Ist das der Krimitrend 2008? Autoren, die in ihre Bücher springen, Personen, die aus diesen Bücher heraushüpfen? Irgendwie metaeben, irgendwie dekonstruktivistisch, irgendwie, genau: postmodern. Zuletzt die türkische Autorin →Pinar Kür mit „Mordsfakultät“ – da ists eher schiefgegangen. Jetzt Gilbert Adair mit „Und dann gab’s keinen mehr“ – schon besser. Mit einer klitzekleinen Einschränkung.
Dass Adair ein böser Schelm ist, wissen wir. Mit seiner Detektivin Evadne Mount hat er ein wunderbares Vehikel konstruiert, um Agatha Christie und Alfred Hitchcock auf die Schippe zu nehmen, und wir haben es mit großem Vergnügen gelesen. Jetzt, im dritten Abenteuer der verschrobenen Dame, werden wir überrascht. Das Werk wird in der ersten Person Singular erzählt – und zwar vom Autor selbst, Gilbert Adair, der zu einem Sherlock-Holmes-Festival im schweizerischen Meiringen eingeladen wird, unweit der Wasserfälle von Reichenbach, in die ein seines Helden überdrüssiger Conan Doyle den düpierten Sherlock hat stürzen lassen, um ihn Jahre später unbeschädigt aus dem Wasser zu ziehen, auf dass er den bösen großen Hund zur Strecke bringe.
Jetzt ist Adair natürlich in seinem Element. Allerhand obskures Festival-Personal trifft ein, Adair selbst liest eine Geschichte a la Conan Doyle vor, als besonderer Ehrengast taucht Gustav Slavorigin auf, ein „Skandalschriftsteller“, gegen den rechte US-amerikanische Kreise eine „Fatwa“ ausgerufen haben, hat Slavorigin doch die Nation in einem Pamphlet beleidigt (aus dem Adair genüsslich zitiert…). 100 Millionen Dollar sind auf seinen Kopf ausgesetzt, hinter jeder Ecke kann der zukünftige Multimillionär lauern.
Und wer taucht plötzlich noch auf? Genau. Evadne Mount. Teufel, fragt man sich, geht das auch hier los? Aber man wird angenehm überrascht. Adair findet eine sehr logische und irdische Erklärung für das Zusammentreffen von Autor und Geschöpf. Dann geschieht, was geschehen muss: Slavorigin wird ermordet, Adair und Mount ermitteln.
Das liest sich alles wunderbar, steckt voller Bonmots und hübscher Ideen (wann ist z.B. schon einmal der deutsche Übersetzer eines Autors zu der Ehre gekommen, im Roman mitspielen zu dürfen? Jochen Schimmang tuts.). Und dann kann es Adair mit dem Postmodernisieren eben doch nicht lassen. Ist Mount nicht vielleicht doch kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern, siehe oben, aus der Druckerschwärze in die Empirie gestiegen? Als bloße Spielerei wäre dieser Verdacht ganz nett. Aber im dramatischen Finale – natürlich an den Wasserfällen von Reichenbach – übertreibt es Adair denn doch ein wenig. Nicht, dass auch diese Übertreibungen nicht nett und die Lösung des Falles nicht gewohnt hinterlistig wäre. Es ist halt nur eine Spur zu überkandidelt.
Nun, sehen wir es positiv: Prächtige Unterhaltung liefert das allemal. Meinetwegen postmoderne; man ist ja für alles dankbar.
Gilbert Adair: Und dann gab’s keinen mehr.
(And then there was no one, 2009 – kein Schreibfehler; die Übersetzung ist früher erschienen als die englische Originalausgabe! – deutsch von Jochen Schimmang).
C.H. Beck 2008. 272 Seiten. 18,90 €
„und wir haben es mit großem Vergnügen gelesen“? Haben wir nicht. Wir fanden’s langweilig. Und überkandidelt auch. Ja.
Aber dass er seinen Übersetzer auftreten lässt, ist nett. Aber mehr auch nicht. Auch das: überkandidelt.
Ach was! WIR habens mit Vergnügen gelesen! Auch „Blindband“! Tolles Buch! Bleib du halt bei deinem Bottini und seinen Dämonen!
bye
dpr
wenn’s ein trend ist, hat er sich schon überholt, abgesehen davon, dass nach soundsoviel büchern den effekt verpufft. viel interessanter als diese postmodernen und damit im grunde schon vorauseilend veralteten spielchen (die postmoderne liegt jetzt schon wie lange hinter uns?) fand ich das verlassen der fiktionalen ebene nicht hin zu einer metaebene, sondern ab in die realität, während des lesens, bei fitzek. mal sehen, wer es wie zu kopieren versucht und ob es dann noch einen effekt hat.
Fitzek? Da bin ich mal gespannt… Aber wer wie ich vor dem Eintreffen des Adairbändchens fünf, sechs andere Krimis angelesen und nach maximal drei Seiten angewidert auf den Haufen geworfen hat, weiß einen guten Schreiber schon zu schätzen. Und das ist er. Lass dir da von Dschordsch nix erzählen.
bye
dpr
Klingt gut. Überkandidelt mag ich, obskur mag ich und große Hunde auch.
Was wäre der Fitzek nach Deiner Typologie? Ein Autor, der aus den Büchern anderer Leute springt? Er springt ja im Prinzip aus Harris.
nicht falsch verstehen, ich mag herrn adair sehr gerne (als ob ICH dem schorsch seine meinung …), ich hoffe nur, dass es nicht zum trend wird, weil es im grunde keine neue sache ist.
und natürlich liest sich ein adair schöner als ein fitzek, nicht nur sprachlich. fitzek zielt ja auch auf ein ganz anderes publikum, dem ist es egal, ob es sich hübsch liest und ob die figuren sich wie figuren anfühlen. nur, was ich an seinem seelenbrecher sehr hübsch fand, war, dass er in der rahmenhandlung eine testsituation beschreibt, in der sich der leser plötzlich selbst wiederfindet. soll ich das ausführen? ich mag ja keinem die spannung nehmen. aber vielleicht wissen’s eh schon alle. ich meine das post-it.