(Nein, im Moment hilft nicht einmal Gott der lädierten wtd-Mannschaft. Nur Anna Veronica Wutschel, unser Fels in der Brandung, tut es, was uns auch viel lieber ist. Lesen Sie hier, was sie von Michael Connelly hält.)
Mit einem rasanten Einstieg tritt Mickey Haller, der Anwalt auf vier Rädern (vgl. “Lincoln Lawyer”, 2006), ein furioses Comeback an. Dass “So wahr uns Gott helfe” zwischenzeitlich ordentlich das Tempo zu drosseln scheint, mag an Michael Connellys Vorliebe für exakte Recherche und detailgenaue Wiedergabe des jeweiligen Milieus liegen, in das er sich begibt – in diesem Fall der Alltag eines Anwalts sowie die sich kompliziert gestaltende Übernahme einer Kanzlei. Doch erschöpft die große Portion Authentizität nur wenig die Story, denn zu geschickt führt Connelly durch den Alltag des mit allen juristischen Heikeligkeiten beschlagenen Anwalts. Das Ganze würzt Connelly mit einer kleinen Prise Remmi Demmi ab – es muss auch mal geschossen werden -, um letztlich all die gesponnenen Intrigen zwanglos hintereinander zutage zu fördern. Mit diesem recht unvermittelten Ende allerdings erzählt er sich hinter das genial angelegte Potential.
Ein lebensgefährlicher Bauchschuss (vgl. “Der Mandant”) hatte Mickey Haller dazu gezwungen, die Juristerei vorläufig aufzugeben. Nach einer langwierigen Genesung, einer schweren Medikamentensucht und dem unweigerlichen Entzug liebäugelt er seit längerer Zeit mit einem Neueinstieg. Konnte er sich bislang dazu nicht durchringen, wird ihm plötzlich die Entscheidung leicht gemacht: Als tödliche Schüsse auf einen Kollegen abgegeben werden, “erbt” Haller nicht nur dessen Kanzlei, sondern man überträgt ihm auch an höchstrichterlicher Stelle die dazugehörigen Mandanten.
Kein schlechter, völlig unverhoffter Deal, und Haller legt sich mächtig ins Zeug, denn neben privatem Ärger mit seiner Ex-Frau gestaltet sich die unorthodoxe Übernahme als schwierig. Zumal jeder Mandant – vererbt oder nicht – ihn als neuen Anwalt ablehnen kann. Vor allem muss sich Haller den spektakulären Fall eines Hollywood-Tycoons sichern, verspricht der nicht nur ein grandioses Comeback, viel Publicity, sondern auch eine ganze Menge Geld. Doch benimmt sich der hochkarätige Mandant, der seine Frau und deren Liebhaber erschossen haben soll, nicht nur äußerst divenhaft, er stellt auch eine einzige, an sich gänzlich inakzeptable Forderung. Haller akzeptiert und sieht sich bald zwischen mehreren Zwangslagen. Zu allem Übel scheint der Mörder seines Vorgängers es skrupellos auf ihn abgesehen zu haben, und viel spricht dafür, dass Haller nicht nur beruflich um seine Existenz kämpfen muss. Gut, dass Detective Hieronymus Bosch ein Auge auf den Anwalt hält, der sich trotz all seiner abgebrühten Schachzüge in dem von vielerlei Seiten gesponnenen Netz zu verstricken droht.
Dass das Rechtssystem marode ist, ist keine überraschend neue Einsicht. Doch hat Connelly mit Mickey Haller eine feine Figur ersonnen, die sich ebenso integer wie skrupellos durch das System schlängelt. Und dabei sind ihm alle Wege und Mittel recht, wobei nicht er das Prinzip beugt, sondern aus allen Haken, Ösen und Fallstricken desselben schöpft. Die Zusammenarbeit zwischen Anwalt Haller und Detective Bosch gestaltet sich naturgemäß kompliziert, gehören doch beide Berufsstände nicht unbedingt befreundeten Lagern an. Hier überzeugt das Spiel mit Voreingenommenheiten, beruflich entgegengesetzten Interessen und ungemütlich notgedrungener Zusammenführung. Und dieser Handlungsstrang wartet am Ende mit einer kleinen Überraschung auf. Doch bleibt Bosch überraschend blass, gerät fast zum Klischee des harten Cops. Dabei hätte gerade die reine Aussenschau auf Harry Bosch gewiss wesentlich markanter, vielleicht gar amüsanter ausfallen können.
“So wahr uns Gott helfe” (im Original lautet der Titel weit weniger pathetisch “The Brass Verdict”) bietet großartig diametral, kreuz und quer gelegten, harten Stoff, der allerdings an seiner wie nicht von langer Hand vorbereiteten Auflösung kränkelt. Hätte der Autor im hintergründigen Anliegen beizeiten Zweifel gesät, die unterschiedlichen Parteien der eigenen Reihen ruppig argwöhnisch aufeinandergehetzt, würde der Text tiefgründig überzeugen. Insgesamt birgt der Auftakt ganz böse eine Menge Variationen von (Missbrauch von) Macht, Recht, Gewalt und (verdrehter) Moral. Das ist imposant kluge Unterhaltung, die aber leider mit ihren mühsam erkraxelten Offenlegungen zu wenig hantiert, sie wie aufgesetzt, erst auf den letzten Drücker ausplaudert.
Michael Connelly: So wahr uns Gott helfe.
Heyne 2010
(The Brass Verdict, 2008. Deutsch von Sepp Leeb).
510 Seiten. 19,95 Euro.