„Wir versenden keine Leseexemplare – wir ziehen es vor, einen Vorgriff auf die Zukunft des Buches zu machen:
Seit Montag, 11. August, bis Freitag, 29. August, steht das komplette Buch online. Sie können es hier aufrufen, lesen, sich ausdrucken, abheften, binden, verschenken, verwerfen – was immer Sie wollen.“
Mit diesen Worten verweist der geschätzte Kollege und Edition Köln – Verleger Peter Faecke auf seinen neuen Kriminalroman →„Die Tangosängerin“, und diese“Zukunft des Buches“ sticht einem dabei natürlich ins Auge.
Aber was meint Faecke eigentlich damit? Die Zukunft des Buches als digitale Datei („Die Tangosängerin“ erscheint auch als e-book)? Die Zukunft des Buches als noch immer Druckwerk, dem sein digitaler Zwilling zu Werbezwecken beigesellt ist? Letzteres wohl. Denn nichts will der Autor weniger als einen digitalen Bestseller ohne Umsatz, während die Druckwerke im Keller verstauben. Und so falsch liegt er damit auch nicht. Noch leben wir in Zeiten, da Bücher in die Hand genommen werden wollen. Die wenigsten schnappen sich ihr Lesegerät und ziehen sich einen mehrhundertseitigen Text durch die Augäpfel. Die Gewichtungen werden sich sicher noch verschieben, aber das wird dauern.
Ich habe früher auch geglaubt, die Zukunft des Buches läge im Digitalen, genauer: im Multimedialen. Dass ich von diesem Glauben abgekommen bin, hat mehrere Gründe. Erstens: Ich kenne mich zufällig ein wenig in diesem Metier aus und weiß, dass Anspruch und Wirklichkeit oft auseinander klaffen. Zweitens, und dieser Grund ist viel wichtiger: Wer etwa einen Krimi multimedial kreieren will, muss nicht nur schreiben können. Er muss auch wissen, mit welchen Möglichkeiten er was umzusetzen gedenkt, die Konzeption wird eine gänzlich andere, der Text nicht mehr nur „Story“, sondern Teil eines größeren Ganzen, das weit über die heute üblichen Formen und Intentionen des Schreibens hinausreicht.
Natürlich, Versuche gibt es. Mir ist aber noch keiner begegnet, der es wert gewesen wäre, sich intensiv mit ihm zu beschäftigen. Meistens artet das Ganze ins Spielerische aus („Such das Indiz und klick drauf!), versumpft im Multiple-Choice-Elend („Welches der vier Alibis ist falsch?“) oder wähnt sich irgendwo zwischen Hörspiel, Videoclipperei und karger Drehbuchprosa.
Nein, auch das wird noch dauern. Und eins sollte man nicht vergessen: Multimediale Krimis werden keine Bücher mehr sein können. Und einen weitaus größeren Zeitaufwand erfordern. Und Programmierkenntnisse resp. jemanden, der welche hat und zur Verfügung stellt, was die wenigsten nur für Gotteslohn tun. Aber die Möglichkeiten gibt es schon. Es bleibt also spannend.
Ich habe mich vor ein paar Jahren auch mal mit dieser Hypertext- Literatur beschäftigt und kann dir nur zustimmen: Spielerei, ja, nett. Aber gute Literatur ist da nicht bei rausgekommen. Die passiert immer noch nur im Buch. Und ich glaube inzwischen auch nicht, dass sich das ändern wird. Nicht in den nächsten dreißig Jahren.
Nun, technisch sind wir heute wesentlich weiter als Hypertext, der in seinen besten Momenten vielleicht die Technik eines Joyce, eines Schmidt, eines Nabokov SIMULIEREN könnte (aber nicht erreichen oder gar übertreffen). Der Einsatz multimedialer Mittel (Video, Audio, Grafik, Text, Animation, Datenbankbasierung, Interaktion) befindet sich nach wie vor im Teufelskreis des Spielerischen. Und was man meistens vergisst: Bücher sind von Natur aus multimedial, weil sie im Leser ebenfalls Filme, Töne, Bewegungen, Emotionen, Interaktionen auslösen. Die sind individuell verschieden (womit wir fast wieder bei der Rezensionsthematik und den „Regeln richtigen Lesens“ wären)und genau das ist die Krux von Literatur. – Aber wer weiß: Vielleicht kommt irgendwann jemand und zeigt uns, dass wir zu pessimistisch sind…
bye
dpr
Ich sehe das ähnlich skeptisch. Wenn man einen Kriminalroman (oder jedes beliebige, erzählende Buch) multimedial, am besten interaktiv, umsetzen wollte, käme man recht bald auf einen Aufwand, der bei der Produktion hochwertiger PC – Games schon jetzt notwendig ist. Damit erledigen sich dann nicht nur etliche Vertriebswege, etwa ebook – Reader, inklusive kindle, oder pdfs, sondern vermutlich auch der Preisvorteil, den ebooks bislang haben (mal abgesehen davon, daß in D und A erst einmal einige offene Fragen hinsichtlich der Buchpreisbindung geklärt werden müßten). Dann muß man bedenken, daß ein Autor, zumindest wenn er sein jetziges Selbstverständnis als weitgehend autonomer Gestalter seines „Kunstwerkes“ beibehält, in den Produktionsprozeß aktiv eingebunden werden müßte, was ihm vielleicht höhere Einkünfte beschert, ihn allerdings andererseits von seinem eigentlichen Tun, dem Schreiben, zeitweise abhalten dürfte. Oder aber der Begriff der Autorenschaft änderte sich und das Wohl und Wehe eines Werkes läge von dort an in den Händen mehr oder weniger cleverer Mediengestalter, kaum noch im Vermögen und der Originalität des Schreibers. Noch eines gilt es zu bedenken : digitale Speichermedien, von der CD – Rom über die heimische Festplatte oder das externe Lesegeräte bis hin zu web – Servern sind derzeit nur begrenzt – und im Vergleich zu heutigen Büchern recht kurz – haltbar, dazu noch abhängig vom Gesundheitszustand der heimischen Anwendertechnik.
Ich frage mich, warum „Spielerei“ hier so negativ konnotiert ist. Genau darin läge für mich der Reiz. Und ich möchte einmal hypothetisieren, dass gute Literatur und „Spielerei“ keine Widersprüche sind.
Paulus Hochgatterer wurde bei einer Lesung einmal gefragt, wie denn seine Geschichte („über Raben“) ausginge und er hat gesagt, das hänge von der Bosheit des Lesers ab. Und das ist ein Papierbuch. Durch interaktive Medien könnte man diese Idee doch noch weiter ausbauen. Dass der Verlauf der Geschichte von der Bosheit des Lesers abhängt. Der Leser also mitverantwortlich für das Schicksal der ProtagonistInnen. Ja, eine Spielerei. Fasziniert mich aber, der Gedanke.
Die negative Spielerei war bei mir im Gegensatz zu ernsthafter Literatur gemeint. Die ja auch oft spielerisch daherkommt. Aber nicht so entstanden ist.
Mit Spielerei meinte ich, dass die Autoren ein bisschen technisch herumspielen und witzige Sachen erfinden (damals – wie gesagt: viele Jahre her) war’s der Hyptertext), aber die Literatur als Literatur nicht ernst nehmen, das heißt: sie haben, wie viele junge Bildende Künstler, keinen ernsthaften Inhalt, den sie rüberbringen könnten. Und dann bleibt es eben bei der technischen Spielerei.
dpr erwähnt es schon: Man bräuchte jemanden, der sowohl technisch versiert als auch ein guter Autor ist. Und den guten Autoren reicht eben immer noch das Papier, sonst wären sie keine guten Autoren. Also ein neues Künstler-Autoren-Wesen.
Mir ist in den letzten 10 Jahren keiner begegnet, der das wäre.
hmmm, ich weiß ja nicht: der Ausgangspunkt war doch, daß ein Verlag die Druckvorlage eines Buches (das ganz konventionell erzählt ist) für die Bildschirmlektüre anbietet, oder? Ich kann dem keine kulturpessimistische Perspektive abgewinnen — im Gegenteil: mir ist Bildschirmlektüre oft angenehmer als Buchlektüre, vor allem dann, wenn ich als Nichtnurleser lese, dann erspare ich mir am Bildschirm einen guten Teil der händischen Verarbeitung von Anstreichungen und Anmerkungen. Ich bedauere es, daß es bei vielen Texten, bei denen dies möglich wäre, keine verläßlichen, zitierfähigen Ausgaben bereitstehen (und erinnere mich mit Schrecken an einen Kleist-Aufsatz, für den ich ganz zum Schluß für die Druckvorlage meine Zitate aus der DigiBib mit den Texten der Klassiker-Ausgabe und der BBA vergleichen mußte …). (Wenn ich übrigens Eva Herman wäre, würde ich, statt über Autobahnen, über die Abschaffung der Fraktur schwadronieren.)
Vor zehn oder fünfzehn Jahren war auch von einer Revolution der Editionsphilologie die Rede. Das ist zu einem großen Teil eingetroffen, aber ohne daß sich die ‚Oberfläche‘ dramatisch verändert hätte.
Also: zurücklehnen, zuschauen, auf den Tod warten. Uns werden die Bücher eh überleben.
Beste Grüße!
Oh, ich habe überhaupt nichts gegen das Spielerische! Im Gegenteil. Wie Georg ja schon gesagt hat, ist es ein Teil der Literatur. Bei sämtlichen mir bekannten multimedialen Versuchen beschränkt sich der „Mehrwert“ gegenüber dem Buch allerdings darauf, den Leuten via Interaktivität die Illusion zu vermitteln, sie könnten selbst durch spielerisches Handeln an der Story teilnehmen. Bei Krimis etwa dadurch, dass man Fragen nach dem Multiple-Choice-Prinzip beantwortet oder irgendwie durch planloses Herumklicken einen verborgenen Dolch o.ä. findet. Das potenziert die ja schon alltägliche Banalität des bloßen Wer-Wars?, Krimi als Rätselspiel. Okay, wers braucht. Aber das schöpft die theoretischen Möglichkeiten natürlich bei weitem nicht aus. Die allerdings erfordern eine andere Herangehensweise. Der Autor muss seinen „Text“ anders organisieren, es ist also ein völlig neuer Schaffensprozess. Das nun ist nicht neu. Ein Joyce musste auch anders arbeiten als etwa ein traditioneller Erzähler. So gesehen werden wir, was ernsthafte multimediale Literatur angeht, wohl auch dort in hundert Jahren nur drei, vier gelungene Versuche zu erwarten haben.
bye
dpr
Da sind wir uns ja völlig einig, lieber JL, und ich preise die Möglichkeiten der Digitalisierung jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen. Aber es bleibt ein ungelöstes Problem: Wenn der e-book-Markt boomt, und zwar auf Kosten des Druckmarkts, versteht sich – wie sieht es dann mit den Erträgen aus, den Honoraren? Ein Buch kann ich zwar auch kopieren, aber wer kopiert schon ein ganzes Buch, es sei denn, es kann es nicht in der nächsten Buchhandlung käuflich – und zumeist billiger – erwerben? Eine Datei kann ich problemlos kopieren, Kopierschutz hin und her, die sind schneller geknackt als ich „verboten!“ sagen kann. Fragen Sie mal den Musikmarkt. Für viele Druckerzeugnisse mag das unerheblich sein, für wissenschaftliche Literatur etwa, bei der es mir auf die Verbreitung ankommt und nicht auf die meist eh kärglichen Honorare. Aber als Romanautor, der vielleicht den kühnen Gedanken hegt, irgendwann einmal von den Revenuen seiner Stahlfeder (Zitat?) leben zu können? Also da kommt noch was auf uns zu. Zumal ich als Autor nicht wie eine Rockgruppe durch die Stadthallen touren und T-Shirts verscherbeln kann.
bye
dpr
Gute Idee
* subskribiert auf ein dpr-T-Shirt
Wann sind deine Lesungen hier herum?
ach lieber dpr, ich würde es Ihnen ja so gönnen, daß Sie von Ihren Romanen und wtd leben könnten (ich würd‘, könnte ich dazu beitragen, sogar ‚Menschenfreunde‘ kaufen und zu den vielen ungelesenen Büchern stellen, die ich mir für’s rapide nähernde Alter aufbewahre, das mich dann vermutlich leseunfähig antreffen wird; die Makro-Scoop-Subskription ist eh abgeschrieben). Aber das waren doch immer die seltenen Ausnahmen, die die Regel bestätigen, auch heute, auch in der ‚marktgängigen‘ Literatur. Und immer war dann die Voraussetzung, daß alle Medien bedient werden konnten — übrigens auch die der ‚grauen‘ Märkte der halb- oder illegal hergestellten Nach- und Raubdrucke. Auch in den letzten fünfzig Jahren konnten die wenigsten erfolgreichen (Krimi-)Autoren auf Drittmittel (Job, Ehepartner, Preise etc.) verzichten.
Beste Grüße!
Das ist wohl wahr,lieber JL,und sehr nett, dass Sie sogar „Menschenfreunde“ kaufen würden (es gibt jetzt übrigens ZWEI letzte Exemplare bei Amazon! Und ich bin aus den besten 200.000 rausgerutscht, sogar ohne e-books!). Und ob Sie macroscoop abschreiben können, ist noch nicht sicher, ich bin am Überlegen.
Aber es geht hier nicht primär um mich, sondern, hört, hört, ums Prinzip: Wenn man schon für ein Butterbrot arbeitet, dann sollte es wenigstens keine Margarine sein.
bye
dpr
* subskribiert auch deine Butter
** würde auch deine Margarine subskribieren
im Prinzip … wäre jetzt die Fettsack-Rez. fällig! (Es sei denn, Sie schauen vorher noch „Son of Frankenstein“.)
Beste Grüße!
Ich suche eigentlich eher jemanden, der mir die Wurst subskribiert, so nen Mä-5. Und natürlich gibts die Fettsack-Rezi erst, wenn Menschenfreunde wieder unter den besten 20.000 steht!
bye
dpr
* subskribiert dir Käse
** erkennt fast alle Zitate