Frank Göhres ehrgeiziges Unterfangen einer „Kriminellen Sittengeschichte Deutschlands“ in zehn Bänden ist →an dieser Stelle bereits lobend erwähnt worden. Jetzt liegen die beiden ersten Titel vor.
Über Egon Eis‘ „Duell im Nebel“, mit dem die Reihe anhebt, brauchen wir kein Wort mehr zu verlieren, was es dazu zu sagen gibt, ist →schon gesagt. Fügen wir die dem Nachwort von Michael Töteberg (der auch „Hinternet“-Leser ist) entnommene Information hinzu, dass Eis u.a. für etliche der berühmt-berüchtigten Drehbücher der „Edgar Wallace“-Fime aus den 50ern / 60ern verantwortlich zeichnet. Seinem „Duell“ merkt man dies, dem Herrn sei’s gedankt, aber nicht an.
Auch Hansjörg Martins „Kein Schnaps für Tamara“ spielt zu Anfang der 50er Jahre und variert das große Thema der Epoche, Schuld und Verdrängung. 1951, Schleswig-Holstein: Hans Obuch, Werbefachmann und von einem erfolglosen Geschäftsbesuch deprimiert, entdeckt im Zug die Leiche einer jungen Frau. Selbstmord? Obuch glaubt nicht daran und macht sich – warum genau, das weiß er nicht – auf die Suche nach der Wahrheit. Die führt nicht nur in die Familiengeheimnisse einer Schnapsdynastie, sondern auch, wen wundert’s, in die jüngere und vom wachsenden Wohlstand schon überwucherte Vergangenheit.
Das Ende kommt ein wenig gehetzt-melodramatisch daher, kein Wunder, gab es doch strikte Verlagsvorgaben, was die Länge eines Krimis anbetraf. Dramaturgisch zeigt sich Martin jedoch als cleverer Konstrukteur mit einer ausgeprägten Abneigung gegen Langeweile.
„Kein Schnaps für Tamara“ ist ein flott geschriebener, auch sprachlich nicht peinlicher Roman, dem es gelingt, uns ein Genrebild der Nachkriegszeit in Umrissen zu zeichnen. Wir begegnen dem vom Nazi zum Marktwirtschaftler gewendeten Kapitalisten, dem bigotten Kriecher, dem desillusionierten Zeilenschinder, der allüberall spürbaren guten alten Zeit des Rassenwahns und der Obrigkeitshörigkeit – aber auch, so viel Unterhaltung muss sein, dem patenten Mädel, das dem unfreiwilligen Detektiv als Lohn für seine Bemühungen zufällt.
Martin (1920 – 1999), auch als Jugendbuchautor bekannt und erfolgreich, bestätigt seine Rolle als Pionier des Genres nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Autor, der schrieb, weil er davon leben musste, unprätentiös (wie in Frank Göhres ausführlichem Nachwort schön herausgearbeitet), stilsicher und mit dem Blick für das gesellschaftliche Ganze ebenso wie die Einzelheiten des Individuums. „Kein Schnaps für Tamara“, 1966 erstmals erschienen, ist in seiner relativen Kürze auch den Erbauern vielhundertseitiger Nichtigkeiten aus Trivialdrama und Gesellschaftskitsch zur Anregung durchaus zu empfehlen. Krimi geht auch anders.
Freuen wir uns auf den nächsten Band der „Sittengeschichte“, Friedhelm Werremeiers „Taxi nach Leibzig“, und seinen Blick in die deutsch-deutsche Geschichte.
Egon Eis: Duell im Dunkel.
Edition Köln 2008. 171 Seiten. 11,80 €
Hansjörg Martin: Kein Schnaps für Tamara.
Edition Köln 2008. 208 Seiten. 12,80 €