Verdrängungsprozess

Ich schaffs einfach nicht, Val McDermids „Schleichendes Gift“ weiter zu lesen. Okay, kein Wortspiel, kein „Schleichende Betäubung“, „Schleichende Langeweile“. Aber dennoch: Die Vorstellung, auch noch den zweiten Teil des Buches lesen zu müssen, ist nichts Schönes.

Also Ablenkung. Ein gewisses Schuldgefühl sitzt ja schon in einem drin. Gib ihr noch eine Chance. Langsam muss sie in die Gänge kommen. Ist doch immerhin Val McDermid, eine für den „Ripper Award“ Nominierte. Ich brings aber nicht fertig und bin für jede Ablenkung dankbar. Den Chefredakteur eines bekannten, jeden Samstag aktualisierten Online-Krimimagazins etwa, der plötzlich mit gezogenem 1000-Euro-Schein hinter mir steht und „Rezensier, du tollwütiger Hund, oder ich steck das Scheinchen wieder ein!“ befiehlt. Das kann ich nicht verantworten und also schreibe ich. Gleich zwei Beiträge, denn ein solcher Profi hat nicht nur eine Waffe dabei, sondern wahrscheinlich noch einen Ersatztausender in der linken Socke. So ist es. Meine flehende Bitte, mir doch ein gutes Buch zu empfehlen, beantwortet der Mensch mit „Ich kenn da’n paar Comics“, aber die hab ich in einer halben Stunde durch, das ist doch keine Alternative! Der Mensch zuckt nur mit den mächtigen Schultern und trollt sich.

Sehnsüchtiger als sonst warte ich auf den Postmann. Wird er die erhofften Päckchen, ja, PAKETE bringen? Er bringt. Aha, ein Weihnachtspräsent von W., handsigniert aus eigener Produktion. Sehr schön, hab ich aber schon gelesen. Und das hier? 500 Seiten Carl Hiaasen! Striptease! Uh, uh, ja, das wird mich eine Zeitlang der guten Val entfremden. Schließlich Leonard Schrader, „Der Yakuza“. Prima! Mal schauen, wie sich das Büchlein so über die Jahre gerettet hat. Auch dtv lässt mich nicht im Stich. Einmal „postmoderner Krimi“ (hm), einmal ungarischer Klassiker aus den Dreißigern. Beide nicht sehr umfangreich, was ich eigentlich ja zu schätzen weiß, angesichts des Ziegelsteins von McDermid aber eher verwünsche.

Und was liegt sonst noch so rum? — Nee, nicht weltbewegend. Da muss es draußen schon reichlich regnen, bevor ich das auch noch lese. Irgend welche wichtigen Themen? Das mit dem Vertrag, den Autoren mit ihren Lesern schließen sollen, ist abgefrühstückt. Krimijahrbuch auch. Alte Krimis Korrektur lesen – andere Baustelle. Mit wem könnte man eine verbale Prügelei anfangen? Spontan fällt mir niemand ein, schlechtes Zeichen, wahrscheinlich wegen Weihnachten und dem ganzen Harmoniemist, der einem noch aus der Kindheit anhängt. Weiter auf den Postmann hoffen? Klar, aber man müsste halt mal wieder was bei den Verlagen ordern. Bei kaliber.38 und der Krimicouch nachschauen: Neuerscheinungen Dezember, Januar. Vielleicht hat man was Interessantes übersehen. Nö.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich „Schleichendes Gift“ – schleicht. Sich peu à peu ins Gebirge der Bücher hineingräbt, um für alle Zeiten unsichtbar zu werden. Vielleicht kommt ja im Januar endlich der große Schnee, den es laut Klimawandel nicht mehr geben dürfte. Eingeschneit. Für Wochen von der Außenwelt abgeschnitten. Dann, aber auch nur dann, hat Val McDermid noch eine Chance.

7 Gedanken zu „Verdrängungsprozess“

  1. lies doch krimifern…

    ich bin mir nicht SICHER, ob val mcdermid nicht einen vertrag mit dir hat, dass du bitte schön als rezensent ihr buch zu ende lesen möchtest, bevor du sagst, das ist nichts.

    *findet es phänomenal, dass dpr mitten in büchern aufhört

  2. Nein, diese Verträge gelten vorerst nur in Österreich und werden im Sommer vom EU-Parlament geprüft. Erst dann werde ich verpflichtet sein, Bücher ganz zu lesen – mir bleibt wohl nur das Exil in einem EU-fernen Land.

    bye
    dpr

  3. doris lessing hat SCHON WIEDER einen vertrag nicht gehalten, den ich mit ihr geschlossen hatte.

    *droht doris lessing mit der faust
    **langweilig

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