Fred Vargas: Der verbotene Ort (avw)

(Seit Anna Veronica Wutschel als Leiterin der Abteilung Qualitätskontrolle bei wtd tätig ist, jätet sie unermüdlich im Rezensionsweinberg des Herrn dpr. Alle vollständig misslungenen Besprechungen des Chefs müssen durch eine fachkundige austariert werden, →Fred Vargas macht den Anfang. Wurde aber auch Zeit…)

“Was heißt das, Plog?”

Das könnte ein Name sein. Die Ur-Form eines Namens. Oder auch ein Wort, das bis eben noch nichts oder alles in sich einschloss. Und somit Fünkchen von Wahrheit oder Wirklichkeit einfangen könnte – für den, der es ausspricht, und für den, der den Sinn aufnimmt. Logisch – da kann ein Plog immer nur ein echter Plog sein, oder eben nicht.

Wer sich an derartigen Spielereien mit Festlegungen, Zuschreibungen, Verkörperung und Performanz, an Spielarten von Relativität und Gewissheit erfreuen kann, wird einen Vargas immer zu schätzen wissen. Schwelgerisch skurril, ebenso dingfest wie sinnlich unterläuft Vargas unbeschwert Grenzen von Normalität und Realität, von Klischees und Kategorien, durch die sie sich hindurchschachtet, um sie als ebenso gerechtfertigt wie belanglos gebrechlich hinter sich zu lassen. Viel Sinn liegt da im Unglaubbaren, viel Wundersames im Verbürgten.

“Der Verbotene Ort” erzählt von scheußlich blutigen Verbrechen, gräbt in Geschichte und Mythologie und brilliert in seinem absolut klug-verdrehten Erzählstil. Der Plot indes hat sich nicht ganz so überzeugend ineinander schichten lassen wollen, der Fall fährt wenig Spannung auf, und die Story um Vampire besticht nicht eben durch Schauerlichkeit.

Ein Polizeikongress führt Kommissar Adamsberg nach London. Doch statt ernsthaft über die ‘Harmonisierung’ von Migrationsströmen zu debattieren, zieht Adamsberg den Spaziergang vor. Und trifft bei einem seiner nächtlichen Ausflüge auf siebzehn Paar Schuhe, in denen siebzehn am Knöchel sauber abgetrennte Paar Füße stecken. Als wäre dies nicht makaber genug, scheint diese ausgesetzte Schuh-Sammlung auch noch auf den berüchtigten (Kult-)Friedhof Highgate zuzusteuern.

‘Sache der Engländer’, befindet Adamsberg und sieht sich, kaum nach Paris zurückgekehrt, mit einem weiteren entsetzlichen Verbrechen konfrontiert. Ein älterer Herr mit vielen Feinden wurde nicht einfach getötet. Er wurde zerstückelt, zerkrümelt und dann in kleinsten Teilchen am Tatort verstreut. Bald wird sich herausstellen, dass der Täter dabei weniger in fanatisch wilder Zerstörungswut agierte, sondern vielmehr einem undurchschaubaren Muster, einem Ritual, folgte. Es gibt weitere Tote und Mordanschläge. Danglard, Adamsbergs weiser Kollege, glaubt unter den in London entdeckten Schuhen ein Paar seines verstorbenen Onkels zu erkennen. Und ein manipuliertes (Medien-)Fiasko beschert Adamsberg ganz unvermutet Familienzuwachs. Zudem erschüttert den Kommissar die Einsicht zutiefst, dass er von höchsten Stellen sabotiert wird, doch lässt er sich nicht so leicht irritieren und begibt sich auf eine Reise nach Serbien: dorthin, wo Danglards Onkel lebte, wo das Motiv des Mörders verborgen liegen könnte, wo aller Vampirismus seinen Ursprung nahm.

Viel Arbeit für die altbewährte Truppe der Brigade criminelle, deren Mitglieder sich in alle möglichen Ticks und Spleens aufgeteilt haben. Inbrünstig verschwörerische Ärzte, Ärzte mit ‘goldenen’ Heilhänden, die die Psyche im Knochengerüst nicht nur ertasten, sondern auch richten können, sympathische Schlägertypen und vom Schicksal gequälte Täter kreuzen ihren Weg. Vielerlei Liebesangelegenheiten, unzählige Handlungsblockaden und eine jahrhundertealte Geschichte von Blutrache verkomplizieren den Gang der Ermittlungen.

In “Der Verbotene Ort” verzaubert Vargas erneut durch verquere Verstiegenheiten, ungewiss wunderbare Begebenheiten, großartige Figuren-Retuschierung und absurd-sinnige Dialoge. Vielerlei Häppchen von Wirklichkeit werden zwischen Phantasie und Phantastik gestreut, um ebenso märchen- wie traumhaft Realität ausfindig zu machen. Der Vampir-Fall verheddert sich leider in seinen zahlreich ausgelegten, aber nie sehr spannenden, nie unheimlichen Blut-Schlingen. La Vargas legt keine neuen Saiten auf, doch spielt sie mit Altbewährtem so meisterhaft leicht und elegant wie eh und je. So gesehen: Magnifique ! Oder eben: Plog.

Fred Vargas: Der verbotene Ort. 
Aufbau 2009
(Un lieu incertain, 2008. Deutsch von Waltraud Schwarze).
423 Seiten. 19,95 €

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