Eine kurze Notiz über das Lesen von Kriminalromanen

„Sie wünschen – wir schreiben“ versprachen wir gestern an dieser Stelle. Unsere Leserin Frau Krimi aus Österreich wollte wissen, warum Menschen eigentlich Krimis lesen. Kein Problem. Diplomphilosoph Darius Pjotr Radunzki, der das wtd-Team in existentiellen Fragen („Wer darf mit den Mädels in den Whirlpool?“) berät, hat sich so seine Gedanken gemacht. Gestern. Beim Kaffee. Zwischen 14.45 und 14.49 Uhr. Wir stellen sie im Folgenden zur Diskussion.

ie Frage, warum Menschen lesen, ist eine der leichtesten überhaupt. Weil ihnen ihre Welt nicht genug ist. Aber Krimis? Ausgerechnet Krimis? In Ordnung: Dort gibt es eine andere Welt, die zu betreten einem im wirklichen Leben nicht einfiele, die Welt des Verbrechens, des Unglücks, der Tragödie.

Das ist ja nun keine Welt, die isoliert zur eigenen kleinen, überschaubaren existierte. Verbrechen, Unglück, Tragödie umgeben uns, ob wir wollen oder nicht, sie liegen wie ein ferner Schleier über allem, glauben wir, aber wer es eben nicht glaubt, dass dieser Schleier ÜBER einem liegt (und nicht längst in einem weht) und schon gar nicht so fern ist, wie man glauben könnte, der liest Krimis, weil er das Verbrechen, das Unglück, die Tragödie in ihrer ganzen Unmittelbarkeit, ihrer ganzen Kraft erleben möchte. Das sind die einen. Die anderen lesen Krimis, weil sie den Schleier zerrissen sehen wollen. Es gibt Verbrechen, Punkt. Sie werden aber aufgeklärt, Punkt. Sie sind definierbar, und was ich definieren kann, beherrsche ich, das ist harmlos, das schrumpft auf seine Abstraktion zusammen, auf Spannung.

Wir haben also zwei Arten von Krimilesern: Die, die sich die Verbrechen nahlesen, in ihre Welt holen, und die, die sie sich fernlesen und aus ihrer Welt verbannen, bis nur noch das pure Gaudium übrigbleibt, der Schleier zur Gänsehaut geworden ist. Pierre Bayard würde vielleicht sagen: Okay. Die einen, die Fernleser, holen sich die Figuren und Handlungen der Krimis aus diesen heraus, das sind dann quasi die Immigranten der Fiktion, die in die Wirklichkeit des Lesers flüchten und dort wie Falschgeld herumlaufen, Figuren und Taten in einem neckischen Spielchen werden, Täter-Opfer-Ermittler, und das Spielchen hat seine überschaubaren Regeln und wenn es vorbei ist, verschwinden die Figuren und ihr Tun wieder im Buch, das zugeklappt und zu Ungunsten des nächsten vergessen werden kann.

Die anderen, die Nahleser, begeben sich in das Buch hinein. Sie vermengen ihr Dasein mit dem der Fiktionalität, sie machen die erfundenen Verbrechen zu den tatsächlichen, sie agieren manchmal gegen die Handlungsführung des Autors, es ärgert sie, wenn der Täter seine gerechte Strafe und der Detektiv die kühle Blonde bekommt, denn dann wissen sie, dass man sie belügt. Wenn das Buch zu Ende ist, begeben sie sich zurück in ihre Wirklichkeit, und jetzt ist passiert, was in guter Literatur immer passiert: Diese Wirklichkeit hat sich verändert.

Nein, möglicherweise ist doch alles ganz anders. Möglicherweise gibt es noch eine dritte Gruppe von Lesern, die Nahfernleser. Ganz vertrackt. Sie sind die Mehrkämpfer unter den Lesern, sie wollen das Böse erkennen und gleichzeitig bannen, sie wollen vergessen und gleichzeitig erinnert werden, sie wollen euphorisch sein und gleichzeitig deprimiert. Ich haue mir also zufrieden auf die Schenkel,lache, schnalze mit der Zunge – und derweil sitzt mein Verstand ernüchtert und desolat in mir drin. Das ist beinahe ein Fall für den Psychiater, die Psychiaterin. Oder: einfach nur ganz normal?

2 Gedanken zu „Eine kurze Notiz über das Lesen von Kriminalromanen“

  1. So, so. Ürgendwie scheint diese schematische Aufteilung nicht so recht zu greifen. Einfacher (und schwieriger) wäre es, wenn man sich überlegte: Warum lese ich? Warum lese ich gerade Krimis? Wobei ich ja wieder rausfalle, weil ich ja alles lese, was mir in die Finger fällt. Und sei es auch nur der Anfang und in der Mitte ein bisschen und hinten – wenn ich merke, dass ich’s grausig finde. Dann lese ich nämlich nicht das ganze Buch. Aber genremäßig bin ich da ganz frei.

  2. Ja, das ist schön prägnant und plausibel. Wenngleich mir die psychometeorologische Dimension tatsächlich zu kurz kommt. Vielleicht hätte ich Herr Radunzki doch bis 14:50 Zeit nehmen sollen.

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