Es gibt gleich drei gute Gründe, dieses Buch zu lesen. Einmal, weil es der einzige Krimi von A.A. Milne geblieben ist, dessen ewiger Ruhm sich seiner Schöpfung Winnie-the-Pooh verdankt. Und wer immer noch nicht weiß, was einen „Landhauskrimi“ charakterisiert, findet hier ein ideales Beispiel dafür. Drittens: Gerade weil „Das Geheimnis des roten Hauses“ alle Versatzstücke dieser Variante des Rätselkrimis verarbeitet, dient der Text in Raymonds Chandlers berühmtem Essay „The simple art of murder“ als Belegstück für die letztliche Belanglosigkeit dieser Sorte Spannungsliteratur.
„The whole thing is a fraud“, urteilt Chandler, ein Schwindel also, und Chandler meint damit nicht allein Milnes Buch (dem er etliche Logikfehler nachweist), er meint damit das „Golden Age“ in toto, jene auf die Rätselei konzentrierte, fern der Wirklichkeit agierende Spielart der Kriminalliteratur. Aus Chandlers Sicht gewiss ein richtiges Urteil. Denn in Milnes Roman geht es um offene Fenster, außen oder innen steckende Schlüssel, Geheimgänge, gewechselte Unterwäsche etc., und all dies dient dem einzigen Zweck, die Intelligenz des Ermittlers zu testen und ihr letztlich zum Durchbruch zu verhelfen, dabei den Leser gehörig zu verwirren und ordentlich an der Nase herumzuführen. Krimi in einer seiner beliebtesten und trivialsten Formen.
Dieser Ermittler heißt Anthony Gillingham, ist ein patenter Junge und – Überraschung – finanziell unabhängig, reist aufs Geratewohl durchs Land und kommt irgendwann mehr oder weniger zufällig zum titelgebenden roten Haus, in dem Mark Ablett mit Freunden die Sommer bei allerlei snobistischem Zeitvertreib zu verbringen pflegt. Doch Ablett plagen gerade andere Probleme. Er hat offensichtlich seinen Bruder, das schwarze Schaf der Familie und vor fünfzehn Jahren nach Australien ausgewandert, ermordet und ist nun selbst verschwunden, offensichtlich auf der Flucht. Gillingham und sein Kumpel Beverley einer von Abletts Gästen, beginnen zu ermitteln. Die übrigen Gäste sind gottlob abgereist (wieso eigentlich? Sind sie von vornherein unverdächtig?), so dass sich das Ganze zu einem munteren Spielchen zwischen dem Ermittlerduo und Abletts Sekretär und Verwandtem Cayley entwickelt. Der hat offenbar Abletts Flucht gedeckt und vertuscht auch sonst so einiges.
Am Ende gibt es natürlich die unerwartete Wendung, nachdem all die offenen Fenster, außen oder innen steckenden Schlüssel etc. richtig interpretiert worden sind. Kreuzworträtsel halt. – Und nicht uncharmant. Wer sich einmal so richtig von der „realistischen“ Kriminalliteratur erholen möchte, findet in Milnes locker und nicht ohne Witz geschriebenem Schmöker willkommenes Futter. Die in der Reihe „Fischer Crime Classic“ zustande gekommene Neuausgabe mit zwei Nachworten von Lars Schafft wird uns nicht zum Landhauskrimi bekehren können. Chandlers Kritik gilt nach wie vor und ist berechtigt. Aber seien wir mal ehrlich: Manchmal muss es halt sein, dieses Sahnetörtchen zwischen dem kräftigenden und gesunden Essen. Gerade für uns Liebhaber alter Krimis.
dpr
A.A. Milne: Das Geheimnis des roten Hauses.
S. Fischer 2009 (The Red House Mystery, 1922.
Deutsch von Elisabeth Simon). 199 Seiten. 7,95 €