Arimasa Osawa: Der Hai von Shinjuku – Rache auf chinesisch

Ein wenig überrascht hat es mich schon. Nicht dass Kollege Wörtche das zweite Abenteuer des „Hais von Shinjuku“ lobt; aber dass der Band nun auch in der Krimiwelt-Bestenliste auftaucht, Rang 6 immerhin, das ist schon bemerkenswert und kommt unerwartet.
Die →Besprechung des Kollegen W. enthebt mich der Pflicht, hier eine ordnungsgemäße Rezension zu schreiben. Sie wäre in vielem Wiederholung. Dass mir →der erste Band einen Tick besser gefallen hat, sei erwähnt. Ein kleines Zitat vielleicht, das ziemlich unmissverständlich klar macht, worum es in „Rache auf chinesisch“ geht:

„Die Zusammenfassung des Tokyoter Morddezernats ergab folgendes Bild: 36 Tote, 7 Verletzte“

Exakt: Darum geht’s. Und darum, dass so etwas in Tokio recht selten vorkommt. (Übrigens verstehe ich nicht, warum es in der deutschen Übersetzung „Tokyo“ heißt. Portugische Detektive ermitteln ja auch nicht in „Lisboa“; nachdem man sie eingedeutscht hat) „Rache auf chinesisch“ ist ein japanischer Thriller und als solcher natürlich irgendwie „exotisch“. Aber nur zum Teil. Denn der Ausgangspunkt, jener titelgebende „Hai von Shinjuku“, ist eine perfekt globalisierte Figur des Genres, Oberkommissar Samejima, der im Vergnügungsviertel Shinjuku ermittelt, aber ein Außenseiter bei der Polizei ist. Eigentlich müsste er längst Karriere gemacht haben, doch sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten ist typisch unjapanisch, eine Art fernöstlicher Wachtmeister Studer, dem ja damals die leidige „Bankenaffaire“ einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.

Samejimas Freundin ist eine flippige Rocksängerin – auch eher „unjapanisch“. Es geht ziemlich zur Sache – nein, das nennen wir jetzt aber nicht ebenfalls „unjapanisch“, denn das Reizvolle an diesem Roman ist ja gerade das ineinander Verschränktsein von kulturspezifischen und globalen Mustern, von „Exotismen“, wie sie uns medial eingebläut wurden (von Harakiri bis Kamikaze, von Geisha bis Sony) und längst allgemeingültigen Automatismen, von denen der des „lonely wolf“ Samejima nur einer ist. Ein weiteres Beispiel:

In „Rache auf chinesisch“ hat sich der Killer, ein Taiwanese, als illegaler Einwanderer in die Vergnügungsszene eingeschlichen und arbeitet, auf der Suche nach dem Objekt seiner Rache, in einer Bar. Deren Geschäftsführer ist ein brutales Ekel. Er demütigt und verprügelt den Killer, der sich aber nicht wehren darf, obwohl er das spielend könnte (und irgendwann natürlich tut). In dieser Bar arbeitet auch Nami, die weibliche Heldin des Romans, eine Festlandschinesin mit japanischer Mutter. Namis Bestreben muss es sein, ihre Herkunft zu verbergen, niemand soll wissen, dass sie keine eingeborene Japanerin ist.

An diesen beiden Personen entwickelt Osawa ein stimmiges Bild jener „Illegalen“, die im Hochindustrieland Japan ausgebeutet werden und alles Piesacken stoisch ertragen müssen, um wenigstens die kleine Errungenschaft eines Arbeitsplatzes nicht zu verlieren. Das ist nun durchaus kein besonderes japanisches Problem, leider, verweist in seinen Details aber eben doch auch auf die Tradition eines historisch herzuleitenden Argwohns gegenüber dem Fremden, auf eine Kultur der Unterwerfung, des Gehorsams, des Sich-Unsichtbar-Machens, die selbst durch die Hegemonie des Globalen nicht ausgelöscht wird, sondern vielmehr das Gesicht dieses Globalen prägt. Das ist zum einen wohlbekannt – und zum anderen sehr fremd.

Vielleicht ist dies das Besondere an den „exotischen“ Krimis: dass sie längst keine mehr sind, aber immer noch eine Verwurzelung in Traditionen durchscheinen lassen, die wir in unserem eigenen Globalisiertsein nicht mehr wahrnehmen.

Arimasa Osawa: Der Hai von Shinjuku – Rache auf chinesisch.
Cass 2007 (Original: Shinjuku Zame 2 – Doku Zaru. 1991, deutsch von Katja Busson).
321 Seiten. 19,80 €

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