Nicht erst im Nachhinein betrachtet war „Kommissarin Lund: Das Verbrechen“ eines der großen Krimi-Ereignisse im TV der letzten Monate, wenn nicht gar Jahre. Mit so wenig Tamtam im Vorfeld angekündigt und dann so dermaßen spannend und komplex, ohne je langweilig oder überzogen zu wirken. Das ZDF hatte mit dieser zehnteiligen dänischen TV-Serie, die nur einen einzigen Fall behandelt, nämlich die Entführung und Ermordung von Nana Birk Larsen, einen wahren Glücksgriff gemacht.
Mittlerweile gibt es die Serie auf DVD, aufgeteilt in zwei 5-DVD-Sets. Wer also nicht von Mitte September 2008 an die zehn Folgen, die jeweils Sonntagsabends ausgestrahlt wurden, gesehen hat und Woche für Woche mitgefiebert und gegrübelt hat, wer denn nun der Mörder der jungen Nana Birk Larsen war und fast im Wochentakt einen neuen Hauptverdächtigen ausmachte, der sollte wenigstens jetzt die Chance ergreifen, einen der besten Krimimehrteiler der letzten Zeit zu sehen. Übrigens: In Dänemark waren es, den 20 Ermittlungstagen bis zur endgültigen Aufklärung des Falles geschuldet, entsprechend 20 Folgen, die 2007 unter dem Originaltitel „Forbrydelsen“ gezeigt wurden.
Egal ob zehn oder 20 Folgen, eine solch durchweg düstere Atmosphäre bekommt nicht mal Henning Mankell in seinen „Wallander“-Fällen hin. Was nicht die einzige Besonderheit an dieser Serie ist: Da wäre etwa die Tatsache, dass einem als Zuschauer nicht ein einziges Mal zum Lachen ist. Auch die ständig omnipräsente Spannung, die einen nie den Blick vom Bildschirm nehmen lässt, ist in dieser Größe nicht bekannt gewesen. Dann wäre da noch die Tatsache, dass die Geschichte in all der ihr gebotenen Ruhe in zwanzig Tagen bzw. zehn (Doppel-)Folgen erzählt wird und sie die Zeit hat, mehrere dramatische Wendungen zu nehmen. Und nicht zuletzt sind da all diese im deutschen Fernsehen unbekannten, aber durchweg brillant agierenden Schauspieler: angefangen bei Sofie Gråbøl, die die ermittelnde Polizistin Sarah Lund spielt, ihr Nachfolger im Job, Søren Malling alias Jan Meyer, Lars Mikkelsen, der den bis zum Letzten kämpfenden Politiker Troels Hartmann darstellt, und das von Ann Eleonora Jørgensen und Bjarne Henriksen brillant gespielte Elternehepaar Pernille und Theis Birk Larsen. All das macht „Kommissarin Lund: Das Verbrechen“ einzigartig und außergewöhnlich.
Eigentlich ist es ein Witz, dass dieser dänische Mehrteiler keine Romanvorlage hatte, sondern von Søren Sveistrup gleich in einem Drehbuch verewigt wurde. Angeblich soll es eine Fortsetzung der Serie geben. Dann werden in Dänemark sicherlich wieder die Straßen wie leer gefegt sein; die Erstausstrahlung von „Kommissarin Lund: Das Verbrechen“ hatte in Dänemark einen durchschnittlichen Marktanteil von bis zu 70 Prozent.
Kommissarin Lund: Das Verbrechen
edel motion
VÖ: 28.11.2008
Schade, schade, dass, wer immer die Geschichte gebaut hat, ihr spätestens in
Folge 7
aufs peinlichste ein Bein gestellt hat. Umso trauriger, als die Serie bis dahin durchaus zu den Besten TV-Krimiproduktionen zu rechnen ist.
Lund und Kollege verstehen sich nicht immer, weil sie eher ihrem Spürsinn nachgeht, er sich aber lieber enger an Spielregeln hält, was allerdings Vorgesetzte öfter einlädt, (Teil-)Ermittlungen vorschnell abzubrechen. Gut.
Es gibt einen neuen Verdächtigen, der Kollege weiß sogar davon – immerhin zeigt er sich, wenn auch in etwas zäher Weise, lernfähig. Aber Lund sucht den Verdächtigen allein auf. Der von ihrer neuen Spur nichts weiß, da sie die Fragen geschickt anlegt.
Dennoch sollte es ihr nach kurzer Zeit einleuchten, dass er seinerseits rasch auf den Verdacht kommen kann, unter Verdacht zu stehen. Und dass er, der ihrem Verdacht nach logischerweise sowohl selbst möglicherweise im Affekt getötet als auch zwecks Vertuschung vorsätzlich gemordet (oder morden lassen) hat, sie – der in ihrer eigenen Dienststelle notorisch mit Skepsis begegnet wird, was wohl auch ihm zu Ohren gekommen sein muss – als die einzige beharrlich an seinen Tatverdachtsmomenten Interessierte aus dem Weg räumen wollen wird, sobald er den Braten riecht und dazu Gelegenheit hat.
Und dann läuft es leider ähnlich, wie in jenen schlechten Filmen, in denen – von Männern – notorisch weiblichen Charakteren genau dann, wenn es gilt, sich für Verfolger unhörbar und unsichtbar zu machen, ins Drehbuch geschrieben wird, wild zu fuchteln, ziellos zu rennen und laut zu kreischen (Effekt: „Haaa-looo, mein lieber Mörder, ich bin hii-hiiier!“). Das beleidigt alle denkfähigen ZuschauerInnen, ist abgründig frauenfeindlich, und – davon abgesehen – auch furchtbar langweilig. Zum Glück meist auch unglaubwürdig, aber um den Preis des Verlusts jeglicher Dramatik: die Umrisse des Bildschirms (oder der Kinoleinwand) zeichnen sich da augenblicklich ebenso überdeutlich ab, wie alle im Gesichtsfeld befindlichen Uhren, das Publikum ist aus dem Mitzittern unwiderruflich hinaus katapultiert.
Wie läuft das hier ab? Frau Profi Lund muss gemäß Herrn Sveistrups Drehbuch das Handy im Auto vergessen. Alles? Nein, auch die Waffe lässt sie dort. Genug? Nein: damit, wer beides entwenden will, das auch leicht kann, bleibt das Auto unversperrt. Puh, jetzt alles? Aber nein: der Schlüssel steckt netterweise im Zündschloss. Vier Kardinalfehler – und das ist erst die Einleitung.
Der Verdächtige kehrt um, um irgendeine Unterlage aus seinem Haus zu holen (sagt er) – auf eine ihn leicht überraschende, vielleicht aber ablenkende Frage. Oder auf seine Ahnung hin, was sie vor hat, denn genauso gut kann er Lunds Ermittlung durchschaut haben und nur eine Gelegenheit suchen, kurz aus ihrem Blickfeld zu verschwinden, um als Ortskundiger zu verschwinden oder sie von irgendwo her zu überraschen. So naheliegend das auch ist, das darf sie laut Drehbuch leider nicht mitdenken: Fehler fünf.
Sie geht in den Keller oder die Garage des Hauses – des Verdächtigen: das Haus steht allein – sofern es Nachbarschaft gibt, ist sie (es ist später Abend) zumindest weit genug entfernt, um im Bild nicht erkennbar und für die Szene kaum interessant zu sein. Das heißt: hat er Verdacht geschöpft, könnte er jetzt ihr nachschleichen – oder, falls er etwas später aus dem Haus kommt, sie nur genau dort vermuten, wo sie ist, da er sie nicht beim Auto sieht und keine weitere Möglichkeit ihres Verbleibs plausibel ist.
Lauscht sie also, ob ihr jemand nachkommt? Nein. Blickt sie zurück, oder versucht sie, mögliche Bewegungen hinter sich rechtzeitig erkennen zu können? Nein, sie bewegt sich mit Taschenlampe und fast kindlich und Tunnelblick-artig suchenden Augen vorwärts: Fehler sechs und sieben. Also, es reicht ja schon das Script, aber musste die Regie (hier sind vier Männer verdächtig …) sie das noch so übertreiben lassen?
Und es geht weiter: sie entdeckt ein verdächtiges – großes – Objekt. Das ist zugedeckt, also entfernt sie die Hülle. Nicht, dass sie sie an einer entscheidenden Stelle anhebt und dann wieder senkt, oh nein: sie zieht sie ganz ab. Damit, falls sie jemand überrascht und doch noch etwas Zeit bliebe, die Hülle dennoch ja nicht mehr an ihren Platz zurück kann: Fehler acht. Und dann? Steht sie da, die Profi-Ermittlerin, wie das Kaninchen vor der Schlange und starrt den überdeutlichen Beweis quälend lange an. Wie beim obigen Kreisch-Klischee, wenn sich alle denken: wieso braucht dieser Verfolger denn so ewig? Fehler neun, und der dauert wirklich exzessiv lange.
Wann hören meine Herren Geschlechtsgenossen endlich auf, immer wieder und wieder Frauen derlei Unglaubwürdiges ins Script zu schreiben bzw. per Regieanweisung spielen zu lassen?
So etwa 6,8 bis 6,9 Folgen lang war Kommissarin Lund Spitzenklasse. Jetzt – und von dieser ärgerlichen Ernüchterung können mich erfahrungsgemäß selbst mehrere sehr gute Folgen kaum wieder in die Geschichte zurück holen – ist sie einfach ruiniert.
Und warum? Weil – noch einmal – männilche Verantwortliche gar nicht wahrnehmen, wenn sie abgrundtief in unglaubwürdige Übertreibungen von schon an sich erbärmlichen Rollenklischees abstürzen. Und weil sie das, wenn sie eine Folge um eine Szene verlängern müssen, unter dem (vermeintlichen?) Produktions-Zeitdruck noch weniger bemerken. Dabei wurde hier quasi nicht einmal ein Bogen durch eine Saite überspannt: ja, überspannt schon, und leider auch gebrochen, nur dass in diesem Fall schon zwei, drei Minuten lang gar keine Saite mehr drin war.
Traurig. Sehr traurig.