SKI – Serie Krimi International: Eine Reihe von Story- und Figurenvorgaben und fünf Versuche, sie in jeweils einstündigen Kriminalhörspielen weiterzuentwickeln. Über das tragfähige Konzept und die Arbeiten von Merle Kröger und Norbert Horst wurde →im ersten Teil unserer kleinen Studie berichtet. Fehlen noch die Hörspiele von Sabina Altermatt, Nathan Markov und Pieke Biermann sowie das abschließende Resümee.
Altermatt und Markov verwenden die Biografien der beiden Protagonisten Murat Çelik und Ines Pelzer auf sehr ähnliche Weise. Sie nehmen jeweils ein Détail und stellen es ins Zentrum eher herkömmlicher Krimistories. Altermatt bedient sich der Autisten/Savant-Thematik. In „Der Kongress“ weilt Ines Pelzer auf einem ebensolchen und lernt einen schweizer Kollegen kennen. Dessen Forschungsgebiet ist die bewusste Herbeiführung eines Gehirnzustandes, der auch bei „Normalmenschen“ die savant-Phänomene auslösen kann. Nach einer heftigen sexuellen Konfrontation (anders kann man es nämlich nicht nennen) liegt der Kollege tot neben Pelzer im Bett. Gemeinsam mit dem sofort herbeigerufenen Çelik macht sich Pelzer in die Schweizer Berge auf, um in der Klinik des Toten dessen Experimenten auf den Grund zu gehen.
Die beiden Helden geraten in ein Abenteuer, das sie als beinahe Feldwaldwiesen-Detektive absolvieren. Das Thema ist natürlich übertrieben starkgebärdig, zynische Menschenversuche, vor allem aber kann manche Unlogik nicht überspielt werden.
Auch Markov hantiert in „Der Nazischatz“ mit einem zur Story hochgepuschten Detail und marginalisiert damit das Grundkonzept. Pelzer und Çelik reisen nach Italien, um Çeliks aus dem Erdbebenerlebnis herrührendes Trauma von einem Spezialisten behandeln zu lassen. Der aber ist justament ermordet worden. Rasch gelangen sie auf die Spur des titelgebenden Nazischatzes, weitere Morde ereignen sich bis zum genreüblichen Showdown. Wurde uns bei Altermatt Pelzer als auf harten Sex stehend präsentiert, erwischt es bei Markov ihren männlichen Partner. Der entdeckt angesichts der jungen Laura seine gesamte südliche Glut wieder und geriert sich als heißverliebter Hochpubertist. Was wiederum Pelzer furchtbar eifersüchtig macht…
Beide Folgen der Reihe führen dazu, dass die roten Fäden immer dünner werden. Die jeweiligen Stories hätten auch ohne sie funktioniert – als herkömmliche Krimihörspiele. Interessant ist vor allem die Formatierung der Protagonisten zu gemäß eines Rollenklischees agierenden „Detektiven“ in actionlastigen Stories. Als Lesetexte auf normale Romanlänge ausgelegt, ließen sich daraus möglicherweise ordentliche Krimis machen. Als relativ kurze Hörtexte funktionieren sie nur bedingt, weil sie die notwendige Konzentrierung auf das Wesentliche nicht hinbekommen. Ein Problem, das grundsätzlich auch für Kurzgeschichten und Kriminalerzählungen mittlerer Länge gilt.
Die sechste und letzte Folge, „Kriegskosten“, geht auf das Konto von Pieke Biermann. Und jetzt geschieht etwas Wunderbares. La Biermann schafft es auf beängstigend souveräne Weise, sämtliche Fäden nicht nur der Vorgabe, sondern auch die von den Kollegen ausgelegten, zusammenzufassen und gleichzeitig das Geflecht zu dekonstruieren. Pelzer und Çelik befinden sich in Berlin – wo sonst. Die Ausgangssituation – Pelzers Vater, der Exterrorist Darius, wurde erschossen – wird noch einmal aufgefrischt, ebenso die wunderbare Wiederauferstehung von Çeliks totgeglaubtem Vater (im Beitrag von Merle Kröger). Die Gewissheiten geraten ins Wanken, neue kommen hinzu, und das alles verpackt Pieke Biermann in vier Jahrzehnte deutsche Protest- und Terrorgeschichte, mit wunderbarem Personal, von dem man sofort mehr erfahren möchte. Am Ende reist Çelik zurück in die Türkei. Aber die Geschichte ist nicht aus, ganz im Gegenteil. Sie könnte sofort wieder beginnen, ebenso wie das Projekt SKI. Über Biermanns Talent zu treffenden Verknappungen, geradezu expressionistischen Beschreibungen und überhaupt zum richtigen Wort zur richtigen Zeit und Gelegenheit brauchen wir gar nicht erst zu reden.
Letztlich ist es gerade die Nichteinheitlichkeit des Projekts, die SKI interessant und gelungen macht. Alle AutorInnen standen vor ungewöhnlichen Herausforderungen und haben sich ihrer auf ganz persönliche Art angenommen. Vom Ausbruch aus dem Korsett (Altermatt und Markov) über die Differenzierung der Migrationsthematik (Kröger und Horst) bis zur finalen Raffung und gleichzeitigen Ausweitung durch Pieke Biermann lässt sich alles besichtigen, was Krimikonzeption im Allgemeinen ausmacht. Zu reden wäre meines Erachtens nach wie vor über Formales. Das SKI-Projekt kommt als eine Verbindung von Hör- und Lesetext daher. Die Musik von Matthias Manzke passt dazu, sie ist vielschichtig und unterstützend. Ob eine Konzentration auf die erweiterten Möglichkeiten des HÖRspiels (besonders durch den Einsatz weiterer SprecherInnen) die Wirkung noch verstärkt hätte? Man weiß es nicht.
Hut ab vor dem Mut aller Beteiligten. Und eins ist gewiss: Sollte das Kriminalhörspiel eine Zukunft haben, dann nur mit solchen Projekten wie SKI. Ambitionierten, risikoreichen Kollaborationen unterschiedlicher Charaktere, die die Grenzen eines zwar betagten, aber noch nicht anachronistischen Mediums weiterziehen. – Die sechs Folgen sind (noch) auf der →Internetseite von Funkhaus Europa nachzuhören, eine CD-Veröffentlichung ist geplant.
dpr