Im Prinzip ist die Frage, ob oder ob nicht ein Buch als Krimi zu beurteilen ist, für mich nicht so wichtig. Aber ich will nicht verhehlen, dass es mich manchmal irritiert, mit welcher Selbstverständlichkeit Leser/Rezensenten die Bezeichnung übernehmen, ohne sie zu hinterfragen. In den letzten drei Jahren habe ich hier beim Hinternet einige Bücher besprochen, die eher nicht dem Krimi zuzurechnen sind – ohne dass ich das thematisiert hätte. Aber „The Outlander“ führt doch zur Frage, wer denn das festlegt, wer die Meinungsführerschaft hat ? Dem Umschlag des Buches oder der Vita der Autorin entnehme ich die Angabe Krimi nicht, die Besprechungen im englischsprachigen Raum liefern auch kaum einen Hinweis hierzu, diese beziehen sich allenfalls auf „suspense“, aber der wird ja nun in zahlreichen Büchern erzeugt, ohne dass diese als Krimi bezeichnet werden.
Irgendwie hat es „The Outlander“ auf die Nominierungsliste des Hammett-Prize geschafft und ich bin in einer Zwickmühle. „Crime-writing“ is defined as any published work of adult fiction or narrative nonfiction that encompasses such areas as „crime,“ „suspense,“ „thriller,“ „mystery,“ or „espionage“ as those terms are normally understood in the writing and publishing fields. heißt es in den Vergabebedingungen für den Preis. Nun denn, ein weites Feld.
„The Outlander“ führt den Leser zurück ins Jahr 1903. Irgendwo in den kanadischen Weiten, am Rande der Berge begegnen wir Mary Boulton, der, wie sie im Buch üblicherweise genannt wird, Witwe. „Witwe von eigener Hand“ um genau zu sein. Die Brüder ihres verstorbenen Mannes sind ihr auf den Fersen. In der Anfangsszene wird sie von Hunden durch den Wald gehetzt. Vorübergehend findet sie Unterschlupf, nicht einmal, sondern immer wieder, doch die Jagd geht immer weiter, und die Witwe zieht sich tiefer und tiefer in die Berge und in den Wald zurück.
Durchaus eine krimikompatible Handlung also. Und ständig steckt im Hinterkopf des Lesers die Frage, wie geht’s weiter, wie löst’s sich auf. Im Hinterkopf, wohl gemerkt. Tatsächlich ist der Leser in der Welt der Witwe gefangen. Einer Frau an einem Ort in einer Zeit, an dem sie fremd ist (daher wohl auch der Buchtitel). Die Witwe selber wird zudem von Vorstellungen heimgesucht, nicht notwendiger welche des Wahns, wessen Geist, wenn ausgehungert und ausgemergelt im Wald seit Tagen umherirrend, wollte nicht woanders hin entfleuchen, dennoch, sie ist nicht immer ganz bei sich. Adamson gelingt es vortrefflich, dieses Milieu, diese einfachen Lebensbedingungen zu beschreiben und lebendig werden zu lassen. Sie umgibt die Witwe mit einer Vielzahl skurriler und eigenwilliger Personen, so dass eine farbige Geschichte entsteht – dass einzelne dieser Personen der Realität entnommen sind, scheint mir nicht entscheidend.
Funkelndes Juwel des Buches ist natürlich die Sprache Adamsons. Diese wird in Rezensionen (kein Scherz) mal als schlank mal als üppig beschrieben. In der Tat lassen sich im Text Belege für beides finden. Die Autorin hat zwei Gedichtbände veröffentlicht, Wörter setzen kann sie also. Sätze wie „And then there she was on the ground, demented, half-starved. Change came roaring in. Her warm body in his tent like a salacious dream, her beautiful voice, that unnerving gaze.“ finden sich häufiger in ihrem in Buch, sie scheinen eher nicht im Geiste der Hemingway/Hammett/Leonhard-Schule zu sein, zeigen aber die sprachliche Kompetenz der Autorin.
„The Outlander“ ist ein Buch, durchdrungen von Atmosphäre, in fabulöser Sprache, mit tiefer Empathie über eine Frau auf der Fluch und auf den Weg in eine andere Welt. Wenn man gewollt hätte, dann hätte man aus der Geschichte auch einen Krimi machen können, aber die Ausgangssituation, der Mord an dem Ehemann, sie taucht wohl in Rückblenden auf und wird geschildert, aber niemals erklärt. Besser wär‘ dann das Buch auch kaum geworden, nur anders.
Gil Adamson: The Outlander.
Ecco 2008. 400 Seiten. 18,99 €