Louise Penny: Still Life

Three Pine ist ein kleiner geschaulicher Ort im Umland von Quebec, Kanada. Hier lebt man, weil man hier schon immer gelebt hat oder weil man sich zurückziehen möchte vom Lebenskampf der Großstadt. Jane Neal zum Beispiel. Sie ist im Ort geboren und hatte jahrelang in der örtlichen Schule unterrichtet, bis diese geschlossen wurde. Nun ist sie pensioniert, dilettiert als Malerin und ist Teil eines Freundeskreises von Künstlern und Kunstsinnigen.
Eines Tages wird Jane von einem Jagdpfeil getötet aufgefunden. Und während in der kleinen Ortschaft die Betroffenheit noch groß ist, rückt Chefinspektor Armand Gamache von der Surete du Quebec mit seinem Stab an und lässt sich im örtlichen Gasthaus nieder. Es entwickelt sich ein etwas eigenartiges Schauspiel. Während der Leser aufgrund der ganzen Anlage des Romanes (es handelt sich um einen Cozy) davon ausgehen dürfte, dass es sich bei dem Tod Janes um einen Mord handelt und dass der Täter im Freundeskreis zu suchen ist, scheint der gute Chefinspektor von einem Jagdunfall auszugehen und versucht den verantwortlichen Unglücksraben ausfindig zu machen.

Mit dem Inspektor und seinem Team ist Louise Penny ein guter Griff gelungen. Der elegante Herr, der eher wie Fred Vargas’ Adamsberg der intuitiven Schule angehört, kommt gut und stimmig ‚rüber, auch wenn er (noch) nicht die Präsenz von Adamsberg hat. Auch seine Mannschaft ist interessant, Teamarbeit wird hier groß geschrieben und die junge Kandidatin, die zur Probe in der Abteilung mitarbeitet, ist bald beim Chef unten durch, da sie zwar intelligent ist, aber vollkommen teamundienlich arbeitet.

Auch der Ort und seine Bewohner sind atmosphärisch gelungen gezeichnet. Die unterschiedlichen Personen mit ihren zum Teil skurrilen Eigenarten wirken glaubwürdig und doch liebenswert, und auch Themen wie der Sprachenkonflikt und das „belgische Dilemma“ Quebecs werden nicht ausgespart. Insgesamt ein unterhaltsames Buch also, nicht schwergewichtig, aber gut geschriebene Unterhaltung, dabei mit Anthony, Barry, New Blood Dagger und Arthur Ellis (kanadischer Krimipreis) hoch dekoriert.

Man merkt dem Buch allerdings ein wenig den Cozy an. So wird Gamache suspendiert, da er sich weigert einen Verdächtigen zu verhaften, der sich selbst bezichtigt, da er an dessen Schuld nicht glaubt. Diese Suspension bereitet Gamache Pein, zumindest erzählt Penny das, ‚rüber kommen diese Gefühle nicht so richtig (ausführlicher hierzu und zu Cozys -> hier ). Da ich kein Erbsenzähler bin, will mich auch die (antizipierte) Irre, in die Penny ihren Gamache schickt, nicht allzu sehr stören, aber eigenartig ist es schon. Typisches Element eines Cozy ist die Tatsache, dass die Person die später als Täter identifiziert wird, schon früh dem Leser bekannt ist und aus der näheren Umgebung des Opfers stammt. Letztendlich folgt das Buch dieser Regel, auch wenn die Polizei zwischenzeitlich so tut, als könne sie hier eine wilde Verbrecherjagd aufziehen. So sitzt man als Leser die ganze Zeit da und wartet, dass es endlich los geht und ein Indizienregen niederprasselt. Entweder hat sich Penny mit dieser Erwartungshaltung routinierter Leser nicht auseinander gesetzt oder sie nimmt ihre Leser nicht ernst.

Dr. Bernd Kochanowski

Louise Penny: Still Life. 
St. Martin's Minotaur 2007. 336 Seiten. 5,98 €
(Denn alle tragen Schuld. Blanvalet 2008 (deutsch von Andrea Stumpf). 380 Seiten. 7,95 €)

4 Gedanken zu „Louise Penny: Still Life“

  1. Ich frage mich, wieso die (große) Zielgruppe dieser Cozys überhaupt Bücher liest, in denen es erwartungsgemäß zu einem Mord oder anderen Formen der Gewaltausübung kommt, wenn ihnen (vermutlich) eine annähernd realistische, zumindest aber dieses Geschehen nicht völlig bagatellisierende Beschreibung unerträglich ist oder sie dem auch einfach nur nichts abgewinnen können. Dann wäre es doch konsequent, derartige Bücher zu vermeiden, und stattdessen ein Sachbuch, einen Historienschinken, einen Abenteuer- oder Liebesroman zu lesen. Selbst wenn man dort der Beschreibung von Gewalt meist nicht entgehen wird können, steht sie doch wenigstens nicht im Mittelpunkt.

    So scheint es mir, einen Cozy zu lesen, ist wie ein bischen schwanger zu sein. Ich räume ein, mich mit beidem nicht ansatzweise auszukennen.

  2. Cozys machen aus dem Tod etwas Harmloses, Beiläufiges. Gemordet wird nur, damit die Rätselmaschinerie in Gang kommen kann. Das hat, im Hinblick auf das eigene unweigerliche Ableben, auch etwas Tröstliches und verdrängt die Tatsachen.

    bye
    dpr
    *der Sigmund Freud unter den Krimibloggern

  3. Und der Mord passiert auch nur, damit er aufgeklärt wird, auf dass die kuschelige Welt wieder in Ordnung ist, nachdem auch alle anderen Geheimnisse ans Tageslicht gekommen sind und die Welt wieder richtig in Ordnung ist.

  4. In Amerika bezieht man sich ja auch Agatha Christie als Urmutter (deshalb auch die „Agatha Awards“). Das ist eine andere Philosophie als die, welche hinter Hardboiled oder noir steckt, so ein wenig wie bei Fantasy: Raus aus der Realität. Scheint gut zu funktionieren, die Autoren laufen glaube ich ganz gut.

    Beste Grüße

    bernd

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert