tagesspiegel.de/berlin/Polizei-Justiz-Traenengas-Volksbuehne-Mitte;art126,2447438

    BERLIN – Der Zwischenfall ereignete sich gestern Nachmittag kurz vor Ende des Stückes. Rund 80 Zuschauer flüchteten daraufhin aus dem Theater am Rosa-Luxemburg-Platz. Die Vorstellung wurde jedoch nicht – wie zunächst gemeldet – unterbrochen. Mehrere Personen erlitten Reizungen der Atemwege und der Augen. Die Hälfte der Geflüchteten sei wenig später wieder zurückgekommen, sagte die Chefdramaturgin der Volksbühne, Gabriele Gysi, und fügte hinzu: „30 Besucher machten von ihrem Recht Gebrauch und forderten einen Umtausch der Karten“. Zwei Zuschauer hätten später Strafanzeige gestellt.

    Der in dem Stück verwendete Revolver sowie die verwendeten Kartuschen wurden beschlagnahmt und sollen kriminaltechnisch untersucht werden. Die Polizei ermittelt nun wegen gefährlicher Körperverletzung, zieht aber auch ein Versehen in Betracht. Der Chefdramaturgin zufolge ist die Ursache für den Vorfall noch völlig unklar. So sei es denkbar, dass „die Munitionslieferung für die Pistole ab Werk“ bereits fehlerhaft gewesen sein könnte. Möglicherweise habe sich auch „ein Zuschauer einen schlechten Scherz erlaubt“. Einen Fehler des Requisiteurs bezeichnete sie als „unvorstellbar“. Dieser arbeite bereits seit 15 Jahren an der Volksbühne, betonte sie.

    In der Fassung des Kinderklassikers von Volksbühnen-Intendant Frank Castorf geht es äußerst heftig und laut zu. So gibt es zahlreiche Gewehrschüsse ins Publikum, ohrenbetäubende Musik und auf einem Bildschirm im Hintergrund laufen Horrorfilme. Das Stück wird seit Anfang Dezember in dem Theater in Berlin-Mitte in zwei Versionen gezeigt, eine davon als jugendfrei. (feh/dpa)

  3. So realistisch kann Theater sein! Das gibt mir den Glauben an die Bühne zurück. Vielen Dank an unsere Pressekorrespondentin Pieke, die gerade ein Praktikum bei Hinternet absolviert. Natürlich kein Zwangspraktikum… schönes neues Jahr wünschen wir morgen…

    bye
    dpr

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