Drei Gesänge

Die „Menschenfreunde“ geistern noch durch die Rezensentenkammern, da arbeitet der Autor auch schon am nächsten Opus. Es trägt den Arbeitstitel „Arme Leute“ und hat jetzt einen Untertitel bekommen: „Ein Kriminalroman in drei Gesängen“. Äh… drei Gesänge? Das klingt ein wenig abgehoben, ätherisch fast, jedenfalls irgendwie nach Reimzwang. Dabei ist es einfach nur ein Kriminalroman, der aus drei Ich-Perspektiven (nicht durch-, sondern nacheinander) erzählt wird. Und abgehoben? Nu, sagen wir eher: mit der Nase im Dreck. Hören wir kurz in den zweiten Gesang hinein, die Sängerin heißt Gelika, ist Ende Dreißig / Anfang Vierzig, das, was man ein „Flittchen“ nennen könnte oder, moderner, „eine Sozialschwache“. – Der folgende Textauszug ist unkorrigiert.

„Du halluzinierst, Kleine“: Freddie, tätowiert, notorisch „auf Montage“, kleiner Wortschatz, ein Fremdwort, Vater meines Sohnes, aus dem Staub gemacht wie die anderen auch, den kann mir Gott sei Dank kein Halluzinieren zurückbringen. „Du halluzinierst, Kleine“: zwischen den Zahnlücken rausgegrinst, ständig, wenn ihm die Argumente ausgingen – nee, dann hätte er ja irgend wie und wann eins haben müssen – wenn ihm die Kleine aufn Sack ging, mit Dosenbier vorm Kasten, mit Stinkesocken im Bett, und wahrscheinlich ist da was dran, wahrscheinlich hat bei mir ALDI-Gemüseeintopf mit Wursteinlage den LSD-Effekt gehabt, immer diese schmierigen Typen mit ihrem noch schmierigeren Dreck, den sie in mich reingerieben haben, sie war doof, er war doof, das erste Kind konnten sie wegwerfen. Aber nee: Das nu nicht. Keine genetischen Katastrophen.

Du ha… Ich halluziniere nicht. Jedenfalls nicht JETZT. Jemand hat an der Tür geklingelt, zweimal lang, zweimal kurz, als wärs ein Geheimzeichen. Mitten in der Nacht. Wecker, was sagst du? Zwanzig nach drei. Geträumt? Hm, ja, nee. Gespannt mit gebremster Atmung in die Dunkelheit lauschen, in die Stille. Da. Zweimal lang, zweimal kurz. Glaub bloß keiner, dass ich aufmache! Oder?

Licht an, flugs aus dem Bett, ans Fenster, das aufreißen, Kopf raus, Titten hinterher (man kann nur nackig schlafen bei dieser Sauschwüle), runtergeschaut, nichts. Niemand. Nirgends. Ein „Du Arschloch!“ in die Nacht geschrieen, prallt schon von der Fassade gegenüber zurück. Rein, Fenster zu, ins Bett, Licht aus.

Warten. Zwei Minuten. Klaro, nichts mehr. Ich könnte ja hinterm Fenster lauern mit nem Topf heißem Wasser (woher sollte ich das auf die Schnelle nehmen, hä?), beim ersten Klingeln Fenster auf und runter mit der Pracht. Weiß ja jetzt, der oder die, dass ichs gehört hab, wach bin und warte, mit einem panisch schlagenden Herz in der Brust.

Und dann klingelt das Telefon. Hätt man sich denken können. Ich zieh den Stecker raus, Ruhe. Wieder warten. Und dann kracht oder haut was gegen die Haustür. Auf, Fenster, runtergeguckt: ein Stein liegt da. Kein Mensch zu sehen. Schritte? Oben ums Eck? Autotür? Bin mir nicht sicher. Schitt.

Halb vier. Ich zieh mir was an, das Zeugs von gestern, ich geh runter, mach überall Licht. Was zum Draufhauen. Schürhaken hat man ja nicht mehr, leider. Nudelholz. Vergisses. Terrassentür auf. Wenn er hinterm Haus ist, müsste er über die Mauer geklettert sein. Messer in der Hand. Also ich jetzt. Er hoffentlich nicht. Er? Sie? Vorsichtig umgucken. Nebenan bei Klaus – nee, is ja jetzt auch meins! – steht die Terrassentür nen Spalt offen, mir fällt zum Glück ein, dass ich das war wegen Durchlüftung. Rübergehuscht. Licht in der Küche. Möglichst Lärm machen. So tun, als hätte man ein Handy am Ohr, „Polizei? Könnten Sie mal vorbeikommen? Da ist einer!“ reintuten.

Stehenbleiben, Atem anhalten. Messer in Position. Wenn der jetzt plötzlich von irgendwo rausspringt, kriegt ers zwischen die Rippen gerammt. Nichts.

Ich koch mir jetzt nen Kaffee. Leck mich doch. Okay, Terrassentür vielleicht zu, Fräuleinchen? Schicksal nicht herausfordern, gelt? Ein dunkler Morgen in dieser Küche, allein, nicht wie damals mit Cordula – nee, da wars nicht so früh, da wars höchstens eins und nicht ich hatte Schiss, Cordula hattes. Bloß ich dumme Kuh… was hatte ich auf der Terrasse zu suchen? Wo bin ich eigentlich hergekommen so spät? Die Kinder schliefen, die Mamma hatte sich vergnügt, ganz züchtig ohne den üblichen Ausklang auf irgendeiner versifften Matratze. Und drüben in der Küche Licht. Klaus, wusst ich ja, in Frankreich, „Eheurlaub“, „Krisenbewältigung“, Licht in der Küche also, ich zwei Schritte auf die Terrasse gemacht, schon beginnts nebenan zu kreischen, „Hau ab! Ich ruf die Polizei!“, Cordula.
Nanu? Verrückt geworden, Schätzchen? Sags ungern: Aber der Gedanke gefiel mir, dass Cordula in die Klappse abtransportiert werden würde, am besten in Zwangsjacke. Okay, sie hatte mirn paar Tage vorher nen Fünfziger zugesteckt, ich bin ja immer klamm, aber so klamm selten gewesen. „Für deine Kinder, die können ja nichts dafür.“ Okay, hätt ich hingenommen, war ja korrekt. Auch wie sie mich dabei angeguckt, mir den Schein hingehalten, in die Hand geknüllt hat, die Finger konnt ich nicht krumm machen, das hat sie dann auch getan, ein Fingerchen nach dem andern, „damit dus nicht verlierst. Kauf deinen Kindern morgen was Anständiges zu fressen, koch mal was“, als würde ich nie kochen, als würden meine Kinder hungern, als müsste ich nicht diesen verfluchten Schulausflug damit bezahlen undundund.

Hätt ich hingenommen. Ist der Preis, ja? Aber dann hat sie mir auf den Bauch gepatscht – was hab ich eigentlich getragen an dem Tag? Wars schon kalt draußen? Nee, nich wirklich. Shirt. Und da patscht die mir mit ihrer Hand – an jedem Finger mindestens ein Ring – auf den Bauch, so abschätzend und abschätzig, prüfend, und sagt, nee, nicht ironisch, zynisch: „Pass überhaupt mal auf, dass dir den keiner mehr dick macht, jedenfalls keiner von deinen asozialen Stechern. Ich kenn einen Witwer, der würde sogar dich und deine Bälger ernähren, wenn er dafür einmal die Woche randürfte. Überleg dirs. Ich vermittle.“

20 Gedanken zu „Drei Gesänge“

  1. An meinen „Ulysses“? Nie (als Ergänzung zu dem nichts, niemand, nirgends) und nimmer. Außerdem muss es „in III Gesängen“ heißen. Mindestens.

    Aber im Ernst: Das ist immer noch etwas redundant. Mach’s noch schärfer, kürzer, bissiger. Gerade bei so einer bissigen Stelle.

  2. @Henny: Weiß ich doch. Aber hat er auch Titelschutz? Siehste. Außerdem: Arbeitstitel.
    @James: Nee, eben nich. Redundanz gehört dazu beim Singen, das ist wie der Refräng. Wenn ich bei Gelika die Redundanzen rausnehme, singt sie nicht mehr, sondern wird gesungen.
    @54: Klau doch. Aber erst,wenn du 51 heißt.

    bye
    dpr

  3. Dann musst du den Roman so gut hinkriegen wie Wagner, dessen Werk wohl das redundanteste ist, das es gibt: „Siegmund heiss ich und Siegmund bin ich!“ Schudder.

    In diesem Sinne: „Des seimigen Metes süssen Trank mögst du mir nicht verschmähn.“

  4. Ich plädiere dafür, den Titel dieses Blogs in „Watching dpr“ umzubenennen, weil es in jüngster Zeit nur noch selten mit der Krimiszene zu tun hat, sondern nur mit der Selbstdarstellung des Herrn dpr. Gähn!

  5. Ach, wissen Sie, lieber Krimileser,
    1) stimmt es einfach nicht, dass hier „nur noch selten“ über „die Krimiszene“ geschrieben wird. Sie haben zudem übersehen, dass es seit einigen Monaten eine Neuerung bei wtd gibt, eine „Zeitschrift“, die jeden Monat erscheint und zwischen 17 und 20 Seiten umfasst.
    2) haben Sie natürlich recht: Ich habe momentan ein „Produkt“ auf dem Markt (und weitere werden folgen). Dieses Produkt ist in einem kleinen Verlag erschienen, der nicht auf der Buchmesse plärren kann, dessen Erzeugnisse nicht in Buchhandlungen stapelweise rumliegen etc. Aber irgendwie will man sein Zeugs ja an den Mann, an die Frau bringen, richtig? Schön, wenn man sich dann in jahrelanger Arbeit ein Podium erarbeitet hat, auf dem man ein bissel Werbung machen kann. Was ist dagegen einzuwenden? Soll ich in falsche Bescheidenheit verfallen und mir sagen, okay, kleiner Verlag, keine Reklame, kann ruhig so bleiben?
    Natürlich sind mir die Meinungen der LeserInnen zu diesem Thema wichtig, weil es ziemlich unsinnig wäre, für genervte Leute oder nur noch für eine Handvoll zu schreiben. Ich nehme das alles interessiert zur Kenntnis und entscheide dann, ob und wie es weitergehen kann.

    bye
    dpr

  6. es stimmt gar nicht. man muss sich nur die letzten zehn einträge anschauen. außerdem werden die rezensionen ja WENIGER.

    *stellt sich a u c h selbst dar
    **dreht sich im spiegel

  7. Na, na, spindeldürre 53! Ich erwarte schon noch einiges! Und dann kommen schon die begeisterten Rezis für den ersten Band der „Criminalbibliothek 1850 – 1933“! – Und am 16. auf der Messe bist du gefälligst auf 49!

    bye
    dpr

  8. @Dr.K. – ich bitte doch nachdrücklich, mein © zu respektieren: Watching dpr heißt MEINE Favoritenkennung für wtd!!! Nutzungsrechte gegen (ex-und-hopp-orbitantes) Entgelt gern verhandelbar… Nifug – P.

  9. – was ich hiermit bestätige. Frau B. hat die Lizenz für teuer Geld bei mir erworben, diesen Blog watching dpr zu nennen. Allerdings, liebe Pieke, glaube ich nicht, dass der oben vorstellig gewordene Krimileser unser Dr. K. ist. Ach was, ich weiß es! Mein Dr. K. hätte mit Berndt gezeichnet und keine Phantasie-Email angegeben. Morgen gibts dann wieder watching the detectives, weil dann endlich einmal wissenschaftlich geklärt wird, was Krimi eigentlich ist. Also nix watching dpr und damit auch nicht abwatsching dpr. Wenn mich aber heute noch einer ärgert, gibts morgen die Auflistung meiner gesammelten Befindlichkeiten der letzten vier Monate.

    bye
    dpr

  10. Ach was! Du möchtest doch nur hören: Dpr hat die letzten Monate nur an Anobella gedacht, an diese – inzwischen hoffentlich – formvollendeten 51,5 Kilo purer Ästhetik und funkenschlagenden Esprits… Du möchtest nicht hören: Dpr hat sich mehrmals über die Müllabfuhr aufgeregt, die seinen Mülleimer nach erfolgter Leerung einfach so auf der Straße hat stehen lassen oder mit der nachbarlichen Mülltonne vertauscht hat, so dass er mit der netten Nachbarin (höchstens 47 Kilo) in einen gewissen Händel geriet, die Besitzverhältnisse von Mülltonnen betreffend („MEINE hat ne Macke hier unten! Sehen Sie?“). Das will doch kein Mensch wissen. Nicht einmal die fast schon skelettierte (50 kg) Anobella.
    Nee, morgen gibts „Crime Camp 2008“, die neue Fortbildungsveranstaltung bei wtd. Bei erfolgreicher Absolvierung schönes Zertifikat, das zum ermäßigten Eintritt zur Buchmesse und diversen Krimilesungen ermächtigt.

    bye
    dpr

  11. @Dr.K. – ich bitte doch nachdrücklich, mein © zu respektieren: Watching dpr heißt MEINE Favoritenkennung für wtd!!! Nutzungsrechte gegen (ex-und-hopp-orbitantes) Entgelt gern verhandelbar… Nifug – P.

    Sehr geehrte Frau Biermann,

    Ich habe es befürchtet. Aber der Begriff Krimileser ist leider nicht geschützt und kann deshalb auch – wie in diesem Fall, und wie von dpr anhand digitaler Kennungen zu ersehen – von anderen verwendet werden.

    Dieser Kommentar entspricht nicht meinem Stil. Davon abgesehen, habe ich in der Vergangenheit wiederholt meine Sympathie für die Selbstbezüge in guten (ausbalancierten) Autorenblogs geäußert – ich verweise da zum Beispiel auf den brillanten Blog Crime Always Pays von Declan Burke.

    Zum Ausgangspunkt ein Satz. Möglicherweise besteht hier ein Wahrnehmungsproblem, da dprs sehr gute Besprechungen eben separat erhältlich sind, werden sie nicht mehr so als Teil des Blogs wahrgenommen, deshalb (und zudem) erfolgt auch im Blog keine Diskussion dieser.

    Beste Grüße

    bernd

    * der die exorbitanten Finanzwünsche exorbitanter Autorinnen eh nicht befriedigen könnte.

  12. Och nee, Mönsch, lieber Dr.K. – ich hätte doch meinen Augen vertrauen sollen und nicht den unergründlichen Eigenmächtigkeiten der Digiwelt. Ich hatte nämlich durchaus gesehen, dass „krimileser“ nicht grün und klickbar da stand, das aber auf letztere geschoben… Sorrysorrysorry und trotzdem noch einen schönen Sonntag!
    P.

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