Michael Collins: Tödliche Schlagzeilen

Bevor am Ende von „Tödliche Schlagzeilen“ das große Geheul ausbricht und die vor dem Zubettgehen notorisch schmökernde Krimimimi die Schwarte gen Frisierkommode feuert, verrate ich dieses Ende lieber. Also: Der Mörder von Ronny Lawtons Vater wird nicht ermittelt. Stattdessen heißt es im Epilog: „Sie fragen sich immer noch, wer Ronny Lawtons Vater umgebracht hat? Genausogut könnten Sie sich fragen, welches spezifische Ereignis die Schließung unserer Fabriken und den Tod unserer Stadt zur Folge hatte. (…) Wer ist daran schuld, dass wir unsere Produktionsstätten im Stich gelassen und nicht länger Dinge mit unseren Händen erschaffen? Es gibt unzählige Verdächtige, aber zu einer Verurteilung wird es vermutlich niemals kommen.“

Ein merkwürdiges Stück Kriminalliteratur für jene, die sich vom wie gehabt reißerisch schwachsinnigen deutschen Titel zum Kauf animieren ließen, wo es der Originaltitel des im Jahre 2000 erstveröffentlichten Buches doch weit besser auf den Punkt bringt: „The Keepers of Truth“. Die Hüter der Wahrheit sitzen in der Redaktion des Zeitungsblättchens „Daily Truth“ einer ehemaligen Industriestadt inmitten der großen Prärien, zwei ältere Herren ohne Illusionen und der junge Bill, ambitioniert, durch und durch vergeistigt, Nachkömmling eines Kühlschrank-Fabrikanten und eines Vaters, der sich – von persönlicher wie wirtschaftlicher Depression zermürbt – das Hirn aus der Schale geschossen hat. Nichts tut sich. Man berichtet, während alles den Bach runtergeht, von Schulsport und Hausfrauenaktivitäten, Bill möchte weg, vielleicht Jura studieren, aber das schafft er einfach nicht. Seine Freundin hat längst Leine gezogen, heiß und staubig ist es obendrein.

Und dann geschieht doch etwas: Ronny Lawtons Vater verschwindet. Man findet einen Finger von ihm, der Sohn – Hilfskraft in der Küche eines Fastfood-Restaurants – gerät in Verdacht. Vater und Sohn mochten sich nicht, haßten sich sogar. Bill, wie euphorisiert, schreibt einen Sensationsbericht nach dem anderen, wird sogar überregional abgedruckt. Derweil Ronny, dem nichts zu beweisen ist, sich zu einer Art Popstar für die gelangweilte Jugend des Städtchens entwickelt und seine Show abzieht. Schließlich versandet die Geschichte. Bis Bill Ronnys Exfrau Teri kennenlernt, ein Geschöpf, das jeder Dummbeutel in deutschen Talkshows zielsicher als „sozialschwache Unterschichtenvertreterin“ identifizieren würde. Bill verliebt sich in Teri. Gleichzeitig wird er den Verdacht nicht los, dass sie selbst etwas mit dem Verschwinden und der offensichtlichen Ermordung von Ronny Lawtons Vater zu tun haben könnte.

Aber man muss nicht bis zu Collins‘ Epilog warten, um herauszufinden, dass es in seinem Roman um ganz andere Verbrechen als die genreüblichen geht. Die Ermordung einer Stadt, das langsame Sterben der Zurückgebliebenen, ihre Versuche, sich aus dem Elend in bessere Welten zu träumen, die aus merkwürdigen Frisiersalons oder Prospekten hübscher Seniorenheime in Florida oder einer Urkunde „Angestellter des Monats“ bestehen. All das erzählt dieser Roman, und er erzählt es ebenso illusionslos wie elegant, er berichtet von den Verrenkungen, die man vor dem Tod macht, von der Verwandlung von Verzweiflung in komödiantisches Grimassenschneiden, er zählt von Amerika, dem Kapitalismus, aber nicht nur. Am Ende haben wir das, was wir in solchen Situationen immer haben: viele Verdächtige, keine Täter, die abzuurteilen wären.

Doch, man kann „Tödliche Schlagzeilen“ von 2000 auch als Kommentar zu 2008 lesen. In vielem ist er Analyse dessen, was schon passiert ist, in manchem Vorschau auf das, was noch passieren wird. Und bei diesen Aussichten ist es wirklich völlig nebensächlich, wer Ronnys Vater ermordet hat. Wer nicht partout wissen muss, wer’s denn nun war, wer aber wissen will, um was es eigentlich geht, lese dieses Buch.

Michael Collins: Tödliche Schlagzeilen 
(Original: "The Keepers of Truth", 2000, deutsch von Eva Bonné).
Btb 2008. 381 Seiten. 9,00 €

2 Gedanken zu „Michael Collins: Tödliche Schlagzeilen“

  1. beim Duchblättern war ich mir nicht sicher, ob ich die seltsam nostalgischen Perspektiven auf die Zeiten der ’schönen‘ Industriearbeit goutieren sollte („Our men used to manufacture cars, sheet metal, mobile homes, washers and dryers, frame doors, steel girders for bndges and skyscrapers“, gleich S. 15). Aber jetzt, wo Sie’s loben …

    Beste Grüße!

  2. Diese „seltsam nostalgische Perspektive“ ist eine schön ironische. Sie imitiert den hohen Ton von Arbeitsethos und industriellem Fortschritt und konterkariert ihn mit einer sehr prosaischen Wirklichkeit: „Unsere Töchter machen die Beine auf Fabriketagen breit, wo die Arbeiter früher auf Stahl einhämmerten.“ – Vergessen Sie auch nicht, dass der Roman mit einem „Essay“ Bills beginnt (zu dem auch Ihr Zitat gehört), das „Ode an einen Mitarbeiter des Monats“ heißt. Dieser „Mitarbeiter des Monats“ entpuppt sich später als Ronny Lawton… Ganz zu schweigen von anderen „american myths“ im Text (der Großvater Bills war aus dem zaristischen Russland eingewandert und bringt es zum Kühlschrankfabrikanten etc.).

    bye
    dpr

Schreibe einen Kommentar zu dpr Antwort abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert